The Boys out-marvel Marvelman!
In den 1960er Jahren definierten sich Superhelden noch nach dem Motto „With great power comes great responsibility“. Spätestens in den 1980ern, als das Superheldengenre von Alan Moore dekonstruiert wurde, gesellte sich diesem Motto ein diametral entgegengesetztes Motto hinzu: „Power corrupts, absolute power corrupts absolutely“. Und gegen eben diese Korruption helfen nur noch The Boys. Die Einzigen, die in der Lage sind, größenwahnsinnige Superhelden dauerhaft aus dem Verkehr zu ziehen.
Die Serie The Boys lässt vom ersten Heft an keinen Zweifel daran, dass Superhelden durch ihre ausgelebten Allmachtsphantasien mehr oder weniger moralisch verkrüppelt sind; damit werden auch die drastischen Strafexpeditionen der Boys gegen Superhelden immer wieder gerechtfertigt. Teilweise leiden die ersten Zyklen der Reihe unter diesen scheinbar selbstzweckhaft inszenierten Brutalitäten gegen Supermenschen (Supes), und tatsächlich hatte man lange das Gefühl, Garth Ennis ginge es nur darum, dem Leser zu zeigen, was er mit den Superhelden der Großverlage DC und Marvel gerne machen würde. Aber auch die Dekadenz der Supes wurde von Garth Ennis teils etwas ausufernd immer wieder aufs Neue genüsslich ausgebreitet, teilweise in rüder Porno-Ästhetik, was der Serie nicht nur Sympathien einbrachte.
Dabei waren sowohl die Gewalt- als auch die Sexdarstellungen schlüssig. Ich möchte nur an die vielen Berichte über die vergangene Olympiade erinnern, in denen von Sex im Olympiadorf die Rede war, stets mit der Begründung, dass die Sportler nunmal sehr körperbetont seien. Um wie viel mehr steigert sich wohl die sexuelle Energie, wenn Superhelden in ihren Enklaven aufeinandertreffen? Und die Gewalt zeigt nichts anderes, als dass nach dem Haken eines Superman nun mal ein Kieferbruch eine eher leichte Verletzung ist. Einzig die Antwort auf die Frage, ob dieser Gedanke tragfähig für einen epischen Comicroman ist, blieb die Serie lange schuldig.
Aber Garth Ennis überzeugt. Es hat etwas gedauert, bis die Plotmaschine in die Gänge kam, doch die Serie hat seitdem in ihrem Verlauf viele spannende Subplots erzählt und Figuren entwickelt, die lebendig wirken und an die man auch lange nach der Lektüre noch gerne denkt. Mit Band 11, „Over the Hill with the Swords of a Thousand Men“, steuert die Reihe nun auf die lange angelegte finale Konfrontation zu: das Duell der Boys mit dem Homelander, dem Mächtigsten unter den Superhelden, dem Übermenschen, der im normalen Menschen nichts als eine lästige Fliege zu sehen glaubt.
Garth Ennis greift in der Entwicklung der Figur Homelander einige Motive aus Alan Moores legendärem Marvelman auf und schickt seinen Homelander auf einen ähnlichen Rachfeldzug gegen die Menschheit wie ehemals Kid Marvelman. Was folgt, ist eine gnadenlose Demontage des Homelander, an deren Ende sich zeigt, dass auch im Mächtigsten letztendlich nur ein enttäuschtes Kind steckt, das bewundert werden möchte. Gerade die Dialogszenen mit dem Homelander sind absolut fesselnd und bestätigen einmal mehr, dass es keiner großen Action bedarf, um Spannung zu erzeugen. Manchmal genügen zwei Figuren in einem Zimmer.
Die Story überzeugt auf ganzer Linie: Bis in die letzte Nebenfigur werden psychologische Tiefen ausgelotet. Selbst die Supes sind weit davon entfernt, schlichte Abziehbilder ihrer populären Vorbilder bei DC und Marvel zu sein. Auch das Artwork bleibt trotz rotierender Zeichner stets auf hohem Niveau. Damit ist „Over the Hill with the Swords of a Thousand Men“ ein weiterer Höhepunkt in dieser manchmal etwas sperrigen Serie.
Wertung:
The Boys 11 – Over the Hill with the Swords of a Thousand Men (US)
Dynamite, Juni 2012
Text: Garth Ennis
Zeichnungen: Russ Braun, Darick Robertson (Cover)
Übersetzung:
152 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 19,99 USD
ISBN: 978-1-60690-341-4
Leseprobe
Abbildungen © Garth Ennis/Darick Robertson/Russ Braun