Rezensionen

Okko 1: Das Buch des Wassers

 Okko könnte der Titel eines der unzähligen Mangas sein, die nicht nur hierzulande, sondern auch bei unseren comicversessenen frankobelgischen Nachbarn einen hohen Grad an Beliebtheit besitzen. Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als ob die frankobelgischen Zeichner und Autoren stets ihr eigenes Ding machten, sich in den engen Grenzen ihrer ureigenen Schule verkrümelten und borniert ihre Verliebtheit in schöne Bilder pflegten. Doch entspricht das nicht der Wirklichkeit. So viel von der Comicszene auch geklagt werden mag über steigende Marktanteile fernöstlicher Comics, so zeigen viele der Künstler keinerlei Berührungsängste, im Gegenteil. Einflüsse des amerikanischen Underground wie auch der Superhelden-Comics wurden schon sehr früh und begierig aufgenommen und umgesetzt. Genauso ist es mit Stilelementen des Mangas. Bereits vor gut zehn Jahren gab es die ersten französischen Mangas auf dem Markt, und selbst anspruchsvolle, von der Kritik gefeierte Zeichner wie Baru (Autoroute du soleil) scheuen sich nicht, ihre Meisterwerke als Mangas zu bezeichnen.

Und so verwundert es nicht, dass HUB zu seinen Idolen neben dem altehrwürdigen Begründer des frankobelgischen Comics, Hergé, auch den japanischen Bildermagier Hayao Miyazaki zählt. Aber: Who is HUB? Hinter dem Namen verbirgt sich Humbert Chabuel, der seit vielen Jahren als Zeichner in verschiedenen Genres tätig ist, aber erst jetzt, mit der Serie Okko, sein Comicdebut präsentiert, das er nebenbei auch selbst getextet hat. Mit diesem Werk entführt er Leser und Betrachter nach Pajan, in ein fiktives, mittelalterliches Japan, in dem fantastische Dinge geschehen. Die Serie soll es in Frankreich dereinst auf fünf Abenteuer in Doppelalbenlänge, also zehn Einzelbände, bringen. Der Carlsen Verlag bringt die Abenteuer in fünf jeweils in sich abgeschlossenen Bänden, die zwei Originalalben enthalten. Bei einem Preis von 19,90 Euro spart man da zwar kein Geld, aber man spart sich das Warten auf den Abschluss eines Abenteuers.

Okko ist ein Ronin, also ein Schwertkämpfer, der sich für spezielle Aufträge anheuern und bezahlen lässt. Seine Spezialität ist die Dämonenjagd. Zu seiner Begleitung gehören der riesenhafte Noburo, der sein Gesicht hinter einer schrecklichen Maske verbirgt, und der Mönch Noshin, der die Kami, die Geister der Natur, beschwören kann, wenn er nicht zu besoffen dafür ist. Als der Fischerjunge Tikku ihn darum bittet, seine Schwester, die Geisha Kleiner Karpfen, die von Piraten entführt wurde, zu retten, lässt er sich auf eine eigentümliche Bezahlung ein: Für den Auftrag wird Tikku sein lebenslanger Diener.

Die kleine Schar kommt der Entführten mithilfe der Kami auf die Spur. Sie führt zunächst in das Casino einer verrufenen Hafenstadt. Doch Kleiner Karpfen ist nicht mehr in diesem Etablissement, nur noch die sterblichen Überreste ihrer Kolleginnen sind zu finden, an denen eine geheimnisvolle, riesenhafte „Kundin“ des Casinos ein Massaker verübt hat. Einem Hinweis folgend, schiffen sich die Gefährten zu einer weiteren Seereise ein, erleiden jedoch Schiffbruch und landen an den Gestaden einer unheimlichen Insel, die von dem Fürsten Satorro regiert wird, der die Schiffbrüchigen als Gäste aufnimmt. Eigenartig nur, dass das Geschlecht der Satorro schon vor Jahrhunderten ausgestorben ist, dass die Gastgeber Essig trinken und dass die Knechte kaum eines Wortes mächtig sind. Es stellt sich bald heraus, dass die Abenteurer dem Ziel ihrer Suche gefährlich nahe sind…

HUB erzählt ruhig und souverän einen stimmigen und spannenden Plot mit wohlgesetzten Höhepunkten, überzeugenden Dialogen und faszinierenden Figuren. Er lässt sich nicht zu unnützen Actionszenen hinreißen und verliert sich nicht in Nebensächlichkeiten und Details; er schmückt sein Werk mit Witz und Humor, ohne in Albereien abzudriften oder die Atmosphäre zu zerstören. Die Mischung aus Samurairomantik, Sword-and-Sorcery, Krimi und Geistergeschichte ist äußerst angenehm und ausgewogen. Brutal geht es manchmal zur Sache, ja, aber daraus werden keine Effekte gemacht, die Darstellung ist stilvoll und blendet elegant aus. In einem Panel wird die Klinge geschwungen, im nächsten schon liegt der Kopf auf dem Boden, eine saubere Sache.

Zu den bekannten Schwertkämpfen gesellen sich ein paar schöne, stimmungsvolle fantastische Schmankerl: Ein Bunraku, eine monströse Kampf-Marionette; die eigenwilligen Kami; magische Riesen und ein fliegendes Schloss. Alles aber schön unaufdringlich, geschmackvoll und dezent. Es entsteht ein angenehmer sense of wonder, der nicht auf Kosten der Geschichte geht. Sehr erfreulich.

Die Bilder besitzen ebenfalls die schon im Bezug auf die Handlung angesprochenen Tugenden Klugheit, Geschmack und Atmosphäre. In warmen Farben koloriert, weisen sie bei aller Dynamik eine Tiefe auf, die dem Auge und der Geschichte wohl tut. Die Gesichter der Figuren (wenn sie nicht von einer schrecklichen Maske verdeckt sind) weisen eine vielschichtige und dramatische Ausdrucksstärke auf. Allerdings reißen Dynamik und Dramatik einen hier nicht in einem Strudel aus Speedlines und Splashpanels dahin, sondern gehen mit einer eigentümlichen und eindringlichen Stille, mit einer Art Poesie vonstatten. Die Idole Hergé und Miyasaki sind insofern, wenn auch nicht vordergründig, durchaus in der tieferen Wirkung der Bilder heraus zu spüren.

Der Carlsen Verlag verzichtet zwar wie sein großer Kollege Ehapa weitgehend auf neues Material aus frankobelgischer Feder, es ist aber erfreulich, dass seine Auswahl bei den wenigen Titeln dann doch so wohl getroffen ist. Okko ist eine vorbildliche Entdeckung, die grafisch die Qualitäten des französischen Comics voll auslebt, dabei aber auch auf Plotebene makellose fantastische Unterhaltung bietet.

 

Okko 1: Das Buch des Wassers
Carlsen Verlag, Dezember 2006
Text und Zeichnungen: HUB
Farben: HUB & Stéphane Pelayo
96 Seiten; farbig; Softcover; 19,90 Euro
ISBN: 978-3-551-76795-0

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Bildquelle: comiccombo.de