Die Independent-Serie Chew ist seit ihrem Start im Jahr 2009 ein echter Überraschungshit in den USA. Es geht um den Polizisten Tony Chu, der bei jedem Essen zahlreiche Informationen über die Herkunft dessen bekommt, was er gerade im Mund hat. Er arbeitet als Ermittler für die „Food and Drug Administration“, der wichtigsten Behörde in einem Land, in dem Verkauf und Konsum von Hühnchenfleisch nach einer großen Vogelgrippe-Epidemie streng verboten ist. Bei Cross Cult erscheint die Reihe mit dem gelungenen Mix aus Krimihandlung und schrägem Humor nun auch auf Deutsch (mit dem Untertitel Bulle mit Biss!). Aus diesem Anlass unterhielt sich Thomas Kögel per Instant Messenger sowohl mit Autor John Layman als auch mit Zeichner Rob Guillory. Den Auftakt macht das Gespräch mit John Layman.
Wir veröffentlichen das Interview sowohl in einer deutschen Übersetzung als auch in der englischen Originalfassung.
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Zum Interview mit Rob Guillory geht es hier.
CG: Hallo John, ich nehme mal an, heute ist ein normaler Arbeitstag für dich … Was hast du gerade gemacht, bevor ich dich unterbrochen habe?
JL: Ich war gerade am Lettern von Chew 17 und meiner Godzilla-Serie, die demnächst bei IDW erscheinen wird, außerdem hab ich Cover-Beschreibungen für Geof Darrow für weitere Godzilla-Ausgaben geschrieben. Also Prokrastination vor dem eigentlichen Schreiben …
CG: Planst du deine Arbeitstage im Voraus?
JL: Ich bin bei Chew so weit voraus, dass ich weitere Arbeiten angenommen habe. Im letzten Jahr hat es nur für Chew gereicht. Jetzt schreibe ich auch Sachen für Marvel, IDW und Dark Horse, und wenn ich damit fertig bin, werde ich wohl ein halbes Jahr damit verbringen, einen sicheren Vorsprung vor Rob herauszuarbeiten. Ich bin zwar noch voraus, wäre aber gerne schon weiter.
CG: Der erste Band der deutschen Ausgabe von Chew kam vor ein paar Wochen heraus. Hast du ihn schon gesehen? Sieht ja etwas anders aus als der Original-Sammelband.
JL: Ja, ich find ihn toll! Mir gefällt dieses kompakte Format sehr.
CG: Keine Sorge, dass bei der Verkleinerung in Sachen Artwork zu viel verloren gehen könnte?
JL: Na, ich weiß nicht … Ich kenne ja noch andere Versionen. Ich finde es einfach spannend, was Anderes und Neues zu sehen. Vielleicht habe ich nicht drüber nachgedacht, weil ich ja das größere Format kenne.
CG: Cross Cult hat vor einigen Jahren dieses Format für Hellboy „erfunden“ und ein Markenzeichen daraus gemacht. Ich finde das Format ganz gut, solange die Zeichnungen nicht zu detailliert sind, wie zum Beispiel bei Geof Darrow.
JL: Vielleicht gehen ein paar von Robs versteckten kleinen Witzen verloren, aber die sind ja sowieso auf Englisch!
CG: Gibt es noch andere fremdsprachige Ausgaben von Chew?
JL: Ja, die deutsche Version ist schon die vierte. Es gibt Chew noch auf Italienisch, Spanisch und Französisch. Und bei allen ist auch schon Band 2 erschienen oder zumindest angekündigt.
CG: Glückwunsch zur Eroberung Europas!
JL: Das ist gerade ziemlich aufregend. Wir haben letztes Jahr eine Italien-Tour gemacht, und es sieht so aus, als sei im Sommer Frankreich dran.
CG: Dann sehen wir euch vielleicht ja auch mal in Deutschland …?
JL: Das wäre fantastisch! Ich war noch nie da, wollte schon immer mal dorthin.
