Rezensionen

American Vampire 1

Die neue Vertigo-Reihe American Vampire machte schon im Vorfeld von sich reden, weil niemand geringeres als Stephen King Texte zu der Serie beisteuerte. Nun liegt also der erste Band auf Deutsch vor und man kann sich endlich ein eigenes Bild machen.

Kings Debüt im Comicbereich (sieht man einmal von einigen kleineren Beiträgen ab) ist nicht so abwegig wie man vielleicht denken mag. Zum einen ist der Autor immer schon tief im popkulturellen Segment verwurzelt gewesen. Schließlich zitiert er in seinen Büchern andere Medien, seine Bücher werden alsFilme und Comics adaptiert und sein Sohn Joe Hill schreibt neben Romanen mit Locke & Key auch Comics. Zum anderen hat auch King schon seine Erfahrungen mit Vampiren machen können und diesen damals in Brennen muss Salem frisches Blut eingehaucht. Lange ist es her. Aber hier findet er wieder zu alter Form zurück, auch wenn er „nur“ eine Storyline innerhalb einer groß konzipierten Serie schreibt. Auffällig ist, wie sehr sie sich ins Gesamtkonzept einfügt und sich nicht abhebt. Das spricht einerseits für eine angenehme Bescheidenheit von Stephen King, andererseits aber auch dafür, wie sehr Scott Snyder die Fäden bei seinem „Kind“ in den Händen behält.

Das Konzept von Snyder ist nicht wirklich sehr neu, verbindet aber auf angenehme Weise Altes mit Neuem. Die Vampire haben hier nichts mehr gemein mit den ganzen Schmachttollen à la Twilight und Vampire Diaries. Jegliche Romantik oder humoristische Anflüge wird man hier vergebens suchen. Das ist der Teil, der nicht neu ist, sondern nur wiederbelebt wird. Gewissermaßen „back to the roots“ (oder besser: „back to the grave“). Was neu ist und die Serie besonders macht, ist die Verknüpfung der Vampire mit der US-amerikanischen Geschichte. Vampire wurden zwar schon in den unterschiedlichsten Kulturkreisen und Epochen geschildert, aber hier ist der jeweilige Vampir für die Epoche, in der die Geschichte spielt, repräsentativ.

In der Storyline von Stephen King wird der „Held“ Skinner Sweet vorgestellt, der als Bandit den Wilden Westen unsicher macht. Hier kommen alle Elemente des klassischen Western vor und auch die Figur ist ein Bandit, der dem Namen „Wilder Westen“ alle Ehre macht. Angereichert wird dieses Outlawdasein mit Horrorelementen. Im Zentrum der (besseren und nicht von King geschriebenen) zweiten Storyline während der 1920er Jahre steht die junge Möchtegernschauspielerin Pearl, die in ihrem Charakter hervorragend die US-Trends der damaligen Zeit verkörpert. Der Glamour, die Naivität, der jugendliche Überschwang eines Landes, das noch nichts von der Rezession ahnt, und der Durchbruch des Films und von Hollywood. Durch diese Figuren können nicht nur die Stärken jener Epochen dargestellt werden, sondern auch das Böse. Skinner Sweet ist kein romantischer Outlaw, der Pioniertaten begeht, sondern ein sadistischer Mörder, der auch nicht davor zurück schreckt, Kinder vergewaltigen zu lassen, wenn er nur schnell zu Reichtum kommt. Pearl fällt auf den Glamour herein und wird ausgenutzt. Allen Figuren gemeinsam ist die Sucht nach Macht, Geld und Ruhm. Eben der amerikanische Traum.

Was allerdings störend auffällt, ist eine gewisse unterschwellige Arroganz. Der amerikanische Vampir hat eine neue Entwicklung hinter sich und besitzt gegenüber den alten Vampiren einige Vorteile, indem er sich im Sonnenlicht bewegen kann. Dass die alten Vampire mit Europa, der alten Welt, gleichgesetzt werden und die amerikanischen mit der neuen Welt, stimmt vom Terminus her historisch und kulturgeschichtlich. Dass aber diejenigen aus der neuen Welt, sprich Amerika, evolutionär besser dastehen als die Vertreter aus der alten Welt, ist in dieser Gleichsetzung ärgerlich.

Nichtsdestotrotz ist die Serie aufgrund ihrer vielen Wendungen und blutigen Actionszenen spannend und und lebt von den Charakterisierungen der Figuren. Schon der Einstieg spielt gekonnt mit den Erzählerwartungen des Lesers und lässt ihn nicht mehr los.

Der Zeichenstil passt sich der jeweiligen Erzählzeit schön an. Im Wilden Westen ist Rafael Albuquerques Strich sehr expressiv, eben wild, und in den 1920er Jahren sehr viel glamouröser, glatter, eleganter. Albuquerque arbeitet mit vielen Perspektivwechseln, die vor allem durch eine Schuss-Gegenschuss-Technik erzielt werden. Das erhöht das erzählerische Tempo und ergänzt die Story hervorragend. Die Farben von Kolorist Dave McCaig sind – wie es sich für eine Erzählung, die meistens nachts spielt, gehört – sehr gedeckt, wissen aber auch Akzente zu setzen.

 

Wertung: 8 von 10 Punkten

Endlich wieder richtige Vampire, abseits aller Romantik. Ein spannendes Konzept mit guten Geschichten, das Lust auf mehr macht.

American Vampire 1
Panini Comics, November 2010
Text: Scott Snyder, Stephen King
Zeichnungen: Rafael Albuquerque
192 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 16,95 Euro
ISBN: 978-3-86201-025-7
Leseprobe

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Abbildungen © DC Comics, der dt. Ausgabe: Panini Comics