Rezensionen

Aldebaran 1-5

Science-Fiction verbindet man spätestens seit der Zeit von Star Trek und Star Wars gerne mit riesigen Raumschiffen und spektakulären technischen Erfindungen, mit Weltraumschlachten und feindlichen Aliens. Wer das vom fünfteiligen Aldebaran-Zyklus erwartet, könnte enttäuscht werden. Aldebaran ist das genaue Gegenteil. Man fühlt sich eher in die Vergangenheit zurückversetzt. Es geht nicht um Hochtechnologie, sondern um das (Über-)Leben auf einem fremdartigen Planeten mit seiner fantastischen, aber teils auch sehr gefährlichen Flora und Fauna.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht jedoch ein noch viel geheimnisvolleres Wesen: der Mensch mit all seinen Facetten.

Die Menschheit hat den großen Sprung geschafft und einen fremden Planeten besiedelt; Aldebaran-4, der 64 Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Doch nach einiger Zeit ist der Kontakt zur Erde abgebrochen, so dass die Zivilisation von Aldebaran seit 100 Jahren isoliert ist. Fernab von der Erde hat sich auf Aldebaran eine einfache Zivilisation entwickelt. In einem kleinen, beschaulichen Fischerdorf leben unbeschwert Kim Keller (13) und Marc Sorensen (17). Eine Katastrophe macht aus diesen beiden Teenagern eine ungewollte Schicksalsgemeinschaft, die sich zusammen gegen eine teils feindliche Natur und gegen eine diktatorische Regierung durchschlagen muss. Der Leser begleitet die Jugendlichen auf ihrer Reise über den Planeten und lernt mit ihnen die fantastische Natur dieser Welt kennen.

Mit viel Einfallsreichtum hat Luis Eduardo de Oliveira (Leo) beeindruckende Lebensformen und Landschaften geschaffen wie z. B. einen Sandtintenfisch, einen Caravelli (der eine Kombination zwischen Ballon, Drache und Dinosaurier ist) oder die geheimnisvolle Mantrisse in ihren vielfältigen Erscheinungsformen. Die Faszination von Aldebaran beruht also nicht auf irgendwelcher Wundertechnik, sondern auf der Erkundung und Erforschung einer unbekannten Welt.

Aus der Sicht der Teenager wird dem Leser aber auch ein grausames, tyrannisches politisches System vorgeführt. Mit großer Vehemenz lernen die beiden die auf dem Planet herrschende Diktatur kennen. Polizei und Priester als Symbole der Staats- und Kirchenmacht führen ein totalitäres Regime, in dem die Presse- und Kunstfreiheit eingeschränkt ist, Unschuldige verfolgt und ohne Prozess auf Dauer inhaftiert werden und sogar Frauen zur Schwangerschaft gezwungen werden sollen. Alles geschieht aus Sicht der Tyrannen nur zum Wohl des Volkes, damit das Überleben auf Aldebaran gesichert wird. Dass ein Überleben grundsätzlich auch ohne Tyrannei möglich wäre, zeigt Leo am Anfang des ersten Bandes mit dem kleinen Fischerdorf.
Mit den Schilderungen verarbeitet Leo, der 1944 in Rio de Janeiro geboren wurde, seine Erfahrungen aus Südamerika.

Doch die Teenager entdecken nicht nur diese Welt, sondern auch die erste große Liebe und machen die ersten sexuellen Erfahrungen. Die daraus entstehenden zwischenmenschlichen Beziehungen und Konflikte nehmen weite Teile der Geschichte ein. Leo greift dabei auf die üblichen Klischees zurück, wie z. B. die unerfüllte Liebe zu einem idealisierten Mädchen oder die Verführung durch eine ältere, verheiratete Frau. Die Erlebnisse sind so geschildert, dass man sich damit leicht identifizieren kann. Automatisch denkt man an seine eigene Jugendzeit zurück. Man kann sich gut in die Personen hineinversetzen. Ein wenig übertrieben ist vielleicht, dass fast alle Frauen den jungen Ich-Erzähler rumkriegen wollen. Leo nutzt dies, um den Leser mit einigen wohlgeformten Körpern zu erfreuen, wobei die Grenze zur Jugendgefährdung nie überschritten wird.

Reizvoll ist auch, dass wir die Charaktere über mehrere Jahre mitverfolgen können. So wird aus Kim, der frechen, kleinen, dürren Göre, im Laufe der Bände eine junge, ansehnliche Frau.
Die Bände haben auch gewisse religiöse Elemente. Leo stellt einerseits die Institution der Kirche negativ dar, indem er die Priesterschaft zu Mitgliedern des totalitären Systems werden lässt. Getrennt von dieser Kritik sind in den Bänden aber Situationen geschildert, die mich an biblische Ereignisse erinnern: die Sintflut, die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies und das Jüngste Gericht.

Zeichnerisch sind die Bände zwiespältig. Neben der überragenden und wundervollen Darstellung der Natur fallen die Zeichnungen bei den menschlichen Charakteren ein wenig ab. Das zeigt sich insbesondere an den Gesichtern, die manchmal einen bewegungslosen, zementierten, eingefrorenen Eindruck hinterlassen, so dass die Mimik begrenzt erscheint und Gefühlsregungen nicht immer besonders gut zu erkennen sind. Dieser Eindruck wird meines Erachtens durch die gleichförmigen Lippen der Personen und teilweise ins Leere starrende Augen erweckt. Leo ist aber damit immer noch meilenweit vom Einheitsgesicht von Jean Graton bei der Serie Michel Vaillant (Seven Island) entfernt. Man muss dies aber als seinen Zeichenstil akzeptieren, auch wenn mir Gesichter in anderen Comics besser gefallen. Das gilt ebenso für seinen fast gänzlichen Verzicht auf Bewegungs- bzw. Actionlinien, so dass die Bände insgesamt eher ruhig daherkommen. Damit wird ein beschaulicheres Ambiente geschaffen, das zu diesem Comic aber passt, da Aldebaran  bei weitem kein Actioncomic sein will.

Wenn ich schon mal bei den Schwächen bin, bleibt noch zu erwähnen, dass ich an einzelnen Stellen die Dialoge für Teenager etwas zu abgehoben empfunden habe. Das waren dann eher gepflegte Konservationen zwischen zwei Heranwachsenden als eine ungezwungene Plauderei zwischen Teenagern.

Trotz dieser kleinen Schwächen ist Aldebaran eine wunderbare Kombination aus Science-Fiction, Politik, Religion und Zwischenmenschlichem. Dazu noch eine gehörige Portion Geheimnisvolles und Spannung.
Insgesamt gehört für mich die fünfteilige Serie, einschließlich der Nachfolgeserie  Betelgeuze (zur Rezension der Bände 1 bis 3), zu den schönsten frankobelgischen Reihen.
Übrigens ist für den Dezember 2005 beim Epsilon Verlag ein Sammelband mit der Gesamtausgabe von Aldebaran angekündigt (ISBN 3-932578-99-6, 244 Seiten, farbig, HC 50,- Euro).

Aldebaran 1: Die Katastrophe
ISBN 3-932578-18-X
Aldebaran 2: Die Blonde
ISBN 3-932578-17-1
Aldebaran 3: Das Foto
ISBN 3-932578-20-1
Aldebaran 4: Die Gruppe
ISBN 3-932578-22-8
Aldebaran 5: Das Wesen
ISBN 3-932578-25-2
Autor und Zeichnungen: Leo
Epsilon Verlag
je 48 Seiten , farbig, Softcover
je 8,80 bis 10,- Euro

Epsilon Verlag