Singularity 7 war, wenn ich das richtig verstanden habe, Ben Templesmiths Debut als Autor und Zeichner eines eigenen Comics. Und es ist, ähnlich wie auch seine spätere Serie Wormwood, die Gentleman-Leiche, ein Beleg dafür, warum bestimmte Zeichner schlicht besser funktionieren, wenn sie mit einem fähigen Autor zusammenarbeiten. (Was leider auch fast zwei Jahrzehnte nach der „Image-Revolution“ immer wieder erwähnt werden muss.)
Singularity 7 lebt von einem: Dem Artwork Templesmiths, dem albtraumhaft-surrealen Strich, mit dem er Figuren und Landschaften in Szene setzt, den kräftigen Farbtönen (primär Grautöne und Rot), die die einzelnen Szenen prägen, seinen Idiosynkrasien, etwa den Fragmenten des Skripts die als schwache Lettern in einigen Panels durchscheinen, die seinen Zeichenstil so unverkennbar machen.
Nur fehlt Singularity 7 darüber hinaus jedwede Form von Geschichte, die das Artwork irgendwie stützt. Templesmiths Comic lehnt sich nicht an The Matrix an, es ist eher so, dass Singularity 7 den Film aufschlitzt, den Film ausweidet, sein Herz isst und dann seine Haut aufträgt. Und das auf visueller (der Lederfetisch der Protagonisten, die rotäugigen Tentakelnanomaschinen), wie auch auf inhaltlicher Ebene (letzte Menschen im Krieg gegen Maschinen, die unterirdischen Städte). Wäre Singularity 7 ein Film, er würde in der Videothek als Mockbuster neben so Filmen wie The Day The Earth Stopped, The Woods Have Eyes, Transmorphers oder Snakes on a Train stehen, darauf hoffend, dass ein Fan von The Matrix auf die äußeren Ähnlichkeiten hereinfällt oder gewillt ist, alles zu kaufen, was inhaltlich in diese Richtung kriecht.
Okay, das ist nicht ganz fair. Der Comic ist keine reiner Matrix-Rip-Off. Ein Schuß Screamers ist auch noch drin.
Natürlich gilt generell der Grundsatz: Besser gut kopiert als schlecht selbstgemacht. Nur eben nicht hier, denn hier greift das Credo: Wenn's aber auch noch schlecht kopiert ist, dann ist's richtig Mist. Und – Himmel, Herrgott, Sack Zement – ist das hier „richtig Mist“. Selbst mit Templesmiths Artwork hätte diese Geschichte nie einen Redakteur ohne massives Rewriting passieren dürfen. Templesmith zeigt, dass er weder Ahnung davon hat, wie man einen Spannungsbogen aufbaut, noch davon, wie man beim Leser emotionale Reaktionen erzeugt, und von Charakterisierung schon gar nicht.
In Ausgabe 1 wird Drachengesicht (falls die Figur einen richtige Namen hat, konnte ich ihn mir nicht merken) eingeführt, der im Verlauf dieser Ausgabe feststellt, dass er besondere Fähigkeiten hat. Okay, denkt man, die typische Einführungsfigur für die Leser. Jemand an dessen Wachstum wir teilhaben, jemand der da ist, damit die anderen Figuren Infodump abliefern können, ohne dass es forciert wirkt. Ein bekanntes Beispiel wäre … hmmmm, let me think about it … Neo aus The Matrix, vielleicht? Ab Ausgabe 2 allerdings verschwindet Drachenkopp dann mehr und mehr im Hintergrund und wird in der letzten Ausgabe relativ unzeremoniell abserviert, ohne an irgendeiner Stelle tatsächlich Einfluß auf die Geschichte genommen zu haben. Well, that was worth our time. Und im Vergleich zu den meisten anderen Figuren in dieser Geschichte, ist Drachenkopp damit quasi Charles Foster Kane.
Gunnar zum Beispiel wurde das Gesicht von den Nano-Maschinen weggefressen, was er auf jeder zweiten Seite mindestens drei Mal erwähnen muss, auf dass es auch nicht vergessen werde. Es ist wie ein Mantra: Meine Figur hat Tiefe, ihr wurde das Gesicht weggefressen, meine Figur hat Tiefe, ihr wurde das Gesicht weggefressen, meine Figur. Et cetera. Und zugegeben, auch das ist noch mehr Tiefe als die anderen Helden haben. Captain Anführer ist konstant schlecht gelaunt, Schwertschwingbraut ist asiatisch angehaucht und die blonde Frau in der Heldengruppe ist eine blonde Frau in der Heldengruppe. Dann gibt es noch einen Wissenschaftler, der im entscheidenden Moment erklärt, dass er Familie hat (für den 'emotionalen Impakt'), auch wenn er das vorher nicht einmal erwähnt hat (vielleicht könnte Anton Tschechow dem Herrn T. mal sein Gewehr ausleihen) und ein fünfzigjähriges Mädchen, das für die Mission wichtig ist, weil … ähm … weil der Wissenschaftler das an einer Stelle mal erwähnt. Also so beiläufig. Mit Nickeligkeiten wie Details hält sich Templesmith gar nicht erst auf.
Man kann Kindergartenkinder mit ihren Actionfiguren spielen sehen, die dabei eine tiefergehende Charakterisierung vollbringen als Templesmith hier. Achja, die Singularität, der Bösewicht der Geschichte, spricht einwandfreies „Verrückter mit Gottkomplex“. Man vergesse bitte das Wörterbuch „Deutsch – Klischee/Klischee – Deutsch“ nicht. Die Guten machen derweil sexuelle Anspielungen, Reden über Töten, Töten, Töten, Töten, Töten und Töten, mit Ausnahme von Gunnar, der das immer wieder aufbricht um – siehe oben – ein wenig zu jammern, dass ihm sein Gesicht weggefressen wurde.
Die eigentliche Geschichte ist so dünn über die vier Einzelausgaben geschmiert, dass kaum von einem Plot die Rede sein kann. (Hier die Cliff-Notes-Version: Walk, walk, swear, swear, kill, kill, walk, walk, swear, swear, kill, kill, suprise twist, swear, kill, die, end.) Templesmith hangelt sich in Ausgabe 1 bis 3 von einer Actionszene zur nächsten und streut dann in Ausgabe 4 ein paar Überraschungsmomente ein, die aber nicht zünden, weil er es versäumt hat in den vorherigen Ausgaben dafür zu sorgen, dass mir das Schicksal irgendeiner Figur in diesem Comic etwas bedeutet. Die Klimax sorgt derweil mit weiteren Klischees zunächst für Augenrollen und ihre Auflösung schließlich zu einem: „Okay. Das war's? Hm.“
Templesmith hätte sich seine offensichtliche Begeisterung für The Matrix lieber dadurch aus dem System arbeiten sollen, dass er ein paar Pin Ups und Sketches für die Wachowskis zeichnet. Singularity 7 als Comic in dieser Form hätte es nämlich wirklich nicht gebraucht. Selbst mit Templesmiths Artwork. Denn, seien wir ehrlich: Sieht seine Postapokalypse wirklich so anders aus als sein blutiger Schnee in Alaska oder seine Kerkerdimension in Wormwood? Eben.
Singularity 7
IDW Publishing, 2005
Text und Zeichnungen: Ben Templesmith
Trade Paperback; 104 Seiten; farbig; 19,99 US-Dollar
ISBN: 978-1932382532
Die „Story“ ruiniert ein brauchbares Artbook.
Abbildungen: © IDW Publishing