Rezensionen

Die Macht der Archonten 1

 

Die Macht der Archonten 1 – Genesis“Genesis“ nennt sich der erste Band der Serie Die Macht der Archonten, die im Original L’Histoire secrète heißt, also eine bisher „geheim gehaltene Geschichtsschreibung“ unserer Welt zum Thema hat. Sie stellt einen Spin-Off zu der ebenfalls aus der Feder Jean-Pierre Pécaus stammenden und ebenfalls bei Bunte Dimensionen erscheinenden Reihe Arcanes dar. In diesem Spin-Off soll die Herkunft der vier Kartensymbole geklärt werden, die in Arcanes eine Rolle spielen, und eine Variation unserer irdischen Geschichte zusammen fabuliert werden, die ganz entscheidend von diesen zaubermächtigen Karten beeinflusst ist.

Diese Geschichte nach Pécau sieht so aus: Dreitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung drückt der Schamane Wolf seinen vier Zöglingen, zwei Jungen und zwei Mädchen, jeweils eine Elfenbeintafel mit einem arkanen Symbol in die Hand. Er liegt im Sterben, weil sein Stamm von wilden Neandertalern niedergemacht und er selbst dabei verwundet wurde. Die Tafeln sind ungeheuer mächtig, und auf gar keinen Fall dürfen sie alle vier zusammen benutzt werden, sonst kommt großes Unheil über die Welt. Woher die Tafeln kommen, warum Wolf alle vier auf einmal besitzt und warum er sie nicht einsetzt, um seinen Stamm zu retten, das alles geht im Nebel der L’Histoire secrète verloren…

Die vier neuen Besitzer aber sind nicht so zimperlich, sie benutzen die vereinten Tafeln, um die Neandertaler in einem kernfusionsähnlichen Inferno zu vernichten. Als nächstes treffen wir die vier Tafelträger, die sich „Archonten“ nennen, im alten Ägypten im Jahre 1350 v. Chr. wieder. Es tobt eine Schlacht zwischen der Armee des Pharaos und den Hebräern, die unter Moses' Führung vor den Fleischtöpfen Reißaus nehmen wollen. Dyo, einer der Tafelträger, schlägt sich auf Seiten des Pharaos, sein Kollege Erlin unterstützt Moses Befreiungskampf. Den Rest der Geschichte kennt man oder man kann ihn nachlesen. Im Comic gibt es freilich etwas mehr Schlachten und Heere furchtbarer Bestien und Sandgolems, die das Ganze ein wenig aufpeppen. Und die Urheber der bekannten Plagen sind hier die beiden Archonten, die ihre Tafeln zum Einsatz bringen, wobei sich die Plagen nicht allein gegen die Ägypter, sondern bei Bedarf auch mal gegen die Hebräer selbst richten.

 

Den Reiz einer alternativen Geschichtsvariante oder einer in die Geschichte hineinfabulierten Verschwörungstheorie liegt in einer gewissen zwingenden Plausibilität; darin, dass die Alternative täuschend echt dargestellt ist. Hier sei auf die Comicserie Die zehn Gebote (auf Deutsch erschienen bei comicplus+) verwiesen, in der Frank Giroud die Geschichte einer sensationellen Entdeckung zeichnet: einer Version der biblischen zehn Gebote aus der Hand des Propheten Mohammed. Um diese Entdeckung ranken sich eine Reihe persönlicher Schicksale, die aufgrund überzeugender Recherchearbeit eine faszinierende Geschichte des europäischen 20. Jahrhunderts ergeben. Fiktion und Realität werden hier gegeneinander gespiegelt und zu einer künstlerisch-ästhetisch geformten Kritik verwoben. Besser als in diesem Beispiel kann man den Reiz solcher „Geheimgeschichten“ kaum fassen.

