Hunter S. Thompson hat die Natur von Präsidentschaftswahlen einmal als „von Grund auf bösartig“ bezeichnet, gleichzeitig aber anerkannt, dass sie auch eine „wilde und aufregende Zeit für Politikjunkies“ seien. Das ist eine Position, die ich vollkommen teile. Präsidentschaftswahlen sind in der Realität dermaßen spannend und dreckig, dass es schwer ist, eine ähnliche Dramatik in einer fiktiven Geschichte zu schaffen. Genau dies versucht Kaiji Kawaguchi allerdings in den 11 Eagle-Bänden.
Im Kern der Geschichte steht Takeshi Jo, ein kleiner Journalist für eine japanische Tageszeitung, der erfährt, dass der japanischstämmige US-Präsidentschaftskandidat Kenneth Yamaoka sein Vater ist. Er beginnt, Yamaoka im Wahlkampf zu begleiten, verliebt sich in dessen Adoptivtochter und muss außerdem herausfinden, was es mit dem Selbstmord seiner Mutter auf sich hat.
Jo ist ein eher schwachbrüstiger Hauptcharakter, der mir persönlich zu selbstmitleidig ist. Das scheint Herr Kawaguchi auch so gesehen zu haben, denn nach wenigen Bänden Eagle beginnt Jo mehr und mehr im Hintergrund zu verschwinden, und der Fokus wird stärker auf Senator Yamaoka gelegt.
Das Familiendrama funktioniert manchmal, an anderen Stellen wirkt es aber einfach nur künstlich. Und genau das kann man auch über die politischen Teile von Eagle sagen. Es gab Kapitel, bei denen ich wirklich gepackt wurde: Nach einem rassistischen Übergriff der Polizei wird die Unterstützung des afro-amerikanischen Bürgermeisters von New York plötzlich für die angehenden Kandidaten unglaublich wichtig. Was dieser natürlich weiß und zu seinem eigenen Vorteil ausschlachten möchte. In Szenen wie dieser oder in den Szenen, in der der amtierende Präsident versucht, seine Ehefrau für eine zukünftige Präsidentschaftskandidatur zu postieren, ist Eagle dann ein wirklich fesselndes Stück politischer Fiktion.
Leider wird das Ganze an anderer Stelle wieder ausgehebelt. Dass die noch amtierende First Family die Namen Bill und Ellery Clyton und der amtierende Vizepräsident den Namen Al Nore tragen, fand ich irgendwie störend. Figuren nach realen Charakteren zu modellieren ist eine Sache, aber wenn man ihnen dann auch noch derart ähnliche Namen gibt, dann wirkt das schon ein wenig kindisch. Zudem merkt man dem Comic sein Alter an. Die Politik, die Yamaoka vertritt, muss schon 2000 schwer zu schlucken gewesen sein. In Zeiten, in denen islamistischer Terrorismus zum Alltag gehört, in denen Asien sich zum Pulverfass entwickelt, und in Zeiten in denen ein Karl Rove und ein Dick Cheney die politischen Geschicke der USA leiten, wirkt die Politik Yamaokas leider komplett unglaubwürdig.
Wenn man erlebt hat, wie in den USA aus Senator John Kerry ein unwählbarer Liberaler gemacht wurde, dann erscheint es doch mehr als optimistisch, dass Yamaoka die Farmer in Texas mit einer einzigen Rede davon überzeugen kann, dass Waffenkontrolle nötig und ein geringeres Budget fürs Pentagon angemessen sei. Oder dass ihm ein ein uneheliches Kind angehängt wird, aber weder die Presse noch die Konkurrenz diese Affäre nach ihrer Aufklärung weiterhin gegen den Kandidaten Yamaoka verwenden. (Man vergleiche in der Realität den Skandal um John McCains „uneheliches Kind“.) Solche Situationen gibt es einfach zu häufig: Problem taucht auf, wird in einer flammenden Rede gelöst, und alle schlucken es. Das ist mir auf Dauer einfach zu simpel.
Das viel gelobte Insiderwissen von Herrn Kawaguchi kann ich in diesen Situationen nicht entdecken. Es ist ehrenwert, dass er allen seinen Figuren unterstellt, sie würden mehr oder weniger moralisch handeln, aber es passt nicht zur Realität von Präsidentschaftskampagnen. Insgesamt scheinen mir die politischen Details doch eher Oberflächenschmuck zu sein. Der Begriff „scorps“ für das Pressekorps ist, meines Wissens nach, kein klassischer Politikslang, sondern erst in Joe Kleins Primary Colors eingeführt worden. Hier kann ich mich aber auch irren.
Eines der schwerwiegenderen Probleme bei Eagle ist, dass es außer Yamaoka eigentlich kaum wirklich ernstzunehmende Charakter gibt. Sein Hauptkonkurrent Al Nore geht in diese Richtung, aber ansonsten fällt es schwer, wirkliche Tiefe in den Figuren zu entdecken. Das nimmt dem Drama ein wenig die Spannung. Besonders, wenn es in den letzten Bänden zum Duell zwischen Yamaoka und seinem republikanischen Konkurrenten Grant kommt, fällt auf, dass der eigentliche Wahlkampf viel zu kurz abgehandelt wird (gut drei Viertel der Serie drehen sich um die demokratischen Vorwahlen) und dass es Grant einfach an Charakter mangelt (erwarteter Kalauer: wie bei jedem guten Politiker). Dementsprechend ist das Duell zwischen den beiden Kandidaten nicht wirklich packend. Außerdem driftet man in den letzten anderthalb Bänden von der Politik weg und wendet sich einem Murder Mystery zu, was nicht unbedingt nötig gewesen wäre, nachdem zu dem Zeitpunkt schon die Politik und nicht mehr Takashi Jo im Mittelpunkt stand.
Unterm Strich ist Eagle sicher die beste Politikserie, die ich in Comicform kenne, aber als Konkurrenz fiele mir auch nur das frühe Transmetropolitan und der (sehr wohl lesenswerte) Superheldenbastard Ex Machina ein. Wenn sich Eagle mit politischer Fiktion wie etwa den ersten drei Staffeln von The West Wing oder mit Wag the Dog messen muss, dann sieht es schon schlechter aus. Da ist die Serie dann im Vergleich doch zu nett, zu optimistisch und zu oberflächlich. Und an die Dramatik einer realen Wahl kommt sie auch nie wirklich heran. Wenn man seine Dosis Politik unbedingt in Comicform haben möchte, dann ist Eagle – trotz, oder vielleicht auch weil es nicht zu tief geht – keine allzu schlechte Wahl. Ansonsten würde ich eher zu realen Wahlpublikation raten, zur Newsweek Campaign Edition 2004, zu James Carvilles und Mary Matalins All's Fair oder zu Thompsons Fear & Loathing on the Campaign Trail '72. Denn das Ziel, die Dramatik einer realen Wahl einzufangen, hat Kawaguchi leider nicht erreicht. Vielleicht ist es 2008 an der Zeit, dass ein echter Comicjournalist von den realen US-Präsidentschaftswahlen berichtet.
Eagle 1 bis 11
Ehapa Manga & Anime
Text und Zeichnungen: Kaiji Kawaguchi
pro Band: ca. 215 Seiten; 6,50 Euro