Rezensionen

Vinci

vinci.jpgDer Autor Didier Convard (Tanatos 1, CG-Rezension) und der Zeichner Gilles Chaillet (Das geheime Dreieck 1) nehmen eine historische Persönlichkeit als Ausgangspunkt für ihre gemeinsame Arbeit. Dabei handelt es sich um niemand geringeren als den berühmten und vielseitig begabten Leonardo da Vinci – aus heutiger Sicht ein Allround-Genie. Der Künstler und Wissenschaftler wird in Vinci zum Anti-Helden-Typ eines Grafen von Monte Cristo stilisiert. Die 2008 zuvor in zwei Bänden („Der zerbrochene Engel“ und „Schatten und Licht“) bei Editions Glénat veröffentlichte Geschichte ist nun bei der Ehapa Comic Collection als „All in one“-Hardcovergesamtausgabe mit einer veredelten „Spot-Lack“-Umschlagsgestaltung erschienen. Der historisierende Abenteuercomic ist in zwei Kapitel unterteilt, die sich an den beiden ursprünglichen Ausgaben orientieren und nach diesen betitelt sind.

Inhaltlich beginnt die Geschichte damit, dass im November 1519 König Franz I. das letzte Gemälde Leonardo da Vincis vor den Augen der Öffentlichkeit durch einen Mönch verstecken und aufbewahren lässt. Auch dem Leser bleibt es verborgen. Der Grund für diese drastische Maßnahme ist vordergründig die abstoßende Darstellung: Der Ruhm des Genies soll nach dessen Ableben nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Dieses Szenario bildet gleichzeitig den narrativen Rahmen der Geschichte. Denn König Franz I. wird im Folgenden den Mönch – und dadurch auch den Leser – in das Geheimnis um das fragwürdige Kunstwerk einweihen.

Die rückblickende Schilderung des Königs beginnt in Mailand am 15. Dezember 1494, als die Leiche des Notars Christoforo di Rodrigo am Ufer des Martesana-Kanals entdeckt wird. Spätestens als festgestellt wird, dass der Leiche das Gesicht abgezogen wurde, steht fest, dass es sich um keinen gewöhnlichen Mord handelt.

Ab diesem Zeitpunkt entführt Autor Didier Convard seine Leser in eine spannende Mordserie, die zugleich ein touristischer Rundgang in Mailand und später in Venedig ist. Dabei erweist sich der Protagonist Leonardo da Vinci als polyphoner Anti-Held. Die moralisch zweifelhaften Taten des Genies sowie seine persönliche Spaltung in zwei Identitäten verweisen eindeutig auf Alexandre Dumas‘ Roman Der Graf von Monte Cristo. Im Gegensatz zu Dumas‘ Figur befähigen aber Convards Helden dessen wissenschaftlichen Kenntnisse zum Ausleben einer geheimen Identität. Darüber hinaus erinnert die spannende Geschichte in vielen Punkten auch an Fjodr Dostojewskis philosophischen Kriminalroman Schuld und Sühne. Vor allem in punkto Moral und im Hinblick auf den Fakt, dass der Mörder – dort ist es Rodion Raskolnikoff – bekannt ist, gibt es Übereinstimmungen mit dem russischen Dichter. Der da Vinci Convards erinnert in manchen Punkten an weitere Romanfiguren wie an die Hauptfigur aus Patrick Süskinds Das Parfum. So morden die Protagonisten der beiden Geschichten einzig und allein zu einem speziellen Zweck.

Beispielseite aus dem frz. Original von GlénatÄsthetisch schlägt Vinci nicht in die gleiche meisterliche Kerbe wie die Erzählung. Gilles Chaillets Strich ist klar und souverän, aber kein künstlerischer Geniestreich. Die Zeichnungen sind detailreich und die Kolorierung besticht durch matte Farben, die gut zur historischen Kulisse passen. Auch bei den zahlreichen Sehenswürdigkeiten – zum Beispiel die Mailänder Kathedrale oder „Das letzte Abendmahl“ in der Santa Maria delle Grazie – stellt sich ein Wiedererkennungsgefühl ein.

Convard und Chaillet ist ein extrem spannender historisierender Kriminalcomic gelungen. Vinci kann trotz eines Abzugs in der B-Note gut und gerne als weitere Perle der „All in one“-Reihe betrachtet werden.

 

 


Vinci
Ehapa Comic Collection, Januar 2010
Text: Didier Convard
Zeichnungen: Gilles Chaillet
Hardcover, 112 Seiten, farbig; 29,95 Euro
ISBN 978-3-7704-3337-7

Meisterliche Kriminalerzählung mit souveränen Zeichungen

einkaufswagen cc

nlintX


Abbildungen: Vinci © Glénat, © der dt. Ausgabe Ehapa Comic Collection