Dass der Comic-Erstling des Hamburger Künstlers mit dem sympathisch-zotigen Pseudonym ‚Andi Lirium‘ inhaltlich weniger im rebellischen, nonkonformistischen Geist des Punk steht, sondern eine Liebesgeschichte nach recht konventionellem Muster ist, verrät eigentlich bereits der zweite Teil des Titels. Nichts anderes als das alte, immer gut ziehende Thema von zwei Liebenden, die durch äußere und innere Hindernisse immer wieder getrennt werden, wird hier dargeboten – in diesem Fall immerhin mit zwei männlichen Protagonisten im Punk-Milieu. Da toben all dem nihilistischen Rumgepose zum Trotz die großen Gefühle und bluten die Herzen unter der tätowierten Brust. Ein paar Mal schrappt das gefährlich nahe an einem süßen, melodramatischen Punkpop-Kitsch vorbei. Auch die dem entgegenstehenden krassen Konterelemente in Form von exzessiven Gewaltausbrüchen, bedrückend düsteren Knastszenerien und markig zur Schau gestelltem Anarchogehabe wirken allesamt eine ganze Spur überzogen. Eine streng realistische Milieustudie darf man also nicht erwarten, aber dass die auf realen Vorbildern beruhenden Figuren und Orte überzeichnet seien, stellt der mit der Punkszene vertraute Autor schließlich bereits im Vorwort klar.
Akzeptiert man Punkrock Heartland als eine Art idealisiertes „larger than life“ Punkmärchen, dann liest sich diese charaktergetriebene Geschichte äußerst gut runter: Rasante Ort- und Zeitsprünge sowie kurze Abschweifungen in die Biografien einzelner Figuren schmücken die relativ simple Grundlage ansehnlich aus; die Protagonisten wirken trotz aller Klischees und Verklärungen in ihren Entscheidungen nachvollziehbar und dadurch doch wieder ehrlich und echt; und dann wären da noch die alles andere als schüchternen Sexszenen, die – wie in allzu vielen Comics (oder Filmen) – nicht bloß Selbstzweck sind, sondern als Teil der Geschichte funktionieren.
Die wahren Stärken des Comics liegen jedoch ganz klar in der visuellen Umsetzung der Geschichte. Das eng gehaltene, überbordende und ständig wechselnde Layout sorgt für unruhig brodelnde, ausdrucksstarke Comicseiten voller erzählerischer Wucht. Dazu kommt ein mutig-kreativer, teils experimenteller Umgang mit Lettering und Sprechblasen, wodurch nicht nur die Gefühle der Figuren, sondern auch sprachliche Eigenheiten wie zum Beispiel ein russischer Dialekt anschaulich transportiert werden. Wenn Punkrock Heartland irgendwo Punk ist, dann vor allem in dieser rauen, ungezähmten Bildsprache, koloriert in passend schmuddeligem Grau, Grün und Gelb, welche die Erzählkonventionen des Comics zwar nicht sprengt, aber auf teils provozierende Art ausreizt und so dem glatten Mainstream doch noch punkmäßig ans Bein pinkelt.
Erschienen ist Punkrock Heartland im auf schwule Literatur spezialisierten Männerschwarm Verlag, der auch einige Bände von Ralf König im Programm hat. Das bringt den Vorteil eines an der schwulen Liebesgeschichte interessierten Publikums, das den Comic im Programm eines reinen Comicverlags wahrscheinlich gar nicht entdeckt hätte. Im Umkehrschluss könnte es jedoch dazu führen, dass mancher Comicfan Punkrock Heartland als vermeintlich uninteressante Homo-Lektüre links liegen lässt. Das wäre jedoch genau wie im Fall von Königs Arbeit bedauerlich. Denn Andi Liriums Debüt ist vor allem eins: ein experimentierfreudiger, eigensinniger Comic, bei dem einen von jeder Seite der Spaß am Medium entgegen schreit.
Wertung:
Vor allem visuell rockender Comic, der beweist, dass Punks auch nur Romantiker sind
Punkrock Heartland
Männerschwarm Verlag, April 2010
Text & Zeichnungen: Andi Lirium
176 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 18 Euro
ISBN: 978-3-939542-92-6
Leseprobe
Abbildungen © Männerschwarm Verlag/Andi Lirium