Filmrezensionen

Super – Shut Up Crime!

DVD-Cover „Super“Super – Shut Up, Crime!
USA, 2010
Regie: James Gunn

Hauptdarsteller: Rainn Wilson (Frank D’Arbo/Crimson Bolt), Ellen Page (Libby/Boltie), Liv Tyler (Sarah Helgeland), Kevin Bacon (Jacques), Michael Rooker (Abe)
Länge: 92 min
FSK: 18

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Filmkritik:
»Reale« Superhelden funktionieren ja eigentlich gar nicht. Keinen Meter. Das Vorkommen von Menschen mit echten Superkräften ist bis jetzt noch nicht beweiskräftig belegt worden; und Typen, die sich tatsächlich Kostüme anziehen, um nächtens »das Böse« zu bekämpfen, sind mehrheitlich eher peinlich oder in psychiatrischer Behandlung. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – ist eine der weitest verbreiteten Fanboyfantasien die »Was wäre, wenn es wirklich Superhelden geben würde?«-Nummer. Wobei das Problem dabei ja nicht ist, was dann wäre und wie die Kräfte dieser Helden funktionieren sollten, sondern wen denn diese Helden aus welchem Grund bekämpfen sollten. »Das Böse«, soviel ist mal sicher, existiert nicht. Zumindest nicht in einer ganz bestimmten Form, Organisation oder Person. Obwohl es immer wieder Personen und Interessengruppen gibt, die der Menschheit vermitteln wollen, es gäbe eben jenes Böse und sie wüssten auch, was man dagegen tun kann.

Szene aus „Super“Und so sucht sich der »reale« Superheld in den drei zu diesem Thema in den letzten Jahren erschienenen Filmen (Defendor, Kick-Ass und Super) auch jeweils seinen Gegner selbst. Wobei Woody Harrelsons »Arthur Poppington« in Defendor (übrigens ein sehr sehenswerter Film und eine großartige schauspielerische Leistung auf – nicht nur – Harrelsons Seite) ganz offensichtlich ein mentales Handicap hat, und »Dave Lizewski« in Kick-Ass tatsächlich verstärkte Kräfte bekommt, wir also irgendwann in einem echten Superheldenfilm landen. Super geht einen anderen Weg. Frank D’Arbo (Rainn Wilson), der »Held« in Super, wirft sich hauptsächlich in das Kostüm des Crimson Bolt, um seine Frau wiederzubekommen. Zumindest glaubt er das. Dass die Dinge sich anders entwickeln, macht den Film umso interessanter. Aber der Reihe nach.

ACHTUNG, AB HIER ENTHÄLT DER TEXT LEICHTE SPOILER.

Frittenkoch Frank D’Arbo hat, so erzählt er uns am Anfang des Filmes, genau zwei perfekte Momente in seinem Leben gehabt: die Heirat mit der Ex-Drogenabhängigen Sarah (Liv Tyler), und das eine, kurze Mal, als er einem Polizisten sagen konnte, in welche Richtung ein Dieb wegrannte. Das aus »Heirat mit Ex-Drogenabhängiger« nichts werden kann, ahnen wir schon, und tatsächlich verlässt Sarah Frank für den Drogendealer/Stripclubbesitzer/Bad Guy Jacques (Kevin Bacon). Frank möchte Sarah wieder zurück, aber gegen Jacques und dessen Bodyguards hat er keine Chance. So weit, so normal. Aber jetzt beginnt Regisseur und Drehbuchautor James Gunn an den Reglern zu drehen: Frank hat eine Vision. Und beileibe nicht irgendeine, Frank erlebt einen Mindfuck der besonderen Sorte, in dem sich Szenen des Tentakelpornanimes La Blue Girl mit den Figuren aus The Holy Avenger (einer Gunn’schen Parodie auf die christliche Superheldenserie Bibleman) vermengen, sein Gehirn freigelegt und vom Finger Gottes (!) berührt wird. Der Holy Avenger (Nathan Fillion) zeigt Frank das Zeichen des Crimson Bolt und sagt ihm, dass Gott ihn erwählt habe: »Some of His children are chosen.« Und Frank, der bis dahin keinerlei Berührungspunkte mit Superhelden hatte, geht in den nächsten Comicladen, um zu recherchieren, wie man einer wird. So ganz ohne Kräfte. Die Comicladenangestellte Libby (Ellen Page) berät ihn dabei, kommt aber auch ziemlich schnell darauf, was Frank vorhat. Spätestens, als er, nach dem Versuch, Sarah aus Jacques’ Anwesen zu befreien, angeschossen bei ihr auftaucht. Sie überredet ihn, sein Sidekick, Boltie, zu werden. Gemeinsam greifen sie Jacques an. Sarah kommt frei. Frank bekommt viele neue perfekte Momente.

