Artikel

Hellblazer – Eine Rückschau auf die frühen Jahre (Teil 1 von 3)

alt

(Teil 2: Die ersten Hellblazer-Hefte von Jamie Delano)
(Teil 3: Die Garth-Ennis-Jahre)

Teil 1: Die Anfänge in Swamp Thing

Cover des ersten und letzten Hefts von HellblazerVon der amerikanischen Kultserie Hellblazer erschien im Februar 2013 mit der Nummer 300 das letzte Heft. Ab sofort wird die von Alan Moore kreierte Figur John Constantine nicht mehr beim DC-Imprint Vertigo zuhause sein, sondern im regulären DC-Universum. Die Nachfolgeserie Constantine ist schon in den Startlöchern und wird ebenso wie Swamp Thing und Justice League Dark in der Horrornische des „New 52-Universums von DC angesiedelt sein.

Ursprünglich war das Vertigo-Imprint von DC initiiert worden, um die erwachseneren Serien des Verlags vom Ballast des DC-Universums zu befreien und um zu vermeiden, dass die zahmeren, jugendfreien Inhalte des DC-Universums in der gleichen Welt angesiedelt sind wie die teilweise verstörenden Elemente der für ältere Leser konzipierten Serien wie Sandman oder eben Hellblazer. Das war für die entsprechenden Serien sicherlich zunächst ein Vorteil, gleichzeitig verlor das DC-Universum mit dieser Entscheidung jedoch einige seiner interessantesten und glamourösesten Figuren; vor allem Neil Gaimans Figuren Sandman und Death sowie Alan Moores John Constantine hatten schon 1993, als Vertigo startete, einen enormen Kultstatus und waren die prominenten Aushängeschilder des neuen Labels. Sehr bald stellte sich aber ein Problem ein: Vertigo war zwar in der Lage, enorm erfolgreiche Serien wie Preacher, Y-The Last Man oder Fables zu lancieren, aber die Entwicklung von erwachsenen Konzepten der Figuren aus dem traditionellen DC-Kosmos fiel schwer und wurde selten von einem breiten Publikum angenommen.

Die Reihen Animal Man und Doom Patrol wurden nach der Einbettung bei Vertigo binnen kürzester Zeit derart verfremdet, dass die Anhänger das Interesse verloren, Swamp Thing wurde immer wieder aufs Neue erfolglos für ein paar Hefte animiert und durch ständige Richtungswechsel in seiner Continuity immer konfuser, und Madame Xanadu war bereits derart nah am Mainstream, dass das Vertigo-Label in diesem Fall obsolet war. Es war also naheliegend, den Glamourfaktor der magischen und unheimlichen Figuren des DC Universums nicht länger der breiten Masse vorzuenthalten, zumal Vertigo bei seinen Eigenkreationen ohnehin besser aufgestellt ist. Zuletzt war nur noch John Constantine – Hellblazer fest bei Vertigo integriert, aber dass man im neuen DC-Universum nicht dauerhaft auf die Coolness dieser Figur verzichten wollte, war absehbar. Und jetzt, beinahe 30 Jahre nach seinem ersten Auftritt in Swamp Thing, schließt sich der Kreis: John Constantine ist wieder zurück im DC Universum und die Ära des Vertigo-Hellblazers endet endgültig. Zeit für einen Rückblick. Um den Lesefluss nicht unnötig zu stören, habe ich die Übersetzungen der englischen Originalzitate in Fußnoten und einige Randnotizen an den Schluss des Textes gesetzt.

 

John Constantine in Swamp Thing

Natürlich hätte es auch ohne Alan Moore eine Entwicklung zum anspruchsvollen Comic im amerikanischen Mainstream gegeben, denn die Zeit war dazu in den 1980ern einfach reif. Dennoch brachte Alan Moore – und auch die anderen Briten, die während dieser Zeit bei DC angeworben worden waren – einen frischen Blickwinkel in eingefahrene Genres, der auch heute noch nachwirkt.

