Sasmira von Laurent Vicomte erinnert stellenweise stark an die Serie Die Reise ans Ende der Welt. Was natürlich nicht allzu verwunderlich ist, da der Autor und Zeichner jedes Mal der gleiche ist. Allerdings geht die Ähnlichkeit der beiden Serien schon in Richtung Selbstzitat, was Fans erfreuen, aber andere eher enttäuschen wird. Doch Sasmira wäre Unrecht getan, würde man es nur in Verbindung mit der anderen Reihe lesen, denn der Comic ist sehr poetisch und ähnelt damit eher den späteren Bänden der Reise als den ersten, rein fantasygeprägten Abenteuern.
Dabei gelingt es Vicomte, einen hohen Grad an Poesie zu entwerfen, ohne ein einziges Mal kitschig zu werden. Allein das ist schon eine hohe Kunst. Die Themen Zeitreise, unerwiderte Liebe und magische Anziehungskraft fand man allerdings auch schon in den übrigen Comics des französischen Künstlers. Angesichts der hervorragenden graphischen Umsetzung nimmt man das nur allzu gerne hin, denn wie Vicomte mit den Mitteln der bildlichen Erzählung spielt, ist einfach beispielhaft. Schon zu Beginn des ersten Bandes, wenn einzelne Verse über das Wesen der Zeit auf der graphischen Ebene mit verschiedenen Perspektivenfluchtpunkten korrelieren, gehen beide eine enge Symbiose ein. Das gibt nicht nur die Stimmung vor, sondern kann auch immer wieder Metaebenen schaffen. So ist die steinerne Figur im Regen nicht nur eine melancholische Ansicht voller düsterer Schönheit, sie scheint zu Beginn durch die ersten Regentropfen gar zu weinen und ähnelt in einem Zwischenpanel schon fast Darstellungen von Jesus. Religiös ist hier aber nichts angehaucht, vielmehr wird die zeitlose und bedingungslose Kraft der Liebe gepriesen. Aber auch die verschiedenen Blickwinkel und Perspektiven, die Vicomte einnimmt, verleihen der ganzen Serie eine große Klasse. Wie er vom bildlich-auktorialen Erzähler zur subjektiven Sicht der späteren Heldin wechselt, ist bezaubernd. Durch diesen hervorragenden Kniff wird sowohl Stimmung etabliert als auch gleich die Figuren eingeführt und mit wenigen Panels die Konstellation zwischen ihnen klar gemacht. Das ist wahre graphische Poesie.
Nachdem „Der Ruf“ in Frankreich ein großer Erfolg wurde, mussten die Leser fast 15 lange Jahre auf eine Fortsetzung warten, die Vicomte nur dank der Unterstützung von Co-Zeichner Claude Pelet gelang. Splitter veröffentlicht nun eine Neuauflage des ersten zeitgleich mit dem zweiten Band.
Die Poesie, die den Auftakt auszeichnete, fällt in „Der falsche Ton“ leider weitaus geringer aus. Auf den ersten Blick fällt es kaum auf, dass neben Vicomte noch ein weiterer Zeichner hinzugekommen ist, da stilistisch alles gleich bleibt. Nur die außergewöhnlichen Einfälle sind nicht mehr zu finden. Stattdessen wird in eindrucksvollem Dekor geschwelgt, was auch nicht zu verachten ist. Während also die Graphik mit dem ersten Band nicht mithalten kann, nimmt dafür die Story an Fahrt auf. Glücklicherweise entfernt sie sich von Die Reise ans Ende der Welt und geht nun ihre eigenen Wege.
Nachdem der Musiker Stan mit seiner Freundin Bertille im Laufe von Nachforschungen über ein Foto einer jungen schönen Frau in die Vergangenheit geraten ist, wollen sie, ja müssen sogar, herausfinden, wie es dazu kommen konnte. Und wie sie in ihre Gegenwart zurück reisen können. Denn Bertille gerät zunehmend in Gefahr und Stan erkennt, dass die schöne geheimnisvolle Sasmira, zu der er sich hingezogen fühlt, weitaus mehr Geheimnisse besitzt als gedacht.
Die Geschichte verlässt bekannte dramaturgische Bahnen und hält immer wieder überraschende Wendungen bereit, welche den Comic auch ohne Action sehr spannend machen. Die Figurenkonstellation, die vielen Fragen und die Twists in der Handlung faszinieren den Leser und lassen ihn die Alben nicht aus der Hand legen. Die Vorfreude auf den nächsten von insgesamt vier Teilen ist groß und es bleibt zu hoffen, dass dieser nicht wieder so lange auf sich warten lässt.
Wertung:
Die Story ist bisweilen ein Selbstzitat, doch ihre Umsetzung ist wahre graphische Poesie.
Sasmira
Splitter Verlag, Oktober 2012
Text: Laurent Vicomte
Übersetzung: Tanja Krämling
je 72 Seiten, farbig, Hardcover
Band 1: Der Ruf
Zeichnungen: Laurent Vicomte
Preis: 15,80 Euro
ISBN: 978-3-86869-479-6
Leseprobe
Band 2: Der falsche Ton
Zeichnungen: Laurent Vicomte, Claude Pelet
Preis: 14,80 Euro
ISBN: 978-3-86869-480-2
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Splitter Verlag