Rezensionen

W.E.S.T.

W.E.S.T. ist die Abkürzung für das „Weird Enforcement Special Team“, bestehend aus vier Veteranen des Wilden Westens. Allesamt sind coole, abgefahrene Typen, die nichts erschüttern kann, sei es die kurz bevorstehende, eigene Hinrichtung oder ein Russisches Roulette. Ihre Methoden sind rau, aber wirksam. Deswegen werden sie zusammengetrommelt und nach New York geholt. Denn ihr Feind ist noch weit gefährlicher und skrupelloser, als sie zunächst ahnen. Aber wer ist ihr Gegner? Sind es sogar die 100 einflussreichsten Männer der USA?

Schauplatz dieses Zweiteilers sind die USA Anfang des 20. Jahrhunderts. Es ist die Zeit des Umbruchs. Der technische Fortschritt hält Einzug in die neue Welt und verdrängt damit den Wilden Westen und seine Legenden. Die ersten Automobile sind unterwegs, Straßenbahnen verkehren, und Elektrizität soll von den Wasser-Kraftwerken an den Niagarafällen zu einer Ausstellung in Buffalo für 240.000 Glühlampen transportiert werden. Doch die Sicherheit des Präsidenten steht auf dem Spiel. Unerklärliche Morde bzw. Selbstmorde machen die Runde durch die bessere Gesellschaft von New York. Aus diesem Grund wird das Special-Team mit Veteranen aus dem Westen ins Leben gerufen. Diese stehen im krassen Gegensatz zu dieser aufstrebenden, modernen Metropole und der High Society, allen voran zu der Familie von Senator Lennox. Doch der Schein trügt. Hinter der glitzernden Fassade einer heilen Politiker-Welt herrscht das Grauen: die Frau trinkt, der Sohn ist opiumsüchtig, und der Senator giert nach Macht. In diese Welt kehrt Kathryn Lennox, die junge, emanzipierte Tochter des Senators, aus Europa zurück. Sie muss nach ihrer Ankunft Schreckliches miterleben. 

Die Autoren haben mit den beiden Alben einen spannenden, unterhaltsamen, aber auch anspruchsvolleren Mystery-Thriller geschaffen, der einen bis zum Showdown im zweiten Band immer mehr in seinen Bann zieht. Dorison und Nury versetzen den Leser in die Situation der Tochter, die mit Unverständnis in die Geschehnisse hineingezogen wird. Die fiktive Story ist anhand von tatsächlichen Ereignissen (Zugunglück von Paris im Bahnhof Montparnasse am 22.Oktober 1895, Panamerikanische Ausstellung in Buffalo im Jahr 1901) und real existierenden Personen („Teddy“ Roosevelt, Aleister Crowley) entwickelt worden. Ich mag es, wenn geschichtliche Ereignisse in eine spannende Erzählung eingebunden werden. Aufgrund des historischen Hintergrundes wirkt diese fantastische Geschichte viel authentischer.

Doch es funktioniert auch ohne Kenntnis der wahren Geschehnisse. Ein Geheimbund, Okkultismus und ein gutes Maß an Action sind die unterhaltenden Elemente. Die Politik und die damit verbundene Machtgier stimmen einen auch nach dem Ende des zweiten Bandes noch nachdenklich. Der Zyklus bietet somit Raum für Interpretationen des Stoffes und Spekulationen. 
Auch zeichnerisch sind die beiden Bände ein Hochgenuss. Ich fühlte mich stellenweise in die Bilder hineingezogen und konnte fast hören, wie das Beil auf mich zugeflogen kam, um dann mit einem lauten Krachen im Holz stecken zu bleiben. Bei vielen Panels kann man lange Zeit verweilen und noch mehr Details erkennen. Auch die Erzählweise der Bilder ist außergewöhnlich. Durch vereinzelte Aussparungen in der bildlichen Darstellung wird die Phantasie des Lesers angeregt. Einzelne Lücken muss man gedanklich ausfüllen, so dass Mitdenken gefragt ist. Ein schönes Beispiel dafür ist eine Szene beim Russischen Roulette im ersten Band. Es wird nicht gezeigt, wie Morton den Revolver abdrückt, sondern wie sich das Gesicht seines Gegenübers verändert, bis es anstatt „Peng!“ nur „Clic!“ macht. 

Ähnlich gut durchdacht scheint mir die Farbgebung, die auch vom Zeichner Christian Rossi stammt. So dienen Gelbtöne dazu, bestimmte Konfliktsituationen und Gefühle darzustellen. Besonders augenscheinlich wird dies, als Kathryn ihren Vater im zweiten Band anschreit.

Insgesamt sind die beiden Bände „Der Fall Babylons“ und „Century Club“ für mich sehr gelungene Kunst-Werke. Deshalb vergebe ich hier die Höchstnote.  

W.E.S.T. 1: Der Fall Babylons
ISBN 3-7704-2894-3
W.E.S.T. 2: Century Club
ISBN 3-7704-2895-1

Egmont Ehapa   
Text: Xavier Dorison und Fabien Nury,
Zeichnungen und Farben: Christian Rossi
je 56 Seiten, farbig, Hardcover
je 12,- Euro