CG: Gehen wir nochmal zu den Anfängen der Serie zurück. Wie bist du auf diese verrückte Ausgangsidee gekommen, und wie wurde daraus eine Comicserie?
JL: Ich glaube, zuerst waren da ein paar kleinere, schlechte Ideen … Nicht unbedingt schlecht, aber nicht gut genug, um eine Serie tragen zu können. Vogelgrippe und Hühner-Prohibition, die Idee einer Gastro-Kritikerin, die Speisen so genau beschreibt, dass man sie schmecken kann, auch der Kannibalen-Cop – alles brauchbare Ideen, aber irgendwie nicht genug für eine Serie. Dann bemerkte ich, dass es bei all diesen Ideen um Essen geht, also habe ich alle genommen und zu einem Comic kombiniert, der sich ums Essen dreht – und plötzlich wurde es ein sehr reichhaltiges Universum. Allerdings wollte das niemand veröffentlichen – ich hab jahrelang einen Verleger gesucht und schließlich beschlossen, es auf eigene Faust zu probieren. Ich nahm also etwas Geld in die Hand, das ich als Autor für ein Videospiel verdient hatte, und suchte einen Zeichner. Das dauerte etwa ein Jahr, bis mir ein Freund Rob Guilllory vorstellte. Und dann bekamen wir die Zusage von Image und es wurde ein Überraschungserfolg – überraschend für alle, auch für mich selber.
CG: War Chew von Anfang an als eine doch eher lange, 60-teilige Serie geplant?
JL: Nein, ich dachte, das würde erstmal fünf Ausgaben lang laufen und vielleicht nach ein paar Jahren die Kosten wieder einspielen. Danach könnte man wieder fünf machen, und dann nochmal fünf, und so weiter … Rob hatte ursprünglich nur einen Vertrag für fünf Hefte, weil ich nicht an einen Erfolg geglaubt hatte. Im besten Fall hätte ich einen kleinen Kulthit erwartet.
CG: Gab es denn ein besonderes Ereignis, einen besonderen medialen Push oder sowas, was zu dem überraschenden Erfolg geführt hat?
JL: Nein, da war gar nichts. Okay, genau als der Comic rauskam, brach die Schweinegrippe aus … Das sorgte für etwas Aufmerksamkeit. Lustigerweise schleppte ich einige dieser Ideen schon jahrelang mit mir herum, als es in den USA diese große Vogelgrippe-Panik gab; aber Chew dauerte so lange, dass das längst vergessen war und die Prämisse total lächerlich erschien. Und dann bricht plötzlich die Schweinegrippe aus, und es ist wieder auf der Höhe der Zeit. Aber sonst war da wirklich nichts … Die Leser suchten einfach nach etwas Neuem, und der Erfolg kam für alle überraschend. Man begann im Netz darüber zu reden, es hob einfach ab. Die erste Auflage war ausverkauft, wir haben nachgedruckt, nochmal ausverkauft, wieder nachgedruckt … Am Ende gab es vier Auflagen von Heft 1 und zuletzt noch ein Flipbook mit The Walking Dead, und alle sind ausverkauft. Und keiner hat’s verstanden, am wenigsten ich selber.
CG: Wusstest du, dass es in Deutschland auch einen Lebensmittelskandal (dioxinverseuchte Eier) genau „rechtzeitig“ zur Veröffentlichung von Chew gab?
JL: Ja, hab ich gehört. Verrücktes Timing. Leider scheint es weltweit immer mehr solcher Vorfälle zu geben.
CG: Wenn du in ein Restaurant gehst oder überhaupt irgendwas isst – überlegst du dann manchmal, was wohl Tony in diesem Moment spüren würde?
JL: Am Anfang ging es mir wirklich so – anderthalb Jahre später nicht mehr. Aber als wir angefangen haben, gab es ein auffällig neues Ernährungsbewusstsein. Ich habe sogar mal eine Zeitlang versucht, vegetarisch zu essen, aber ich mag Hühnchen, Schwein und Fisch zu gerne. Rind nicht so sehr, da kann ich meistens drauf verzichten.
