Zum Start der deutschen Ausgabe von Chew sprachen wir nicht nur mit John Layman, dem Autor und Erfinder der Serie, sondern auch mit Rob Guillory, dem Zeichner. Im Gespräch, das Thomas Kögel per Instant Messenger führte, erzählt Rob, wie er zu dem Job kam, wie eine Chew-Ausgabe entsteht und warum er „creator owned“-Comics so viel besser findet als die Mainstream-Superheldenware der Großverlage.
Wir veröffentlichen das Interview sowohl in einer deutschen Übersetzung als auch in der englischen Originalfassung.
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Comicgate: Rob, die meisten Comicleser (mich eingeschlossen) haben deinen Namen wohl zum ersten Mal im Zusammenhang mit Chew gehört. Vorher warst du für viele ein Unbekannter. Was hattest du für eine Ausbildung und wie verlief deine Karriere vor Chew?
Rob Guillory: Ich zeichne Comics von Kindesbeinen an. Ich wuchs in Lafayette, Louisiana auf – Comiczeichner erscheint einem dort nicht als echte Berufsperspektive. Also schrieb ich mich für fünf Jahre an der University of Louisiana ein und legte den Schwerpunkt auf Malerei. Währenddessen war ich „Senior Cartoonist“ bei der Hochschulzeitung, The Vermillion. Ich habe dort fünf Jahre lang zwei wöchentliche Strips gezeichnet, was eine super Übung war. Da hab ich wirklich gelernt, mit Deadlines umzugehen. Außerdem besuchte ich regelmäßig Comic-Conventions, etwa zweimal im Jahr. Dort traf ich Comicprofis und baute mir ein Netzwerk auf, um nach dem Uni-Abschluss an Aufträge zu kommen. 2005 machte ich den Abschluss und ein Jahr später nahm ich die ersten (spärlich) bezahlten Aufträge an.
Ich habe ein paar Indie-Sachen gezeichnet, die kein Mensch kennt, und es gibt über 100 Seiten von einem „creator owned“-Projekt, das nie veröffentlicht wurde. Für Ape Entertainment habe ich Teddy Scares gezeichnet, dann ein bisschen was für Random House UK und etwas für Tokyopop USA, das auch nie veröffentlicht wurde. Stimmt schon, Chew ist das erste größere Ding, bei dem ich dabei bin.
CG: Über das Tokyopop-Projekt bist du mit (Chew-Autor) John Layman zusammengekommen…
RG: Ja, für Tokyopop habe ich mit dem Autor Brandon Jerwa zusammengearbeitet, der ein guter Freund von Layman ist. Und als John einen Zeichner suchte, hat mich Brandon empfohlen.
CG: John erzählte mir, dass die ersten Skripte schon fertig waren, als du an Bord kamst. Wie sieht es mit den Figurendesigns aus? Gab es da auch schon was oder stammt das alles von dir?
RG: John hatte nur die ersten drei Skripte vorliegen, sonst nichts. Von dieser Basis aus habe ich das Design gemacht. Und John fand, dass meine „Sprache“ in den Zeichnungen so stark zum Ausdruck kommt, dass er mich zum „Co-Creator“ gemacht hat, obwohl er sich Chew schon vorher ausgedacht hatte. Sehr schmeichelhaft.
CG: Ich finde, er hat recht. Das Artwork ist schließlich so ein wesentlicher Teil von Chew. Wenn du eine neue Figur gestaltest, ob nun für Chew oder für andere Projekte, wie gehst du dabei vor?
RG: Bei Chew habe ich John gefragt, ob er Schauspieler im Kopf hätte, und die hatte er. Zum Beispiel Orson Welles als Vorbild für Mason Savoy. Das nahm ich als Ausgangspunkt, von dem aus ich dann mittels Verzerrung und Überzeichnung die Figurendesigns entwickelte.
CG: Chew ist ja ein recht wilder Ritt. Da werden viele Genres angerissen, es ist gleichzeitig witzig und spannend, manchmal auch eklig. Gibt es irgendwas, was du nicht zeichnen würdest, weil es einfach zu schlimm wäre?
RG: Ich habe schon Grenzen, die ich nicht überschreite. Zum Glück hat John in etwa die gleichen und ist überraschend feinfühlig, wenn’s darum geht, was in den Comic reinkommt. Eindeutige Sexszenen wird es nicht geben. Und die ganzen ekligen Szenen dienen der Geschichte. Wir wollen nicht übertreiben um der Übertreibung willen.
