Seit zehn Jahren findet im Rahmen der Frankfurter Buchmesse die „Faszination Comic“ als kleine ‚Messe in der Messe‘ statt und hat so immer wieder das Auf und Ab der Branche widergespiegelt. Ironischerweise hat das Comic-Zentrum ausgerechnet in einer Zeit, in der dem Medium Comic erfreulich viel Aufmerksamkeit im Literaturbetrieb zuteil wird, mit Schwierigkeiten zu kämpfen.
Der erste Verdacht beim Rundgang durch das diesjährige Comic-Zentrum in der ansonsten hauptsächlich von Kinderbuchverlagen besiedelten Halle 3.0 bestätigt sich schnell: 2010 sind deutlich weniger Comic-Aussteller versammelt als noch im Vorjahr.
(Zahlreiche Bild-Eindrücke gibt es in unserer Messe-Galerie!)
So fehlten unter anderem die Verlage avant, Splitter und Zwerchfell sowie der ICOM-Stand, bei dem man ansonsten immer das druckfrische COMIC!-Jahrbuch in Augenschein nehmen konnte; Reprodukt sowie Edition Moderne suchte man in Halle 3.0 ebenfalls vergebens.
Auch der Gemeinschaftsstand von Eidalon/Modern Tales und Die Biblyothek war 2010 ohne Mitaussteller Zwerchfell merklich schlanker ausgefallen als im Vorjahr. Und Verlegerin Lydia Schönberger kündigte angesichts der stolzen Standpreise der Buchmesse bereits ihr Vorhaben an, dass Die Biblyothek im Oktober 2011 nicht mehr in Frankfurt vertreten sein, sondern stattdessen voraussichtlich die SPIEL/Comic Action in Essen beglücken werde.
Die Problematik der hohen Standpreise in Kombination mit dem Verkaufsverbot von Mittwoch bis Samstag (Grund: Die Buchmesse ist generell als Fachmesse definiert, auf der sich ein Fachpublikum über Neuerscheinungen informieren kann, nicht als Besuchermesse) ist auch dem Organisator des Comic-Zentrums, Wolfgang „Wolle“ Strzyz, bekannt, so dass es auf der diesjährigen Buchmesse ein Gespräch mit den Comicverlagen darüber gab, wie man zukünftig den Comicbereich angehen könnte. Soviel wir wissen, war der Tenor, dass es das Comic-Zentrum nächstes Jahr weiterhin geben wird und nun überlegt wird, wie sich Abläufe für die Aussteller einfacher gestalten lassen und die Messe auch für kleine Verlage wieder attraktiver wird.
Während eine Reihe kleinerer Comicverlage der Buchmesse fernblieben, fanden sich jedoch umso mehr Comics an den Ständen von Buchverlagen wie S. Fischer, Eichborn, Rowohlt, Gütersloher Verlagshaus, Atrium und Knesebeck. Bei letzterem erschien jüngst mit „Combray“ der erste Band von Stéphane Heuets groß angelegter Comicadaption des Proust-Mammutwerks Auf der Suche nach der verlorenen Zeit mit gehöriger Verspätung in deutscher Fassung. Aus diesem Anlass versammelte FAZ-Redakteur Andreas Platthaus sowohl den Künstler als auch dessen Übersetzer Kai Wilksen und die Verlegerin Rosemarie von dem Knesebeck auf der Comic-Bühne, um vor zahlreicher Zuhörerschaft dieses in Frankreich zu Beginn sehr umstrittene Unterfangen zu diskutieren.
Die passende Podiumsdiskussion zur neuen Comic-Akzeptanz der Buchverlage wurde auf der Messe mit „Comics in Literaturverlagen – Tendenz oder Hype?“ gleich mitgeliefert – Veranstaltungsort war bezeichnenderweise nicht das Comiczentrum in Halle 3, sondern die „Leseinsel der unabhängigen Verlage“ in Halle 4.1. Und während sich so mancher literarische Verlag plötzlich mit Comics Graphic Novels schmückt, schielt der eine oder andere Comicverlag verstärkt in Richtung Buchleser. So fand man die im Comic-Zentrum vermissten Verlage Reprodukt und Edition Moderne an einem Gemeinschaftsstand mit dem Wiener Verlag Luftschacht in Halle 4.1 unter den Indie-Buchverlagen. Denn hier, so bekannte Reprodukt-Chef Dirk Rehm im Interview mit Graphic-Novel.info, sei es leichter das selbst gesetzte Buchmesseziel zu verfolgen, „neue Leser für Comics zu begeistern – Leser, die bisher noch keine oder kaum eine Berührung mit dem Medium hatten“. (Das komplette, informative Interview mit Rehm liest man hier.)