 

Von diesem Reiz nun findet sich in Die Macht der Archonten leider keine Spur. Gut, dieses Werk will natürlich auch nicht kritisch sein, sondern in erster Linie unterhalten, doch selbst das kriegt es so ganz ohne Reiz nicht hin. Das Problem, weshalb mich dieser Comic so gar nicht überzeugt, ist der haarsträubende Umgang mit historischen Fakten, oder besser gesagt mit Nicht-Fakten. Dadurch, dass kaum ein Detail in diesem Plot auf geschichtlichen Tatsachen basiert, funktioniert die Grundidee überhaupt nicht, die Sache verkommt zu einem halbgaren Fantasy-Kauderwelsch. Das ist, als ob einer eine (fiktive) Verschwörungstheorie zur Fußball-WM 2006 – mittlerweile ja ein historisches Ereignis – schreiben wollte, dabei aber sämtliche Mannschaften mit Fantasiespielern besetzen und im Endspiel Andorra gegen Bayern antreten lassen würde. Das Ganze hätte überhaupt keinen Sinn, keinen Reiz, und das Thema wäre verfehlt.

Und so geht der Autor dieses Comics vor, und das, obwohl er im Interview auf der Verlagsseite selbst behauptet: „Diejenigen, die eher etwas an einem anspruchsvollen Gedankenspiel mit der Geschichte interessiert sind, werden sicher bemerken, daß alle Personen und Ereignisse der sieben Bände der Wirklichkeit entspringen und daß ihre Handlungen und Taten minutiös wiedergegeben sind. Das war die Herausforderung, der ich mich stellte: die Geschichte als die Geschichte einer Konspiration neu zu interpretieren, ihren Ablauf jedoch zu respektieren.“

Ich konnte leider beim besten Willen nicht bemerken – obwohl ich mich durchaus zu den „eher etwas an einem anspruchsvollen Gedankenspiel mit der Geschichte“ interessierten Personen zähle -, dass irgendwelche Ereignisse oder Personen in diesem Comic historisch oder gar „minutiös“ dargestellt wären. Gestehen wir dem Autor noch zu, dass ihm sein Zeichner Igor Kordey die Neandertaler im Vorspann untergeschoben hat, die 3000 v. Chr. etwas spät dran sind. Zum Jahr 1350 v. Chr. aber heißt es im Text, dass ein neuer Pharao auf den Thron kam (Zitat aus der Bibel). Und welcher „minutiös“ wiedergegebene Pharao war das? Irgendeiner, „Pharao“ halt. Dass nach der Meinung vieler Forscher in diesem Jahr der vielleicht berühmteste und durch die Einführung eines monotheistischen Glaubens herausragende Echnaton bereits auf dem Herrscherthron saß, ist Pécau bei all seinem bekundeten Respekt vor dem Ablauf der Geschichte total egal. Dieser „Pharao“, halt, wird ja sowieso auf Seite 22 getötet, landet also nicht im Ablauf, sondern im Abfluss der Geschichte. Der Auszug der Hebräer aus Ägypten ist, wenn er denn überhaupt je statt gefunden hat, entweder viel früher oder einige Jahrzehnte später anzusiedeln, das kümmert Pécau jedoch ebenfalls nicht.

Ein anderes Beispiel, das stutzig macht: warum nennen sich diese Tafelträger ausgerechnet „Archonten“? Weil sie ein besonderes Faible für griechische Geschichte hatten, die erst ein paar Jahrhunderte später so recht beginnt, zumindest was Archonten, Strategen und Hopliten angeht, die auf Seite 37 als Hilfstruppen der Hebräer auftauchen? Diese Begriffe stammen aus der Welt der griechischen Polis, die sich erst viel später entwickelt hat, ja selbst der Trojanische Krieg war zu der Zeit, in der der Comic spielt, wahrscheinlich noch nicht geschlagen.

Die historisch gesicherten Fakten scheren den Autor offensichtlich nicht. Die sähen ungefähr so aus: Jahwe als Gottesname und einziger Gott des Volkes Israel taucht erst ein paar Jahrhunderte später auf. Das hält Moses allerdings nicht davon ab, im Comic zuweilen lauthals „Jahwe“ zu rufen. Man könnte hier etwas laxer im Urteil sein, und einfach sagen, der Autor halte sich an die Bibel anstatt an die Archäologie. Dann aber dürften auf Seite 45 nicht drei Priester auftauchen, die selbst nach der Bibel erst einige Zeit später, nämlich nach Moses Aufenthalt im Sinai, eingesetzt wurden. Vor der Teilung des Schilfmeeres haben die beim besten Willen noch nichts verloren. Man fragt sich verzweifelt, aus welcher Wirklichkeit sie denn nun entsprungen sind?

