Welt am Draht

Der Widerspenstigen Förderung

„Comic-Manifest“ – das klingt romantisch, nach Aufbruch, nach Bambule im Untergrund. In Wahrheit geht es bei dem Berliner Begehren um Fleischtöpfe, schnöde Planstellen und die Deutungshoheit einer sehr speziellen Lobby über den Comic-Begriff.

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Es gab Entrecôte mit Pfeffersauce, dazu zwei, drei Bier, vielleicht auch vier, und ehe sich ein Schreiberling aus Saarbrücken versah, hatte auch schon jemand seine Rechnung beglichen. Das war etwas unangenehm, trübte die Stimmung aber nur unwesentlich an jenem lauen Sonntagabend im Juni 2013, und den gesponserten Kaltgetränken folgte auch noch das eine oder andere selbst erworbene.

Apropos Menü: Der war auch da. Jean-Christophe Menu, Mitbegründer von L’Association, ebenso wie Comic-Prominenz aus Österreich, Finnland und Belgien, aus Berlin, Hamburg, Köln und Kassel, und obendrein der New Yorker Eric Drooker. Letzterer immerhin hielt sich im Rahmen eines vierwöchigen Lehrauftrags an der Saarbrücker HBK in der saarländischen Landeshauptstadt auf, und er blieb auch nicht so lange nach dem Essen.

So viele große Namen der Branche im kleinen Saarland? Das war zunächst: eine angenehme Überraschung. Leider jedoch war die dazugehörige Ausstellung im Saarbrücker Kultusministerium nicht unbedingt auffällig beworben worden, ebenso wenig wie das „Graphic-Novel-Symposium“ am folgenden Montag, Beginn 10:00 Uhr.

Und so rutschten die wenigen Zuhörer – wir reden von einer Zahl im niedrigen zweistelligen Bereich, lass es 30 gewesen sein – immer tiefer, während die Künstler ihre Projekte vorstellten und die Zeit verrann.

Am Ende, so gegen fünf, durfte Herr Menu, der zuvor die ganze Zeit tapfer und mit versteinerter Miene ausgeharrt hatte, noch im Schnelldurchgang irgendwas zu seiner Karriere erzählen. Obwohl die französische Grenze sich in Spuckweite befand, wurde Monsieur dabei gedrängt, doch bitte en anglais zu parlieren. Ob das die Auswahl des Bandshirts beeinflusst hatte, welches er an diesem Tag trug (große Aufschrift vorn: „You Kill Me“; große Aufschrift hinten: „No Means No“), sei dahingestellt. Vielleicht kann ihn ja bei Gelegenheit jemand fragen – dann bitte in seiner Muttersprache. Als Rausschmeißerin wurde noch Dominique Goblet auf die Bühne geschickt mit der Ermahnung, es möge flott gehen, während Eric Drooker im Hintergrund schon mal demonstrativ seine Klampfe einspielte. Er hatte für seinen Auftritt sogar Publikum mitgebracht.

Die eigens für die sonntägliche Vernissage und das montägliche Symposium angereisten Zeichner machten sich teilweise schon mittags während der Veranstaltung wieder auf den Nachhauseweg, was verständlich war, denn einige hatten einen sehr, sehr langen Weg vor sich.

Es soll also keiner behaupten, der Comic in Deutschland würde nicht bereits kräftig gefördert.

Natürlich: Es gab tolle Gespräche, das Essen und das Bier haben geschmeckt, und Gelegenheit, so viele namhafte Comicmacher auf einem Haufen anzutreffen oder kennenzulernen, erhält man nur sehr, sehr selten. Auch die Künstler selbst, die Kuratoren und Moderatoren haben einen guten Job gemacht, den Umständen entsprechend. Ein internationales Comic-Treffen im Saarland? Jederzeit gerne.

Aber wenn der Autor dieser Zeilen von einigen der Angereisten den Spitznamen „Das Publikum“ erhält, was nur mäßig übertrieben ist, dann wage ich zu behaupten: Die Mittel, die an jenen beiden Tagen in die Anreise, Unterbringung und Vergütung der 15 internationalen Comicschaffenden in Saarbrücken geflossen sind, hätte man auch sinnvoller investieren können.

Es hätte durchaus Künstler mit regionalem Bezug gegeben, die man hätte einbinden können. Bernd Kissel etwa, oder Erik, oder Flix. Das sind sicher keine kleinen Lichter im deutschen Comic, und die Vermutung, dass ihre Beteiligung vielleicht auch dafür hätte sorgen können, dass das Event von Menschen wahrgenommen und besucht wird, liegt nicht fern. Auch unter den Studenten der HBK Saarbrücken sind beim Thema Comic viel Begeisterung und Tatendrang vorhanden, was sich schon in mehreren vielversprechenden, in Eigeninitiative herausgegebenen Anthologien niedergeschlagen hat. Auch sie hätte man stärker involvieren können.

Entsprechen Comics wie die von Flix, Erik oder Kissel vielleicht nicht dem hehren Ideal der literarisch anspruchsvollen Graphic Novel, das offenbar so vortrefflich zur Akquise von Fördermitteln taugt? Man kann darüber spekulieren, ebenso wie über die Frage, ob es sich um einen Zufall handelt, dass es zwischen den Teilnehmern des Graphic-Novel-Symposiums und den Unterzeichnern des aktuellen Berliner Begehrens verblüffend viele Überschneidungen gibt. Vielleicht sieht man nun eine greifbare Chance, Mittel zeitnah und dauerhaft zum Fließen zu bringen.

„Comic-Manifest“ – das klingt schön romantisch, nach Aufbruch, nach Bambule im Untergrund von Leuten, die die Schnauze voll haben, sich unterbuttern zu lassen. In Wahrheit geht es bei dem Berliner Begehren aber um schnöde Fleischtöpfe, Planstellen und die Deutungshoheit einer sehr speziellen Lobby über den Comic-Begriff.

Es ist eine schöne Vorstellung, dass zur Verfügung gestelltes Geld „den Richtigen“ hilft und „den Comic“ in Deutschland fördert. Wenn das Saarbrücker Graphic-Novel-Symposium allerdings ein Vorgeschmack auf das war, worauf die Berliner Unterschriftensammlung abzielt – was aufgrund der Unterzeichner und Initiatoren ja nicht abwegig erscheint –, dann darf man das durchaus als Bedrohung für eine lebendige und organisch gewachsene Comic-Kultur verstehen.

Marc-Oliver Frisch ist freier Übersetzer und Autor und lebt in Saarbrücken.