Auch Peanuts-Experte Andreas C. Knigge fand sich mit seinem Vortrag „Happy Birthday, Charlie Brown!“ zum sechzigjährigen Jubiläum der Comic-Strip-Gnome zur Überraschung mancher Messebesucher ebenfalls fernab des Comiczentrums im „FOCUS Forum Hörbuch & Literatur“ – wenn sie es denn überhaupt mitbekamen.
Doch soll dies nicht den Eindruck erwecken, dass im Comiczentrum tote Hose herrschte. An den Fachbesuchertagen wurde einem im Vergleich zum Vorjahr durchschnittlich größeren Publikum (dies wohlgemerkt nach subjektiver Einschätzung des Autors) die gewohnte, abwechslungsreiche Mischung aus Diskussionen, Vorträgen und Werkstattgesprächen geboten, u.a. ein „sozio-rhinologischer“ Vortrag über Ralf Königs Knollennasen, Gespräche mit Peer Meter und Isabel Kreitz zu ihrem Serienmörder-Comic Haarmann sowie mit Reinhard Kleist über seine Castro-Biographie, eine Präsentation von erstmals in Englische übersetzten Cartoons der Neue-Frankfurter-Schule-Künstler um F.W. Bernstein und Robert Gernhardt, Workshops zur Entstehung von Comics und eine Diskussion über die Chancen von Comics im Zeitalter des Cross-Media-Publishing. Dazu ständige Signieraktionen eines Bataillons von Künstlern wie z.B. Ralf König, Christian Moser, François Walthéry (Natascha), Ralph Ruthe, ©TOM, Corne (MAD), Fahr Sindram, Felix Mertikat (Jakob), Ingo Römling (Die Toten) sowie – leicht überraschend – Judith Park, von der in der Manga-Welt eine geraume Weile nichts mehr zu hören war. Und Joscha Sauer nutzte die Signierstunden während der Fachbesuchertage, um sich schon einmal für seinen „5-Stunden-55-Minuten-Signiermarathon“ am Samstag aufzuwärmen.
Das diesjährige Buchmesse-Gastland Argentinien gab sich ebenfalls im Comicbereich die Ehre. So zierte eine Reihe Exponate das Comic-Zentrum, die aus einer begleitenden, 100 Werke umfassenden Ausstellung argentinischer Zeichner im Frankfurter Museum für Kommunikation stammten. Des Weiteren waren Comicschaffende geladen wie die Zeichner Francisco Solano López (El Eternauta) und Rep (Bukowski for Beginners), der Verleger Daniel Divinsky sowie Elsa Oesterheld, die Witwe des 1979 von der argentinischen Militärjunta ermordeten Künstlers Hector Oesterheld. Dessen Guevara-Biocomic Che (Comicgate-Rezension) erschien übrigens erst kürzlich, im Jahr 2008, auf Deutsch bei Carlsen. (Wer mehr über das Comicland Argentinien wissen möchte, findet hier einen Artikel aus der Frankfurter Rundschau, den Christian Schlüter anlässlich der Buchmesse verfasste.)
Eines der messeweiten Dauerbrenner-Themen war auch dieses Jahr wieder die Digitalisierung, und so kamen am Donnerstagnachmittag auf der Bühne des Comic-Zentrums die Verlagsvertreter von Eidalon, Panini/mycomics.de, Ehapa, Mosaik und New Ground Publishing/Comicstars zur mittlerweile alljährlichen Diskussion zum Thema E-Comics zusammen. Kleine Anregung für die Veranstalter: Es wäre interessant gewesen, neben den üblichen Verlags-Verdächtigen mal mehr „echte“, erfahrene E-Comic-Macher wie Ulli Lust (electrocomics), die bereits oben erwähnte Lydia Schönberger (Online-Verlegerin von u.a Utan & Artik und Der abscheuliche Charles Christopher) oder David Boller (zampano-online.com) dabei zu haben.
