Rezensionen

Die Blueberry-Chroniken 3

blueberry-chroniken3 Ein wundervolles, sehr verdienstvolles Projekt sind die Blueberry Chroniken des Ehapa Verlages, die endlich alle Blueberry Geschichten, die von Jean Giraud entweder gezeichnet oder getextet wurden, in zwölf Hardcoverbänden vereinigt. Bisher musste man sich durch die teilweise verwirrende Nummerierung der Einzelalbenreihe ein wenig durchkämpfen, nun aber werden die Abenteuer des nimmermüden Helden in der Chronologie der Handlung präsentiert.

 
Die Reihe um Leutnant Blueberry beginnt also mit einem Sammelband mit Kurzgeschichten aus Die Jugend von Blueberry, entstanden Ende der Sechzigerjahre. Dann folgen die Leutnant Blueberry-Comics, die ursprünglich ab 1963 in verschiedenen Magazinen herauskamen und mit Pausen bis in die Achtzigerjahre fortgesetzt wurden. 1989 starb Jean-Michel Charlier, der bis dahin die Abenteuer Blueberrys getextet hatte, mitten in der Arbeit am letzten Leutnant Blueberry-Album „Arizona Love“. Giraud textete nun selber die drei Bände Marshal Blueberry, die von William Vance und Michel Rouge gezeichnet wurden, und schuf in jüngster Zeit mit Mister Blueberry einen Zyklus komplett aus eigener Feder.

 
Der mir vorliegende Band 3 der Chroniken, „Der verlorene Reiter“, versammelt die drei Alben „Das Halbblut“, „Die Spur der Navajos“ und „Der Sheriff“ (das sind die Bände 4 bis 6 der Ehapa-Albenreihe). Erstmals veröffentlicht wurden diese Geschichten 1965 und 1966.

 
„Das Halbblut“ und „Die Spur der Navajos“ sind die letzten beide Teile eines auf fünf Alben angelegten Erzählzyklus (die ersten drei Teile versammelt Band 2 der Chroniken). Die Armee ist im Krieg mit den Apachen, doch der Präsident möchte, dass mit dem Häuptling Cochise ein Frieden ausgehandelt wird. Das ist die Ausgangssituation von „Das Halbblut“. Leutnant Blueberry wird als Unterhändler losgeschickt, doch um zu Cochise zu gelangen, benötigt er seinen Freund als Führer, das Halbblut Crowe-Blaurock. Der verbitterte und rachsüchtige Apachenkrieger Einsamer Adler versucht Blueberry mit allen Mitteln von seinem Ziel abzuhalten. Doch zusammen mit dem versoffenen Prospektor Jimmy McClure gelingt es Blueberry, Crowe zu finden, der ihn nach Mexico zu Cochises Lager führen will.

Kaum sind sie in Mexico, geraten sie in die Hände des schurkischen Gouverneurs Armendariz, der mit Einsamer Adler im Bunde ist. Er plant, die Apachen mit einer großen Menge modernster Waffen zu versorgen. Der Krieg der Apachen gegen die US-Armee soll ihm den Weg nach Texas ebnen, das er Mexico wieder einverleiben möchte.

Nachdem die Helden sich befreien konnten, starten sie in „Die Spur der Navajos“ ein großes Projekt. Cochise wäre bereit, Blueberry anzuhören, aber einem Frieden würde er wohl kaum zustimmen, da Armendariz ihn bald mit den Waffen beliefern wird. Also macht Blueberry sich zu der verlassenen Mine auf, in der die Waffen gelagert werden, um das ganze Arsenal in die Luft zu sprengen. Nach einem turbulenten Showdown in und um die Mine kann der Friede endlich eingeläutet werden.