Szene aus „Super“Das hört sich nach einer stinknormalen Wannabe-Superherostory an. Aber James Gunn kommt aus einer komplett anderen Tradition des Filmemachens. Er hat seine ersten Erfahrungen bei Lloyd Kaufmans Ultra-Low-Budget-Firma TROMA gemacht, für die er das Drehbuch zu Tromeo And Juliet schrieb (und Teile des Films inszenierte). Danach kennt man von ihm die Drehbücher zu den beiden Scooby Doo Live-Action-Filmen (die für das, was sie tun sollten, recht unterhaltsam waren), und des Remakes von Dawn Of The Dead (allerdings hier von Michael Tolkin und Scott Frank überarbeitet). Und seine erste eigene Regiearbeit, Slither, war ein fröhlicher Rückfall in 80er-Jahre-Creature-Horrorfilme. Ein echter Superheldenfilm war nach all dem kaum erwartbar. Und Super ist – zum Glück – eigentlich auch gar kein solcher. Gunn benutzt die Haut des Superhelden, um die innere Zerrissenheit seines Protagonisten umso stärker sichtbar zu machen. Ein Ideal, das kaum je erreicht werden kann und kaum je durchdacht wurde. Das selbstgebastelt ist, so wie Franks Superheldenkostüm zusammengeschustert aussieht. Super ist damit, mit seinen jähen Gewaltexzessen und seiner kompletten Dekonstruktion des »Helden«, näher an Taxi Driver als an Superman/Green Lantern/Wolverine. Frank strengt sich an, ein »guter« Held zu sein. Er möchte die Guten schützen und die Bösen bestrafen. Nur bieten Superhelden hauptsächlich Gewalt als Konfliktlösungsmittel an, und so besorgt sich Frank eine dicke Rohrzange als »Verteidigungsmittel«, hauptsächlich, weil er damit im Test eine mit einem Gesicht versehene Melone schnell und einfach zermatschen konnte. Dass Konfliktlösung damit zu einem schmerzhaften Prozess werden könnte, ist uns nicht nur klar, sondern wird dann auch sofort gezeigt; als nämlich Frank (nachdem er sich im Auto in sein Kostüm gewergelt hat) einen großmäuligen Vordrängler an der Kinokasse für sein Vergehen bestraft. Gunn weiß, dass wir Vordränglern die Pest wünschen. Wir wollen, dass der Drängler seine »gerechte« Strafe bekommt. Wir freuen uns schon drauf. Aber Gunn lässt Frank so zuschlagen, dass der Schädel des Mannes aufbricht, und er bleibt mit der Kamera an dem plötzlich zum Opfer gewordenen Drängler dran; er vertreibt unsere Freude an der Bestrafung durch die Präsentation ihrer Auswirkungen. Und hinterfragt damit, und mit anderen plötzlichen Stimmungswechseln, unsere Position zu Franks Handlungen immer wieder aufs Neue.

Szene aus „Super“Für Frank scheint die Gewalt ein notwendiges Übel zu sein, wenn er sie denn überhaupt reflektiert. Dass das Böse bestraft werden muss, ist für ihn klar, die Angemessenheit der Mittel ist zweitrangig. Für Libby hingegen wird die Gewalt zum Zweck des ganzen Superheldendaseins, sie schwelgt in ihr, ist von ihr in höchstem Maße erregt. So sehr, dass schon das erste Vergehen, das Crimson Bolt und Boltie bestrafen, von ihr erfunden ist, um endlich jemanden verprügeln zu können. Und Gunn steigert die Hassliebe zwischen Spaß und Gewalt immer weiter, bis am Ende des Films Gangster getötet werden, während die BIFF! BAM! POW!s der alten Batman TV-Serie als Animation um sie herum erscheinen. Am Ende des Films wird Jacques Frank sagen, dass er nicht anders sei als die »Bösen«. Dass er genausogut auf der anderen Seite stehen könnte. Und Frank wird ihm antworten, dass es Dinge gibt, die man einfach nicht tut. Menschen drogenabhängig zu machen, Kinder missbrauchen, sich an der Kinokasse vordrängeln. »The rules were set a long time ago! They don’t change!« Beide haben recht. Und beide liegen total falsch. Gunn gibt keine Antwort darauf, wie denn alles besser gehen könnte, wer moralisch besser dasteht. Dazu muss der Zuschauer selbst Stellung nehmen. Und auch Frank bietet keine große Hilfe: zum Schluss ist er wieder »normal«. Und hat mehr perfekte Momente. Fast schon zu viele.