CG: Hast du Jonathan Safran Foers Buch Tiere essen gelesen?
JL: Nein, aber ich wurde stark beeinflusst durch Fast Food Nation von Eric Schlosser.
CG: Chew ist ein ziemlich wilder Ritt. Er bedient zahlreiche Genres, ist gleichzeitig witzig und spannend und steckt voller verrückter Ideen. Gibt es irgendetwas, was du in Chew nicht bringen würdest, weil es zu abgedreht, zu bescheuert oder zu schrecklich sein könnte?
JL: Nun ja, es steckt eine Logik dahinter. Und es gibt ein paar Regeln, auch wenn die nur in meinem Kopf existieren. Chew ist auf 60 Ausgaben mit einem klar definierten Schluss angelegt, es wird keine Fill-In-Hefte geben, jede Ausgabe „zählt“ und führt auf das Ende hin. Und Rob ist für die gesamte Zeit an Bord, wir werden also keine Gastzeichner brauchen. Es ist also eher ein Roman in Form einer Maxiserie. Von daher wird es auch keine Zeitreise-Episode geben oder irgendwas Abgedrehtes, das nicht zum Gesamtkonzept passt.
CG: Der leicht schräge Zeichenstil von Rob Guillory passt perfekt zu Chew, finde ich. Du sagtest, du hättest ihn über einen Freund kennengelernt?
JL: Ja, Brandon Cherwa und Rob arbeiteten an einem Comic für Tokyopop USA, der aber abgeblasen wurde. Brandon erzählte mir von Robs großartigem Arbeitsethos und seiner Vielseitigkeit. Ich wollte jemanden, der cartoonhaft und witzig zeichnen jann, sonst wäre es zu hässlich geworden. Und ich wollte einen Comic, der Spaß macht, auch wenn es manchmal ein bisschen eklig wird.
CG: Wie tauscht ihr euch aus? Trefft ihr euch, oder findet alles online statt?
JL: Wir sind beide bei AIM (AOL Instant Messenger), und unterhalten uns mehrmals am Tag. Und inzwischen, nachdem wir das ein paar Jahre gemacht haben, haben wir uns bei vielen Conventions und Signierstunden getroffen. Rob ist der Stille, Professionelle, Seriöse und Freundliche – ich bin wohl eher der sture Saufkopp.
CG: Was mir an Chew richtig gut gefällt, ist die Art, wie die Geschichte erzählt wird, vor allem die Seitenlayouts. Zum Beispiel die Doppelseite im ersten Heft, auf der Tony die Suppe ist. Sind solche Sachen deine Ideen, und wie viel kommt von Rob?
JL: Meine Skripte sind sehr detailliert und ich schlage meistens Seitenlayouts vor. Aber ich bin auch kein Kontrollfreak, höre mir also auch gerne Robs Vorschläge an, wenn er eine bessere Idee hat.
CG: Das Skript zum ersten Heft gibt es online, aber ich hatte noch keine Zeit, es zu lesen. Sollte ich vielleicht mal tun …
JL: Ja, das habe ich geschrieben, noch bevor ich Rob kennenlernte. Inzwischen schreibe ich mehr für ihn. Es ist eher ein Austausch.
CG: Chew wechselt ziemlich oft die Zeitebenen, es gibt Rückblenden und Ausblicke in die Zukunft. Demnächst geht ihr noch einen Schritt weiter und bringt Heft 27 schon ein Jahr im Voraus auf den Markt, zwischen Heft 18 und 19. Wie kam es dazu?
JL: Ich habe diese Ausgabe geschrieben, einfach weil sie in meinem Kopf so klar vorhanden war und ich sie direkt zu Papier bringen wollte. Und dann dachte ich „Warum sollen wir ein Jahr lang drauf herumsitzen?“ Es wäre doch lustig, ein Heft außer der Reihe zu machen und eine schöne Belohnung für die Leser, die sich die monatlichen Hefte kaufen (gesammelt erscheint es dann erst später chronologisch im sechsten Paperback). Also ein Dankeschön für die Käufer der Heftausgaben … die schließlich für unsere monatliche Miete sorgen.
