Rezensionen

Robert Crumbs Genesis

 Wenn Robert Crumb, Comiclegende und Urvater der Underground-Comix, nach jahrelanger Funkstille wieder ein neues Werk vorlegt, ist das schon etwas Besonderes. So besonders, dass das Album praktisch gleichzeitig auf Englisch, Französisch und Deutsch erscheint. Das könnte freilich auch damit zu tun haben, dass man hier keine eigene Übersetzung anfertigen musste. Der Text liegt schließlich längst vor: Es handelt sich um das Buch Genesis, die ersten 50 Kapitel des Alten Testaments.

„Nach bestem Wissen und Gewissen wortgetreu und ungekürzt“ habe er den Originaltext der Bibel wiedergegeben, betont Crumb im Vorwort. Als Textbasis diente ihm die englischsprachige King-James-Bibel, die deutsche Version verwendet die Lutherbibel (in der Fassung von 1912). Es gibt hier also, im Gegensatz zu allen anderen Übertragungen biblischer Texte in Comicform, weder Auslassungen noch Änderungen. Crumb illustriert den ganzen Text – das gilt auch für ermüdende Strecken, wenn beispielsweise lange Familienstammbäume durchdekliniert werden (“Seth war 105 Jahre alt und zeugte Enos … Enos war 90 Jahre alt und zeugte Kenan …“ usw.).

 Dass sich Crumb ausgerechnet diesem Thema zuwendet, ist durchaus überraschend. Eine Ikone der Gegenkultur, die seit den späten 60ern in ihren Comics immer wieder Drogen und sexuelle Ausschweifungen thematisiert hat, macht einen Bibelcomic? Und es ist nicht etwa eine Parodie oder eine religionskritische Satire? Nein, dies ist eine ernsthafte Adaption, doch Crumb will damit ausdrücklich nicht missionieren. Er stellt schon in der Einführung klar, dass es sich für ihn hier nicht um das „Wort Gottes“ handelt, sondern um von Menschen erdichtete Geschichten. Sehr, sehr alte Geschichten, die die Kulturgeschichte der Menschheit entscheidend geprägt haben, schließlich kennt bis heute jedes Kind die Namen Adam und Eva, hat vom Turmbau zu Babel oder von der Arche Noah gehört.

Crumb, so scheint es, hat mit diesem Projekt (an dem er immerhin vier Jahre lang arbeitete), auf seine ganz persönliche Weise Bibelforschung betrieben. Er recherchierte akribisch, seine Zeichnungen sollten historisch akkurat sein und die alttestamentarische Welt möglichst so darstellen, wie sie vermutlich ausgesehen hat. Er las aber auch wissenschaftliche Interpretationen der Genesis, die wiederum Einfluss auf seine Zeichnungen hatten. Im sehr interessanten Anhang des Buches erläutert Crumb einige Stellen genauer. Besonderen Wert legt er auf die Feststellung, dass die biblischen Texte oft auf noch viel älteren Geschichten beruhen, die aus der Zeit der Sumerer stammen und später aus Machtmotiven angepasst und verändert wurden. Demnach finden sich in vielen Kapiteln Spuren einer matriarchalischen Gesellschaft, die später durch eine männlich dominierte Herrschaft abgelöst wurde. Wie ein roter Faden zieht sich dieser Blickwinkel durch Crumbs visuelle Adaption der Bibel. Die Frauenfiguren (die er so üppig und drall darstellt, wie man es von ihm gewohnt ist) spielen bei ihm eine besondere, sehr aktive Rolle. Crumbs Sicht auf die Genesis ist eine feministische.

 Doch wie lässt sich diese Variante des Buchs Genesis nun eigentlich lesen? Ziemlich mühsam, muss man sagen. Der deutsche Text kommt an vielen Stellen sehr antiquiert daher, was zwar eine sehr interessante Reibung mit der Wucht von Crumbs Bildern ergibt, aber nicht gerade für eine flüssige Lektüre sorgt. Es kostet einige Mühe, sich durch den Text zu ackern, der eben nicht nur bekannte, spannende Legenden wie die von Noahs Arche oder Josefs Karriere in Ägypten erzählt, sondern bisweilen auch sehr ereignislos von Erbfolgen und Gebietsansprüchen berichtet wie eine Chronik vom Katasteramt. Man muss wohl selbst ein kleines Stück Interesse an Bibelforschung mitbringen, wie es Crumb selbst hatte, um diese Genesis genießen zu können.

Dann wird man belohnt mit Crumbs enorm kraftvollen Schwarz-Weiß-Bildern, mit seinen feingliedrigen Schraffuren, die den Zeichnungen bis ins kleinste Detail Tiefe verleihen. Selbst wenn im Text mal wieder dutzende und aberdutzende Familienmitglieder vorgestellt werden, schafft es Crumb, jedem von ihnen einen individuellen Gesichtsausdruck zu geben. In der Darstellung der Ereignisse bleibt er überwiegend nüchtern. Klar, wenn von Sex oder Gewalt die Rede ist, wird das durchaus unverblümt gezeigt, aber nicht selbstzweckhaft in den Vordergrund gespielt. Crumb setzt seine kleinen persönlichen Kommentare lieber ganz subtil in feinen Details: Wenn Gott zu Noah und seinen Söhnen predigt: „Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll auch durch Menschen vergossen werden“, blicken diese furchtsam und finster drein. Als ihnen Gott jedoch im nächsten Satz aufträgt: „Seid fruchtbar und mehret euch“, zaubert Crumb ihnen ein verschmitztes Lächeln und glänzende Augen ins Gesicht.

Robert Crumbs Genesis
Carlsen, Oktober 2009
Zeichnungen: Robert Crumb, nach dem Buch Genesis
Hardcover; 224 Seiten; schwarz-weiß; 29,90 Euro
ISBN: 978-3-551-78637-1

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Abbildungen: © Carlsen Verlag

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