Rezensionen

Angela

AngelaDie Franzosen und Belgier lieben Western, was man am Ausstoß von Comics dieses Genres leicht ersehen kann. Und diese Liebe führt nicht nur zu einer steigenden Unzahl an Westerncomics, sondern auch zu immer ausgefalleneren Variationen und Spielarten derselben und zu einigen wirklich großartigen Highlights und Kunstwerken. Einer dieser Höhepunkte heißt Angela und liegt seit Ende letzten Jahres bei Bunte Dimensionen auf Deutsch vor.

Auf dem Cover sieht man Buffygleich ein wohlgestaltetes Wildwestmädel mit Revolver in der Hand, bekrönt mit dem übergroßen Schriftzug „Angela“ in einem Schrifttyp, der nach Saloons und Cowboys riecht. Allesamt optische Reize, die zwar wohlgefällig sind, den Betrachter aber assoziationsmäßig auf die falsche Fährte locken. Denn bei dem Comic handelt es sich nicht um die Abenteurer einer Revolverheldin, die zwischen Zeugenbergen dem Sonnenuntergang entgegen reitet und auf Ganovenjagd geht, sondern um eine schlichte (Familien-)geschichte, die Westernklischees geschickt variiert bzw. konterkarikiert und mit Elementen eines Crime Noir Thrillers aufmischt. Und das hübsche Mädel auf dem Cover hat darin zwar die wichtigste, aber bei weitem nicht die Hauptrolle.

Angela wächst auf und geht zur Schule in einer kleinen Stadt im Westen, die darauf wartet, an die transkontinentale Eisenbahn angeschlossen zu werden. Die Explosionen beim Tunnelbau erschrecken sie, aber sie weiß sich geborgen im Kreis ihrer Eltern und Großeltern. Sie möchte Sheriff werden, aber nur, weil sie dann den ganzen Tag auf einem Pferd reiten kann. Die Idylle ist perfekt, bis eines Tages Jason auftaucht, der ehemalige Geliebte von Angelas Mutter Joyce. Nach einem Aufenthalt im Gefängnis und der Teilnahme an der Revolution in Mexico kehrt er zu Joyce zurück, um sie zu seiner Goldmine mitzunehmen. Da ertappt sie der Ehemann, und es kommt zur ersten Katastrophe im Leben Angelas.

Nach dem Tod des Vaters zieht Joyce mit ihrer Tochter zu Jason, wo sie ein armseliges Leben führen, weil die Mine nichts abwirft. Hier wächst Angela zu der jungen Frau heran, die man auf dem Cover sieht, und lernt mit dem Gewehr zu jagen, zu reiten und vieles mehr. Auch dieses weniger idyllische Leben geht zu Ende, als ein ehemaliger Mithäftling Jasons auftaucht und ihn für einen Zugüberfall einspannen will. Angela wird an dem Unternehmen beteiligt, doch als man gerade dabei ist, sich den Raub aufzuteilen, zeigt sich, dass die Aktion einen Fehler hatte. Es kommt zu einem schrecklichen Blutbad. Das Ende ist anders als erwartet, aber wunderschön, geradezu die Krönung des Ganzen, doch darf und kann es hier nicht verraten werden.

Hier ist ein gutes Team am Werk, das aus erprobten Meistern der Zunft besteht, und das merkt man dem Comicalbum deutlich an. Daniel Pecqueur ist hierzulande vor allem als Autor von Golden City (Epsilon-Verlag und Splitter-Verlag) bekannt, erlangte meine große Bewunderung aber mit der bitterbösen Destruktion des American Dream in Thomas Noland (Splitter). Olivier Vatine ist unter anderem Schöpfer von Aquablue (Ehapa und Feest) und überzeugte mich seinerzeit schon einmal mit einem Western: 500 Gewehre bei Feest.