Nein, Pécau hält sich auch an die (fiktive) Geschichtsschreibung der Bibel mit keinem Jota: „Dreimal seid Ihr Dyo entgegengetreten, um mein Volk zu retten“, sagt Moses auf Seite 21 zu Erlin. Der antwortet: „Richtig … Die Dürre, die Seuchen, und schließlich die Sintflut.“ Wer auch nur einmal die Kapitelüberschriften einer Bibel überflogen hat, dem geht da der ganze Spaß vor die Hunde. Sollte Erlin hier die Sintflut meinen (und es gibt einfach mal keine andere), dann hat sie mit dem Volk Moses leider nicht das geringste zu tun. Sollte er aber die ersten drei Plagen meinen, die über die Ägypter kamen (was meine etwas hilflose Vermutung ist), dann hat sich einer gewaltig verlesen, denn von den genannten Katastrophen sind einzig „die Seuchen“ unter den zehn Plagen zu finden. Doch allein die Tatsache, dass der Band „Genesis“ heißt, deutet meines Erachtens darauf hin, dass dem Autor zu seinen Recherchen unglücklicherweise keine Bibel zur Verfügung stand, denn die hier beschriebenen Ereignisse finden sich im Buch „Exodus“. Ein Grund, den Comic „Genesis“ zu nennen, ist mir, auch bei fleißigem Suchen im Text, nicht unter die Augen gekommen.

Genug der Beispiele. Diese babylonische Faktenverwirrung ist ärgerlich, denn die Geschichte, die hier eine fantastische Alteration erfahren soll, ist hanebüchen und ohne jeden erkennbaren Zusammenhang mit biblischen oder historisch-archäologisch gesicherten Fakten (sieht man einmal von den beiden Namen Moses und Aaron ab). Sie ist selbst schon fantastisch, so dass überhaupt kein besonderer Effekt entsteht außer dem, dass fantastischer Humbug auf fantastischen Humbug gehäuft wird. Da wäre es klüger gewesen, gleich eine reine Fantasymär zu schreiben, wo arkane Täfelchen und gerufene Gottesnamen, Neandertaler und Hopliten kein Problem darstellen. Am besten geschüttelt und nicht gerührt.

 

Zu retten wäre der Plot vielleicht noch durch gute Dialoge, die könnten für etwas gute Unterhaltung sorgen, auch wenn man seinem Interesse „an einem anspruchsvollen Gedankenspiel mit der Geschichte“ nicht mehr nachgehen mag. Aber spätestens, wenn Erlin auf Seite 37 sagt: „Sei aber versichert, dass ich mehr als nur ein Ass im Ärmel habe“, ist der Traum von guten Dialogen auch ausgeträumt. Es sei denn, man träumt nachts von pokernden Ägyptern aus der Pharaonenzeit, was Pécau vielleicht macht, denn ein paar Seiten später schon spielt die Wüste „ihnen [den Hebräern] in die Karten“. Der Leser hat bei diesem Spiel jedenfalls nur Nuschen auf der Hand.

Die Bilder von Igor Kordey finden sicher ihre Bewunderer, dieser Zeichner hat ja durchaus seine Fans. Mir sind sie allerdings zu steif und blutleer.

Als Kind hatte ich ein paar Hefte einer Bibel in Comicform, da war der Exodus natürlich auch drin. Doch – und da nützt alle Macht der Archonten nichts – war die Geschichte da viel schöner und unendlich viel spannender. Schade um den Versuch, aber: Exodus – Exitus.

 

Die Macht der Archonten 1 – Genesis
Bunte Dimensionen, Dezember 2006
Text: Jean-Pierre Pécau
Zeichnungen: Igor Kordey
Farben: Carole Beau
48 Seiten; farbig; Hardcover; 13,- Euro
ISBN: 978-3-938698-61-7

enttäuscht und scheitert an seinem eigenen Anspruch

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Bildquelle: comiccombo.de