Zu verdanken ist Alan Moores amerikanisches Comicdebut Len Wein, dem damaligen Betreuer der Monsterserie Saga of the Swamp Thing. Swamp Thing #20 vom Januar 1984 war das erste von Moore geschriebene Heft, und obwohl Moore mitten in der laufenden Storyline einstieg, war die Atmosphäre auf einmal wesentlich dichter und der Spannungsaufbau durchdachter. Es war ein nuancierter Übergang, der die vorherigen Hefte respektierte und doch war es in jedem Panel spürbar, dass Alan Moore den Verantwortlichen bei DC gefallen wollte. Auch die Zeichner John Totleben und Stephen Bissette hatten natürlich einen erheblichen Anteil an der Wirkung und Alan Moore ermutigte die Zeichner sogar, ihre eigenen Ideen mit einzubringen. So schrieb er in einem frühen Brief an das Zeichnerteam Bissette und Totleben „For my part, being British and thus anxious to avoid causing a fuss, I like everybody to be friends… So, if either you or John have any visual things you’d like to try out then let me know and I’ll see if it’s possible to work them into the plot.“1 (zitiert aus dem Essay „Mr. Moore and me“ von Stephen Bissette, zu finden im Buch Alan Moore: Portrait of an Extraordinary Gentleman.)

Man merkte bald, dass man einen Alan Moore nicht unnötig in seiner Kreativität bremsen sollte, und so wurde Saga of the Swamp Thing eine der ersten Mainstream-Comicserien, die ohne das Siegel der Comics Code Authority erschien, das damalige Prüfsiegel für jugendfreie Inhalte. Stattdessen versah man die Hefte mit dem Zusatzvermerk Sophisticated Suspense2, was später umgewandelt wurde in den vereinheitlichten Coververmerk Suggested for mature readers3.

Bild 1, Swamp Thing 37 (Moore, Bissette, Totleben)

John Constantine hatte seinen ersten Auftritt in Swamp Thing #37, und es war tatsächlich wohl eine Anregung von Bissette und Totleben, die eine Figur im Comic haben wollten, die aussah wie der Sänger Sting (Bild 1). Constantine wird als typische mysteriöse Figur eingeführt, ein Typ, der mehr weiß, als er seine Mitmenschen zunächst wissen lässt. Er ist ganz augenscheinlich ein Mystiker, tritt aber in normalen Straßenklamotten – oder besser gesagt, seinem Trademark, einem Trenchcoat – auf. Constantine steht, als wir ihn kennenlernen, mit einer Gruppe von mental sensiblen Personen in Kontakt, die – jede auf ihre Art – eine nahende Apokalypse spüren:

  • Das Punkmädchen Judith, das Alpträume über ein außergalaktisches Energiefeld hat, das nach 8 Milliarden Jahren wieder zurückkehrt,
  • Der Nerd Benjamin Cox, der an eine Rückkehr von Lovecrafts Großen Alten glaubt,
  • die Nonne Sister Ann, die die Wiederkehr Satans kommen sieht.

Jede der drei Figuren ist in der Lage, einen Teil des kommenden Ereignisses vorherzusehen, tatsächlich ist es aber Constantine, der den Überblick über das kommende Unheil hat – und er wird auch der einzige sein, der am Ende noch lebt. Die Gefahr geht von einer südamerikanischen Sekte männlicher Hexen aus, der Brujeira, die auf nicht näher erklärte Art und Weise sogenannte Frighteners, typische Horrorgestalten wie Zombies, Vampire, Geister, Killer etc., instrumentalisiert, um über die so entstehende Macht des Aberglaubens eine geistige Atmosphäre zu erzeugen, die für die von ihnen angestrebte Auslöschung aller Schöpfung von Bedeutung ist. (Bild 2)

Bild 2, Swamp Thing 46 (Moore, Bissette, Totleben)

Diese Storyline mit dem Titel „American Gothic“ hat damit einen reichlich kruden Plot, auch wenn gerade die unheimlichen Brujeira bis ins Detail realen Legenden entsprechen – nachzulesen in Bruce Chatwins Reiseerzählung In Patagonien.4 Constantine konfrontiert das Swamp Thing in „American Gothic“ in zunächst mehr oder weniger abgeschlossenen Episoden mit einigen dieser Schreckgespenster und initiiert damit auch einen Lernprozess, der dem Swamp Thing zeigt, welche Superkräfte in ihm schlummern. Klassischer Stoff also, aber effektvoll erzählt.