CG: Welche Aspekte oder Figuren der Geschichte zeichnest du am liebsten, und welche würdest du lieber vermeiden?
RG: Tony, Savoy und Colby machen mir immer viel Spaß, weil das sehr ausdrucksstarke Typen sind. Alles, was mit Action zu tun hat, ist toll, und John gibt mir eine Menge davon. Es gibt eigentlich nichts an dem Comic, was ich wirklich ungern zeichne. Ich sehe jede Seite als ein Problem, das es zu lösen gilt. Seiten mit sehr viel Dialog sind anstrengend und ein bisschen langweilig. Aber das ist das Schlimmste, was mir einfällt.
CG: Was mir an Chew am besten gefällt, ist das coole, originelle Storytelling, vor allem die Seitenlayouts und wie der Leser von Panel zu Panel geführt wird. Steht das schon so als Vorgabe in Johns Skripten oder sind das deine Ideen?
RG: Sowohl als auch. John hat einen sehr guten Sinn für Design, ihm fallen ständig tolle Layout-Ideen ein. Aber wenn ich meine, eine bessere Idee zu haben, ist er immer offen dafür. In seinen Skripten spricht er mich persönlich an, da steht dann meistens sowas wie „ich stelle mir die Szene so und so vor, Rob, aber wenn dir was besseres einfällt, nur zu“.
CG: Zu eurer Zusammenarbeit: John schickt dir also ein Skript für eine neue Chew-Ausgabe. Wie geht’s dann weiter? Kannst du uns mal Schritt für Schritt durch die Entstehung einer Ausgabe führen?
RG: Wir brauchen ungefähr fünf Wochen für jedes Heft. Das Skript bekomme ich schon mehrere Monate im Voraus. Das lese ich mir dann ein paarmal durch und teile mir jede Seite in einzelne Puzzleteile auf. Jede Seite wird anders aufgeteilt, je nachdem, welchen Raum die einzelnen Panels benötigen. Dann skizziere ich grobe Thumbnails von jeder Seite. Ungefähr 90 Prozent aller Designprobleme werden bereits bei diesem Schritt gelöst. Dann folgen rohe Skizzen, die ich mit rotem Bleistift auf Bristol-Board-Papier mache. Diese Skizzen sind wirklich sehr locker und undetailliert gehalten. Anschließend verfeinere ich sie, füge kleine Details hinzu und so weiter. Danach tusche ich sie, wobei ich sowohl Feder als auch Pinsel verwende. Und nach dem Tuschen kommen meistens noch ein paar kleine versteckte Extras auf die Seite. Ein kleiner Bonus für aufmerksame Leser. Gags, Cameos und ähnliches.
Dann scanne ich die Seite ein, bringe sie auf das Format der Vorlagen von Image Comics und kümmere mich im Groben um Schatten- und Lichteffekte. Dann geht die Seite an Steven Struble, der nach meinen Vorgaben die Farbseparation macht. Der schickt sie dann wieder zurück an mich, und ich mache dann das Feintuning bei Schatten, Licht und Farbeffekten. Auf diese Weise brauchen wir für jede Seite sechs bis acht Stunden für die Zeichnungen und nochmal drei bis vier für die Farben. Das fertige Artwork geht dann wieder an John und er macht das Lettering. Zum Schluss schickt er es an Image und dann kann’s gedruckt werden [siehe dazu auch die beiden Beiträge Process Junkie und Process Junkie: Coloring CHEW auf Robs Blog, von dort stammen die beiden Abbildungen].
CG: In meinem Interview mit John meinte er: „Rob ist der Stille, Professionelle, Seriöse und Freundliche – ich bin wohl eher der sture Saufkopp.“ Hat er Recht?
RG: Haha. Manchmal. John ist viel zu streng mit sich. Meine Frau und ich haben letztes Jahr eine Woche mit ihm in Italien verbracht, er ist ein wahnsinnig netter und freundlicher Typ. Die Tatsache, dass er meinen Anteil an Chew anerkannt und mich nachträglich zum Co-Creator gemacht hat, spricht für seine Integrität. Ich kenne keinen anderen Comicmacher, der so integer ist. Ich will am liebsten immer nur mit ihm arbeiten.
CG: Zur Zeit liest man ja wieder viel zum Thema „creator owned“ gegen „company owned“, Eric Powell und Steve Niles haben da eine neue Debatte angestoßen [siehe auch unseren Artikel Aufbegehren gegen die Dominanz der Superheldencomics]. Wie stehst du zu dem Thema?