Letzterer konnte sein diesbezügliches Wissen jedoch in einer anderen Gesprächsrunde an die Zuhörer bringen: Denn auch beim täglichen, von Bernd Glasstetter und Thomas Dräger (Splashcomics) moderierten „Comic-Frühstück“ fand das Thema ‚Digital-Comics‘ in Form einer Web-Zeichner-Gesprächsrunde am Freitagmorgen Beachtung. David Boller, Sarah Burrini und David Füleki berichteten von ihren Erfahrungen mit Online-Comics. So dient dem Ex-Marvel-Zeichner Boller seine Webcomic-Plattform Zampano nicht nur dazu, die Comics von ihm und weiteren Künstlern wie René Lehner und Rudolph Perez online lesbar zu machen, sondern gleichsam als Marketinginstrument für den Absatz der Printversionen. Die Buchmesse Frankfurt war deshalb auch nur ein Termin auf seiner Signiertour quer durch Deutschland, bei der er die Druckausgabe seines Schweizer-Superhelden-Comics Tell bewarb. Auch für Sarah Burrinis Web-Strip Das Leben ist kein Ponyhof ist eine gedruckte Veröffentlichung beim Zwerchfell Verlag im März 2011 geplant. David Füleki, der seinen Anarcho-Comic Entoman und die Cartoon-Reihe Studieren mit Rind auf den Onlineplattformen Comicstars und Animexx veröffentlicht, kündigte hingegen eine eigene Webcomic-Seite in Zusammenarbeit mit seinem Verlag Tokyopop an.
Neben dem Bestseller-/Publikumspreis Sondermann (dessen Gewinner bzw. das zu ihnen führende Abstimmungsverfahren mancherorts hitzig diskutiert wurde), wird auf der Buchmesse auch der Deutsche Cartoonpreis „zur Förderung neuer Talente“ verliehen, für den die Teilnehmer Arbeiten zu einem vorgegeben Motto, dieses Jahr „Schöne Aussichten“, einreichen mussten. Den 1. Platz machte Katharina Greve – dieses Jahr in Erlangen bereits mit einem ICOM-Preis für Ein Mann geht an die Decke (Comicgate-Rezension) prämiert – gefolgt von Bernd Püribauer und Uwe Krumbiegel. Ihre Gewinner-Cartoons sowie weitere Nominierungen sind hier zu sehen.
Was in der Comicwelt eher unterging, aber gerade hinsichtlich des neuen Stellenswerts von Comics in der Buchbranche recht bemerkenswert ist: Gleich zwei Comics wurden auf der Buchmesse mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2010 ausgezeichnet: In der Kategorie „Kinderbuch“ gewannen Émile Bravo und Jean Regnaud mit Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen. Nadia Budde bekam für Such dir was aus, aber beeil dich! den Preis in der Sparte „Jugendbuch“ und kann die dazugehörige „Momo“-Trophäe nun neben die „Max und Moritz“-Medaille stellen, die sie für ihr Buch auf dem Comic-Salon 2010 in Erlangen erhielt. Nicht unter den Gewinnern, aber immerhin nominiert war Simon Schwartz‘ autobiografischer DDR-Comic drüben! (Comicgate-Rezension), den man in der „Sachbuch“-Kategorie platziert hatte. (In der taz erschien anlässlich der ausgezeichneten Comics ein lesenswerter Artikel von Sarah Wildeisen.)
Viele weitere Bild-Eindrücke von der Faszination Comic 2010 gibt es in unserer Messe-Galerie!
PS: Da wir die Publikumstage Samstag und Sonntag inklusive Sondermann-Verleihung und Cosplayer-Invasion geschwänzt haben, verweisen wir abschließend noch auf die Berichterstattung der Kollegen von Splashcomics, wo sich Video-Mitschnitte aller Programmpunkte im Comic-Zentrum finden.
Fotos © Tom Eickelau/Comicgate