Interessant ist das Zusammenspiel von Alan Moores „American Gothic“Saga mit dem DC-Mega-Crossover Crisis on Infinite Earths (Bild 3). Vor 1983 war der Leser von DC-Comics an die Tatsache gewöhnt, dass es vom DC-Universum unzählige Parallelversionen gibt. Das war natürlich komfortabel: Es liegt in der Natur der Sache, dass Comicserien sich in Widersprüche verstricken, wenn sie über Jahrzehnte laufen und dabei ständig wechselnde Autoren haben. Die Lösung, solche Widersprüche durch die Existenz von ähnlichen Paralleluniversen zu erklären, ist ebenso schlicht wie elegant, doch ist dieses Konzept über Jahrzehnte hinweg immer verrückter und unübersichtlicher geworden. Man sehnte sich nach einfacheren, weniger kosmischen Entwürfen, nach nachvollziehbareren Hintergrundgeschichten – und so startete man den ersten großen Relaunch eines Comic-Universums. Crisis on Infinite Earths zelebrierte in einer serienüberspannenden Erzählung den großen Untergang dieses Parallelweltgefüges. Nach der Crisis folgte eine Welle von durchdachten und gut inszenierten Neustarts klassischer Serien: Frank Millers Batman – Year One und John Byrnes Superman dürften die bekantesten Relaunches dieser Epoche sein.

Bild 3, Crisis on Infinite Earths 4 (Wolfman, Perez)

Und in eben diese Neuordnung fällt der Plot von „American Gothic“. Alan Moore integriert die Weltuntergangsverschwörung der Brujeira in die von DC vorgegebene Crisis, so dass am Ende alles wie geplant wirkt. Alan Moore, der sich ja später so völlig mit dem DC-Verlag überworfen hat, war hier noch ein echter Teamplayer, der gerne und kreativ an den Crossover-Events des Verlags partizipierte. Mit John Constantine spendierte er DC außerdem eine sehr schön ausgearbeitete Nebenfigur.

Am Ende der „American Gothic“-Saga wird die Hölle bereits zum zweiten Mal Schauplatz in Alan Moores Swamp Thing-Zyklus. Christliche Symbolik spielt dabei zwar keine Rolle – dennoch ist natürlich die Hölle der Teil der Unterwelt, in der die bösen Seelen nach ihrem Tod gequält werden, während für rechtschaffene ebenso eindeutig der Himmel die letzte Station ist. Neil Gaiman hat in seinem einige Jahre später entstandenen Sandman die Regeln des Jenseits noch etwas genauer definiert und erklärt, dass böse Seelen aus freien Stücken die Hölle aufsuchen, da sie dort intuitiv ihren Platz sehen. Mit derlei Betrachtungen hält sich Moore nicht weiter auf. Er wählte für seinen Endkampf schlichtweg einen möglichst epischen Schauplatz, der dem Genre gerecht wird.

 

Fortsetzung in Teil 2: Die ersten Hellblazer-Hefte von Jamie Delano

Teil 3: Die Garth-Ennis-Jahre

Teil 4: Die Paul-Jenkins-Jahre

Teil 5: Hellblazer 1998 bis 2001

 

________________________

1 „Ich für meinen Teil möchte als Brite lieber keinen unnötigen Wirbel verursachen. Ich möchte, dass wir alle Freunde sind … Also, wenn du oder John irgendwelche visuellen Ideen habt, die ihr gerne ausprobieren möchtet, dann teilt es mir mit. Ich werde dann versuchen, es in den Plot einzuarbeiten.“

2 Etwa: Spannung für Anspruchsvolle

3 Empfohlen für erwachsene Leser

4 Auszug aus Bruce Chatwins In Patagonien: „Die Brujeira-Sekte hat nur ein Ziel: ganz normalen Menschen zu schaden. […] Neulinge der Sekte müssen sich einem sechsjährigen Indoktrinationskurs unterwerfen. Da nur das Zentralkomitee den gesamten Lehrplan kennt, haben die Schulen auf der Insel nur Versuchscharakter. […] Der Kandidat muß sich vierzig Tage und vierzig Nächte unter einen Wasserfall des Rio Thraiguen stellen, um sich von den Wirkungen der christlichen Taufe reinzuwaschen. (Während dieser Zeit wird ihm nur ein kleiner Imbiß gestattet.) […] Dann muss er seinen besten Freund töten, um zu beweisen, daß er frei ist von jeder Gefühlswandlung.“ – In Patagonien, Bruce Chatwick, Rowohlt, 2000

 

Abbildungen: © DC Comics