RG: Ich respektiere Mainstream-Comics. Mit denen bin ich aufgewachsen, sie haben ihre Berechtigung. Sie interessieren mich nur überhaupt nicht. Und ich glaube, so geht es zur Zeit immer mehr Leuten. Denn die Comics von den „Big Two“ [Marvel und DC] haben keine Relevanz. Das sind überhypte Serien, bei denen selbst die Fans wissen, dass es irgendwann einen Reboot gibt und der Inhalt nicht mehr zählt. Sie verschwenden die Zeit und das Geld der Leser. Und deshalb zieht es die Leute hin zu Autorencomics. Da findet Bewegung statt. Figuren verändern sich, sie sterben, und sie bleiben tot. Diese Geschichten haben ein Gewicht, das die von den Big Two nicht haben. Außerdem beleidigen wir die Leser nicht mit Sprüchen wie: „Das ist das größte Comic-Event aller Zeiten … Das größte seit dem letzten Event, mit dem wir euch enttäuscht haben.“ Ich war ja lange genug als Fan dabei. Ich habe alle Hefte der verdammten „Death of Superman“-Storyline gesammelt. Und dann kam er zurück und ich verstand: „Sie haben mich ausgetrickst, es geht wieder von vorn los. Nur dass sie jetzt meine Kohle haben.“ So, Ende der Tirade, bevor ich mich noch richtig aufrege. Haha.
CG: Dann gehen wir es doch mal von der positiven Seite heran: Hast du Comic-Empfehlungen für uns? Was sollte jeder gelesen haben?
RG: The Walking Dead ist ein perfektes Beispiel für eine gute Geschichte, die den Leser respektiert. Das ist eine Erzählung, die wächst und wo Veränderungen Gewicht und Konsequenzen haben. Auch Scalped ist ein brillanter Comic, den ich gerade erst entdecke. Invincible ist der beste Superheldencomic – Punkt. Und Preacher, das ist schon älter, aber ich liebe es immer noch total.
CG: Nochmal zum Thema „creator owned“: Image Comics hat ja ein recht spezielles Geschäftsmodell. Wie funktioniert das im Fall von Chew?
RG: Image hält sich weitgehend raus, was manche Künstler wahnsinnig macht, aber für uns gut funktioniert. Image ist praktisch die Bande, über die wir den Ball spielen. Wir schaffen unseren Comic ohne redaktionelle Eingriffe, schicken das fertige Ding zum Verlag und die pappen nur noch ihr Logo drauf. So einfach ist das. Unser Verhältnis beschränkt sich weitgehend darauf, über Marketing-Ideen und ähnliches zu sprechen. Zum Beispiel, als wir ein Heft mit „Rubbel-und-Riech“-Cover machen wollten. Da haben wir den Verlag per Mail gefragt, wie man das umsetzten könnte. Sie haben recherchiert und uns die Konditionen genannt. Aber die Entscheidung blieb uns überlassen. Die Identität der Serie und ihr Erfolg verdankt sich allein John und mir, ihren Schöpfern. Hat das deine Frage beantwortet?
CG: Im Grunde schon. Aber eigentlich wollte ich eher auf die finanzielle Seite hinaus …
RG: Kurz gesagt läuft das so: Als Zeichner oder Autor zahlt man dem Verlag nichts im Voraus, Image behält eine feste Summe vom Verkaufserlös ein. Nachdem die abgezogen ist, gehört der Rest den Künstlern. Man kann also als Comicmacher bei Image wesentlich mehr Geld verdienen. Klar, das Risiko ist größer, aber der Ertrag kann dafür viel, viel größer sein.
CG: Die deutsche Ausgabe des ersten Bandes von Chew ist ja kürzlich erschienen und sieht etwas anders aus als das Original. Hast du sie schon gesehen?
RG: Ja, sieht toll aus. Hoffentlich ist es so erfolgreich, dass die komplette Serie veröffentlicht wird. Ich gehe davon aus, sie werkeln ja schon am zweiten Band.
CG: Damit wäre ich mit meinen Fragen durch. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!
RG: Kein Problem, ich hoffe, es war informativ für die Leser.
Rezension zu Chew 1
CHEW – Das offizielle Blog zur Serie
robguillory.com – Rob Guillorys Blog
Chew bei Cross Cult
Abbildungen: © Cross Cult, John Layman, Rob Guillory