Die Besetzung des Films ist großartig. Rainn Wilson trägt mit Frank den gesamten Film, oszillierend zwischen anämischer Lethargie und unbändiger Wut. Frank könnte als dumm oder naiv gespielt werden, aber Wilson spielt ihn einfach. Un-besonders. Gesteigert normal. Und sehr einsam. Ellen Page gibt Libby eine körperliche Hilflosigkeit im normalen Leben, die durch ihr Superheldenkostüm noch gesteigert wird. Als sie Frank Bolties Kostüm präsentiert, versucht sie die unmöglichen Coverposen von Superheldinnen einzunehmen, was schrecklich gut und furchtbar peinlich ist. Libby ist allein vom Gedanken, Superheldin zu sein, sexuell schwerst erregt, tatsächlich fällt sie im Verlauf des Films im Kostüm über den sich wehrenden Frank her, eine hilflose Sexszene, die die Beziehungen zwischen Superhelden und unsere Fantasien dazu nochmals von einer ganz anderen Seite beleuchten. Und wir würden den beiden eine »echte« Beziehung gönnen. In einer der schönsten Szenen des Films stellen Frank und Libby fest, dass das normale Leben der Superhelden, das in ihrer Geheimidentität, »zwischen den Panels« stattfindet. Und Libby hofft, dass sie beide jetzt eben zwischen den Panels sind. Außerhalb des Comics. Aber beide kommen nicht aus den Restriktionen ihres Genres heraus.

Szene aus „Super“Dazu kommen großartige Leistungen von Kevin Bacon (als ein Böser, der versucht, so nett wie möglich zu sein, falls das geht), Gregg Henry, Michael Rooker, Andre Royo und Nathan Fillion. Liv Tyler bleibt etwas farblos, aber ihre Rolle ist auch nicht anders angelegt.

Koch Media bietet die DVD/Blu-Ray als Single-Disc-Normalversion und als 2-Disc-Mediabook an. Das Mediabook ist sehr zu empfehlen. Außer dem Regiekommentar, der auch auf der Single Disc zu finden ist, gibt es hier noch eine Menge (über drei Stunden) Bonusmaterial mit Making-Ofs, Mitschnitten von Presseauftritten und einem Besuch von James Gunn im Berliner Comicladen Grober Unfug, der hauptsächlich für Nicht-Comicleser Einiges an Erhellendem bringt – und Comiclesern zeigt, dass Gunn sich tatsächlich auskennt. Dazu kommt ein 16-seitiges Booklet mit einem »Reprint« des Holy Avenger Comics (im Stil angelehnt an Fletcher Hanks‘ Stardust The Super Wizard) sowie sämtliche der sehr unterhaltsamen Episoden von Gunns Webserie PG Porn (»For people who love everything about porn …except the sex«). Ein passenderes DVD-Cover wäre wünschenswert gewesen, aber man kann ja nun mal nicht alles haben.

Super ist kein Film für jedermann. Und er versucht es auch gar nicht zu sein. Wer mit Gunns Erzählweise und Sensibilitäten zurechtkommt, wird ihn sicher sehr mögen; wer sowas nicht mag, wird ihn wahrscheinlich nicht einmal zu Ende sehen. Ich habe ihn dreimal angesehen. Und werde ihn auch ein viertes Mal anschauen. Volle Punktzahl für Super.

 

Wertung: Zehn von zehn Punkten

 


Offizielle Film-Website (englisch)
Trailer
Wikipedia-Eintrag (deutsch)
Offizielle Facebook-Seite

Videointerview mit James Gunn über Super

 

DVD

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Blu-Ray-Disc

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 Abbildungen © Koch Media