CG: Hast du schon Reaktionen von Händlern auf diese Idee bekommen?
JL: Noch nicht. Wobei Image natürlich zuerst davon hören würde. Wir denken, wenn Ausgabe 27 dann wirklich an der Reihe ist, können wir sie nochmal nachdrucken, das ist dann leicht verdientes Geld für Rob und mich, aber Rob hat dann auch etwas freie Zeit übrig … Deshalb überlegen wir gerade, ob wir einen One-Shot mit dem Hahn Poyo produzieren.
CG: Meine nächste Frage ist vielleicht etwas doof, aber es interessiert mich wirklich …
JL: Her damit!
CG: Du hast lange Zeit als Redakteur für Wildstorm gearbeitet. Bei Chew gibt es keinen Redakteur. Warum braucht eine Serie wie Planetary oder Astro City einen Redakteur, aber Chew nicht?
JL: Ehrlich gesagt bräuchten auch Planetary und Astro City keinen. Ich war mehr der Korrekturleser und so eine Art Verkehrspolizist, der versucht, Warren (Ellis) und Kurt (Busiek) nicht im Weg zu stehen und ihre Vision so fehlerfrei wie möglich zu machen. Hier bei Chew liest meine Frau Korrektur, und Rob ist so ein Profi, dass er keinen Verkehrspolizisten braucht.
CG: Verstehe …
JL: Bei diesen erstklassigen Serien war ich weniger ein Redakteur, eher ein Förderer und Unterstützer.
CG: Ich habe gelesen, dass Chew als Fernsehserie adaptiert werden soll. Kannst du darüber etwas sagen?
JL: Ja, die Firma Circle of Confusion, die auch The Walking Dead produziert (die Fernsehserie ist echt ein großer Hit in den USA!), kümmert sich auch um Chew. Es gibt noch keinen richtigen Deal, aber Circle of Confusion heuert einen Regisseur (Stephen Hopkins, der viele 24-Folgen gedreht hat) und ein Autorenteam an und erstellt ein Drehbuch, und dann gehen sie damit zu den Fernsehsendern und sagen: „Wir sind die Leute, die The Walking Dead gemacht haben, den großen Hit, hier ist unsere nächste Serie … Wollt ihr sie kaufen?“, und ich hoffe, dass das jemand will.
CG: Wir drücken die Daumen.
JL: Yeah … Das wäre ein hübscher Bonus. Aber ich bin einfach nur glückllich, dass der Comic so gut läuft.
CG: Du hast am Anfang von Comics gesprochen, die du für andere Verlage schreibst. Kannst du zu diesen Projekten noch etwas erzählen?
JL: Ich schreibe dieses Jahr Annuals von Spider-Man, Deadpool und Hulk, die zusammen die dreiteilige Story „Identity Wars“ ergeben, in der die Helden in einer Paralleldimension auf andere Versionen von sich selbst treffen. Außerdem arbeite ich an einer Godzilla-Serie für IDW, zu der Geof Darrow die Titelbilder zeichnet und Alberto Ponticelli fantastische Zeichnungen beisteuert. Und es wird eine Aliens-Geschichte für Dark Horse geben, die Sam Kieth zeichnet. Es wird mir also nicht langweilig …
CG: Sind das Ideen von dir, oder kamen die Verlage damit auf dich zu?
JL: Chew hat mir viele Türen geöffnet. Ich musste links und rechts Projekte absagen, aber diese sind so toll, dass ich nicht ablehnen konnte.
CG: Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!
JL: Gerne. Ich bin dankbar für Presse, gerade für internationale Presse!
Rezension zu Chew 1
CHEW – Das offizielle Blog zur Serie
The Mighty Layman – John Laymans privates Blog
Chew bei Cross Cult
Abbildungen: © Cross Cult, John Layman, Rob Guillory, Marvel Comics