Nachdem ich Katrin Baumgärtners Mundkopf zum ersten Mal gelesen hatte, fühlte ich mich nicht in der Lage, sofort eine Rezension zu schreiben. Der ganze Comic ließ mich mit einem extrem starken „What the fuck?“-Gefühl zurück, das dafür sorgte, dass ich beschloss den Comic nicht zu rezensieren, ehe ich ihn nicht ein zweites Mal gelesen hatte. Das habe ich nun getan.
Aber ehrlich gesagt, selbst nach dem zweiten Lesen fühle ich mich von Mundkopf noch überrumpelt. Das ist in diesem Fall aber durchaus nichts Schlechtes, es ist dieselbe Art von Verwirrtheit, die ich etwa mit einem Film wie Lost Highway in Verbindung bringe. Was vielleicht gar kein so schlechter Vergleich ist, denn wenn ich Mundkopf einem Genre zuordnen sollte, dann wäre „Lynchean mindfuck“ wohl der Begriff, den ich wählen würde.
Dass Katrin Baumgärtner dem Leser zu keinem Zeitpunkt hilft, das, was er da auf den Seiten vor sich sieht, zu begreifen, ist eine gute Entscheidung, die der Handlung des Comics zuträglich ist. Denn der Mix aus dreckiger Erotik, Kannibalismus und einem Abstieg in den Wahnsinn, der nicht mehr als schleichend bezeichnet werden kann, würde in jedem anderen Fall viel von seiner Durchschlagkraft verlieren.
Mundkopf bleibt über die gesamte Handlung (die damit anfängt, dass man erfährt, dass sich die Mutter des Protagonisten Manuel in seiner Jugend erschossen hat, dass er jetzt arbeitslos ist und seine Exfreundin in einer Kneipe trifft) hinweg äußerst dicht an der Gedankenwelt Manuels. Das Resultat ist, dass die verwischenden Grenzen zwischen Realität und Wahnsinn für den Leser ähnlich abrupt und fließend sind wie für Manuel. Jede Distanz, die eine erklärende Zwischenebene schaffen könnte, würde dem Comic viel von seiner grimmigen, direkten Wirkung rauben.
Die Frage, was nun real ist und was nicht, stellt sich für den Leser dadurch genau so, wie sie sich für Manuel stellt.
Die Wahnsinnsebene ist besonders im visuellen Bereich sehr schön umgesetzt worden. Der Comic setzt auf zwei Farben: Ein blutiges Rot und ein eiskaltes Blau. Beides Farben, die symbolisch sind für die Welt, in der Mundkopf spielt. Ein dreckiger Strich, der mich gelegentlich an Paul Popes Zeichnungen erinnerte. Die Wiederholung einer Schlüsselszene mit minimalen Änderungen und verschwurbelte Perspektiven tun ihr übriges, um dem Leser effektiv den Boden unter Füßen wegzuziehen. Oh, und dann sind da natürlich noch die namensgebenden Mundköpfe… bizarre Gestalten…
Eines sollte ich allerdings relativ deutlich sagen: Wer Mundkopf kauft, sollte sich im Klaren sein, dass er einen Comic erwirbt, der emotionalen Punch besitzt, der aber gleichzeitig extrem verwirrend ist. Wer gewillt ist, sich mit dem, was er liest, auseinander zu setzen, wer darüber nachdenkt, was da vor sich ging, wer bereit ist, ein wenig zu interpretieren und damit leben kann, dass er sich dann immer noch irgendwie überfahren fühlt, der wird mit Mundkopf gut klarkommen.
Wer simple und leicht verdauliche (no pun intended) Ablenkung sucht, der sollte den Comic aber meiden. Dafür ist wohl schon alleine das Grundthema zu finster. Wenn einen ein wenig Kannibalismus und ein paar durchaus harte Momente aber nicht abschrecken (und wie mir die DVD-Hülle von Ravenous verriet „Wenn du bist, was du isst, dann sind nur Kannibalen echte Menschen“), dann bekommt man mit Mundkopf eine verwirrende, trotzdem extrem wirkungsvolle Geschichte geboten, die einen verstörenden, aber (nicht nur visuell) interessanten Blick in die Psyche eines Mannes am Abgrund wirft.
Ein Comic, an dem sich vermutlich die Gemüter spalten werden – entweder man liebt ihn oder kann überhaupt nichts mit ihm anfangen.
Mundkopf
Zwerchfell Verlag, 2006
Text & Zeichnungen: Katrin Baumgärtner
61 Seiten, farbig; 7,- Euro
ISBN: 3-928387-78-2