Rezensionen

Unvergessene Zeiten

Cover von Unvergessene Zeiten

Andy Wicks will mit dem Rauchen aufhören. Nach einigen Fehlversuchen überredet seine Frau ihn, eine Hypnosetherapie zu versuchen. Ohne an den Erfolg der Maßnahme zu glauben, lässt sich Andy in Schlaf versetzen. Der Vierzigjährige findet sich plötzlich an seiner High School wieder, als Sechszehnjähriger mit Zahnspange und noch wallenden Haaren. Er irrt als Teenager durch die seltsam vertraute Umgebung, bis er das Ziel seiner Zeitreise zu erkennen glaubt: Um seine Zukunft zu verändern, darf er seine erste Zigarette auf dem bevorstehenden Abschlussball nicht rauchen. Bis dahin taucht er in seine frühere Gefühlswelt ein und bändelt mit seinem damaligen Schwarm an. Aber die Vergangenheit lässt sich nicht so leicht ändern und sein Problem liegt eigentlich anderswo.

Besonders in den Achtzigern waren Zeitreisen beliebt, die in die Jugend zurückführten. In Zurück in die Zukunft (1985) oder Peggy Sue hat geheiratet (1986) ging es von der Gegenwart der Achtziger noch zurück in die Fünfziger. Bei Alex Robinson geht es zurück in das Jahrzehnt, dem er seine Referenz erweist. Durch die Filme kennen wir allerdings den Erzählrahmen schon zur Genüge. Deswegen muss er noch einen draufsetzen: Raucher haben Schlimmeres zu bewältigen als die erste Zigarette. Bei seinem karikierenden Stil hätte das Potenzial zur Pointe gehabt, dass die Pubertät ein einziges Minenfeld ist, wo es auf eine Zigarette nicht ankommt.

Alex Robinson will aber etwas Tiefsinnigeres als eine Pointe. Comic Book Reviews sagte er: „Das Buch ist auf verschiedene Weise eine Metapher für Psychologie und den Therapieprozess: Man muss in die Vergangenheit eintauchen, um die Wurzel eines Problems zu finden. Ein anderer Impuls dazu war, dass ich zur Wurzel meiner eigenen Neurosen vordringen wollte.“ Das beschert uns eine melodramatische Wende zu Tod und Verdrängung. Die therapeutische Erkundungstour leidet dramaturgisch allerdings daran, dass auch wir die ganze Zeit keine Ahnung haben, wohin sie uns führt.

Seite aus Unvergessene ZeitenDie Atmosphäre und den Look der Achtziger hat Robinson wirklich gelungen eingefangen. Er ist darin selbst aufgewachsen. So konnte er sich darauf verlassen, in seinen Jahrbüchern genügend Stoff zu finden, um die Zeit wiederaufstehen zu lassen. Die Frisuren und Klamotten der Teenager sehen nicht so aus, als wären sie auf dem Weg zu einem Duran Duran- oder Madonna-Videocasting. Stattdessen tragen sie Sackpullis und Iron Maiden-Shirts, was Vorstadtschüler damals eben so getan haben. Bis zu diesem Punkt funktioniert Unvergessene Zeiten noch. Die altkluge Attitüde, mit der der erwachsene Andy Wicks sich als Teenager gebärdet, kommt allerdings bald zu häufig zum Vorschein, um nicht zu nerven. Der Horizont des Erwachsenen engt die Perspektive des Teenagers ein, statt sie zu erweitern.

Wenn Alex Robinson seinen tiefenpsychologischen Bombast auffährt, wird auch seine Bildsprache um einiges pathetischer und bedeutungsgeladener. Auf zwei gegenüberliegenden Seiten setzen sich die Gesichter von Andy und dem Gestorbenen aus spiegelnden Wasserflächen (Achtung: Selbsterkenntnis!), Tieren, Pflanzen und Impressionen zusammen. Das ist virtuos gezeichnet und sieht ganz hübsch aus, hat aber mit der Geschichte nichts mehr zu tun. So wünscht man sich beinahe ein wenig mehr naive Nostalgie herbei. Oder den distanzierten Blick von Robinsons Lehrer Will Eisner, der nie mit diffusen seelischen Archetypen hantierte. Das geht noch an, wenn man sie wie Jens Harder assoziativ mit Wissenschaftsbildern konfrontiert. Aber als Erzählung führt uns das zu keinem Durchbruch.

 

Wertung: 5 von 10 Punkten

Die stimmungsvolle Reise in die Achtziger führt in dröge Tiefen der Selbsterkenntnis 

 

Unvergessene Zeiten
Edition 52, Mai 2010
Text und Zeichnungen: Alex Robinson
128 Seiten, schwarz-weiß, Softcover mit Klappenbroschur
Preis: 12,- Euro
ISBN: 978-3-935229-67-8

Leseprobe (PDF)

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Abbildungen © Alex Robinson, der dt. Ausgabe: Edition 52