In Angela nun gelingt den beiden eine kurzweilige, spannende und zugleich unaufdringlich intelligente Story. Kein Detail wird in der Darstellung zu lange ausgetappt, wie das oft geschieht, und die Handlung spinnt sich zügig, aber nicht hastig fort. Das liegt auch daran, dass sich die Autoren auf Details zu beschränken wissen, die für die Handlung und für die Charakterzeichnung wirklich notwendig sind, und sich nicht in Nebensächlichkeiten verlieren. So ist zum Beispiel die Beschreibung des kindlichen Idylls bei den Eltern – die Autoren nehmen sich dafür so vier bis fünf locker gefüllte Seiten Raum – im weiteren Verlauf der Geschichte immer wieder von teilweise sogar entscheidender Bedeutung, wodurch sie enorme Spannung erhält, obwohl sie ganz ohne Action auskommt.

Die Titelheldin steht die meiste Zeit im Hintergrund, Entscheidungen werden – bis auf die allerletzte Seite! – immer von anderen getroffen. Sie ist Beobachterin, Opfer, Spielball. So zeigt sich an ihr auf faszinierende Weise die Spannung zwischen der idyllisch-gutbürgerlichen Welt der Kleinstadt und der Welt der Glücksucher und Gesetzlosen, zwischen denen sie nicht die Möglichkeit einer Wahl bekommt.

Die anderen Figuren, Joyce und Jason vor allem, bestimmen die Handlung. Auch in der Charakterisierung dieser beiden Protagonisten wird das Spannungsfeld zwischen Wohlanständigkeit und Gesetzlosigkeit superb illustriert. Und zwar dadurch, dass eine Schwarz-Weiß-Zeichnung der Typen vermieden wird: Als Jason in die heile Familie eindringt, um Joyce mitzunehmen, ist er es, der die gesetzlose Seite verkörpert. Doch später ist es die gute Mutter Joyce, die Jason dazu anstachelt, bei dem Überfall mitzumachen. Mit diesem Hin und Her von Recht und Unrecht, von Leseranti- und -sympathien treiben die Autoren ein freches, virtuoses Spiel. Sie sind auf eine provozierende Art nicht zu fassen – außer auf der letzten Seite… Es ist erstaunlich, mit welcher Bravour den beiden auf 56 Seiten ein einerseits komplexes, andererseits aber flottes Lesevergnügen gelingt, Hut ab!

Die Bilder sind das Sahnehäubchen auf dem Comicgenuss, den dieser Band bereitet. Die Figuren werden leicht comichaft stilisiert dargestellt, ansonsten ist viel Raum für Atmosphäre, Farben und Dynamik. Die Hintergründe laden – zumal bei Landschaften – zum Verweilen ein. Über etliche Seiten lässt Vatine dicke, melancholische Schneeflocken rieseln, und das Bild einer Leiche, mit Abdrücken und Blut im tiefen Schnee, atmet eine herbe Poesie, wie man sie im Comic nicht alle Tage erlebt. Ob Gewaltszenen, Panoramen oder die schönen Rundungen der Titelheldin, alles ist überzeugend und nicht überzogen, eindringlich, aber nicht aufdringlich dargestellt.

Volle Wertung bekommt der Comic von mir letztlich auch wegen seiner letzten Seite, die ich nicht verraten darf. Über den ganzen Comic hinweg spürt man die Freude der Autoren, den Leser nicht nur zu unterhalten, sondern auch durch die Uneindeutigkeit von Recht und Unrecht ein wenig zu provozieren. Mit der letzten Seite beziehen sie Stellung. Den Hardcorefans von Crime-Noir-Thrillern, die bekanntlich den harmlosen Leser mit bösen Überraschungen dreckig zu erwischen suchen, wird das vielleicht nicht gefallen, aber mich versetzt es in Entzücken! Dieser Comic erwischt am Ende die Crime-Noir-Fans dreckig. Wer nun wissen will, von was ich hier schreibe, der hole sich Angela aus dem Laden und lese selbst. Unbedingt!

Angela
Bunte Dimensionen, Dezember 2006
Text: Olivier Vatine, Daniel Pecqueur
Zeichnungen: Olivier Vatine
Farben: Isabelle Rabarot, Olivier Vatine
56 Seiten, farbig, Hardcover; Euro 15,-
ISBN: 978-3-938698-00-6

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