„Der Sheriff“ ist ein Einzelabenteuer, das nach dem fünfbändigen Marathon wie eine Erholung wirkt, zumal es auch etliche humoristische Züge hat. Die Bande um den Verbrecher Sam Bass terrorisiert den Ort Silver Creek, darum wird Blueberry von dem verzweifelten Stadtrat als Sheriff angefordert. Als Hilfssheriff fungiert die Schnapsdrossel McClure. Blueberry bekommt die Situation zunächst in den Griff, aber dann tappt er in eine Falle, und seine Helfer vermasseln den Rest. Doch Blueberry ist genau der richtige Typ für ausweglose Situationen, und so wird doch noch alles gut …

 
Diese ausweglosen Situationen sind geradezu ein Markezeichen Jean-Michel Charliers. Es gibt kaum einen, der seinen Helden so virtuos durch Hochs und Tiefs führt, dem es immer wieder gelingt, eine ungeheure Spannung aufzubauen, eine Story über fünf Bände so packend zu erzählen. Freilich folgt er einem Schema, wenn er Blueberry von Triumph zu Schlamassel führt und das immer wieder. Aber er ist dabei so einfalls- und variantenreich, dass es immer wieder Spaß macht.

 
Diese frühen Blueberry-Abenteuer sind Kinder ihrer Zeit, der Sechzigerjahre. Das heißt, sie kommen etwas betulich daher. Alles, was die Figuren machen, erklären sie dem Leser in den Sprech- oder Gedankenblasen, auch Offensichtliches. Die Bösen werden schön altmodisch „Schurken“ und „Halunken“ genannt, haben aber die Angewohnheit, dem gefesselten Blueberry ihre Pläne und Tricks ganz ausführlich zu verklickern, bevor sie ihn dann umbringen würden, wenn er sich nicht vorher schon wieder befreit hätte. Doch Charlier ist ein viel zu brillanter Szenarist, als dass diese Konventionen des Sechzigerjahre-Comics den Lesespaß beeinträchtigen könnten. Man kann diese Geschichten deshalb getrost als Klassiker bezeichnen.

 
Wer die Werke von Girauds Alter Ego Moebius im Kopf hat, mag vielleicht etwas enttäuscht sein von den auf den ersten Blick braven Zeichnungen. Und dennoch wird schon in diesen frühen Westernpanels Comicgeschichte geschrieben. Auf den ersten Seiten finden sich noch Steifheiten bei den Figuren in Dialogszenen, doch die Szenen mit Bewegung sind bereits auf der Höhe damaliger Comickunst. Ganz zu schweigen von den stimmungsvollen, detaillierten Hintergründen, hauptsächlich natürlich den Landschaftspanoramen.

 
Allmählich, von Band zu Band, wird die Grafik ausdrucksstärker, plastischer, virtuoser. Einer der Höhepunkte ist die Doppelseite 104/105, wo rechts die Explosion der Mine und links die Flucht Blueberrys durch die brennende Minenstadt gezeigt wird. Durch geschickte Lichtregie und Bewegungsakzente entsteht hier eine mitreißende Dichte und Dramatik. Mit der Figur des McClure gelingt Giraud in diesem Band auch sein erster herrlich grotesker Charakter. Es ist erstaunlich, auf diesen Seiten verfolgen zu können, wie sich ein solide gezeichneter Abenteuercomic allmählich in einen meisterhaften Augenschmaus verwandelt. Schier unglaublich ist dabei die Tatsache, dass dies erst der Anfang ist, dass die späteren Arbeiten Girauds bzw. Moebii (oder Moebiuses?) diese frühen Comics noch um ein Vielfaches übertreffen.

 
Die Blueberry-Chroniken bieten gegenüber den alten Albenausgaben eine neue – gute – Übersetzung, neues – besseres – Lettering und eine restaurierte – überhaupt kein Vergleich, geradezu eine Offenbarung! – Kolorierung, weshalb sich die Anschaffung auf jeden Fall lohnt, auch wenn man die Alben schon besitzt.

 

Die Blueberry-Chroniken 3: Der verlorene Reiter
Ehapa Comic Collection, Oktober 2006
Text: Jean-Michel Charlier
Zeichnungen: Jean Giraud
160 Seiten, farbig, Hardcover; 29,- Euro
ISBN 3-7704-3050-6


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Bildquelle: ehapa-comic-collection.de