Das Erste, was beim Aufschlagen von Der Comic im Kopf – Kreatives Erzählen in der Neunten Kunst ins Auge springt, ist das pralle, den Leser geradezu erschlagende Inhaltsverzeichnis, in dem die Gliederung der 13 Kapitel mit ihren zahlreichen Unterabschnitten mit teils bis zu drei Ebenen an so manches akademische Fachwerk erinnert. Inhaltlich geht es dann aber weniger um trockene Comic-Erzähltheorie, sondern vielmehr um deren praktische Umsetzung. Laut Klappentext hat das Buch den Anspruch, für Comiczeichner und -autoren zu sein, „die in ihrem Erzählen einen Schritt weitergehen und sich bewusst mit dem Handwerk des Erzählens im Comic auseinandersetzen wollen“.
Als von Beginn an äußerst angenehm erweist sich der Schreibstil von Autor Frank „Spong“ Plein, der nicht nur ansprechend und klar, sondern auch noch ziemlich unterhaltsam und stellenweise geradezu mitreißend ist. Wenn er anfangs allgemein über die Liebe zu Geschichten, das Wesen der Kreativität und die Kräfte, die uns vom Schaffen abhalten, berichtet sowie die „Top Ten des Scheiterns“ vorführt, wähnt man sich schnell in einem Workshop mit einem energiegeladenen, sympathischen Lehrer, dem sein Stoff wirklich am Herzen liegt und der sich deshalb mit vollem Einsatz hineinwirft. Und er liefert in Sachen Erzählhandwerk das volle Programm: Zuerst exerziert Plein die für alle Erzählmedien grundlegenden Bereiche „Thema und Setting“, „Figur und Charakter“, „Plot und Struktur“ sowie „Dialoge“ durch, wobei in den beiden ausführlichen Kapiteln über Figuren und Dialoge auch schon viel comicspezifisches Wissen und Praxistipps geboten werden. Danach wird es dann vollends comic-zentrisch: Comicskript, Seitenlayout und Panels werden genau so behandelt wie die Darstellung von Bewegung und Action im Comic; zudem reißt Plein an, wie man sich für seinen Comic in Sachen Bildsprache bei Design, Film und Fotografie bedienen kann und z.B. Perspektiven und Blickwinkel richtig einsetzt. Dabei weist er wiederholt auf die Stärken und Schwächen des Comicmediums hin, was schließlich in dem inspirierenden Kapitel „Was Comics können, können nur Comics“ mündet, das man als Comicmacher natürlich besonders gerne liest.
Visuell unterstützt wird das Ganze natürlich mit Comicpanels und Illustrationen, und obwohl Plein selbst auf reichlich Erfahrung als Comiczeichner (Tara oder Der Marterpfahl der Leben heißt) und Buchillustrator (Mädchen und andere komische Dinge) zurückgreifen kann, stammen diese nicht von ihm, sondern von seinem Kollegen Markus Hockenbrink. Zusätzlich zu Hockenbrinks klaren, didaktisch gut funktionierenden Zeichnungen im Semi-Funnystil wird aber auch noch eine ganze Reihe von Beispielpanels und -seiten namhafter Comiczeichner zur Bebilderung aufgeboten. Und es macht natürlich eine Menge Spaß zu sehen, wie die beschriebenen Möglichkeiten und Techniken von Comicmeistern wie Peter Bagge, Eduardo Risso, Charles Burns, Daniel Clowes oder Howard Cruse gehandhabt werden.
Plein geht aber noch einen Schritt weiter, um die Theorie mit der Praxis zu verknüpfen: In Form von Werkstattbesuchen zeigt er, wie die deutschen Comickünstler Ralf König und Jan Suski arbeiten, und lässt in kürzeren Beiträgen auch Flix, Gerhard Schlegel, Tobi Dahmen und ihren US-Kollegen Alex Robinson ihre Herangehensweisen beschreiben. Noch praktischer wird es dann, wenn Zeichner Till Felix eine Szene nach einem Skript Pleins relativ frei umsetzt und erläutert, warum er dabei die jeweiligen Seitenlayouts, Perspektiven und Bildinhalte gewählt hat. Eine schöne Idee! Anschaulicher kann man den kreativen Prozess, der hinter dem Entwurf eines Comics steht, wohl kaum vermitteln.
Was die Auswahl der erzählerischen Grundlagen und Werkzeuge angeht, erweist sich der Autor als Eklektiker im besten Sinne: Alles, was aus seiner Sicht helfen kann, bessere Comicgeschichten zu erzählen, findet seinen Platz in diesem Handbuch. Er greift auf Weisheiten von Alan Moore ebenso zurück, wie auf Zeitmanagement-Ratgeber, die Typenlehre des Enneagramms und Anekdoten aus seinem eigenen Leben. Neben Comicgrößen wie Ralf König und Grant Morrison werden auch Schriftsteller wie Kurt Vonnegut oder John Irving sowie die Drehbuchlehrer Robert McKee und Christopher Vogler zitiert. Es gibt zudem eine wahre Flut von Belegen und Beispielen, vom Krimicomic Scalped über die TV-Comedyserie Little Britain bis zu Sergio Leone-Filmen. Hier erweist sich Plein als übersprudelnde Popkultur-Verweisquelle, seine Begeisterung für viele der genannten Geschichten und Erzähler bricht sich immer wieder Bahn und macht den Leser entsprechend neugierig auf einige genannte Werke und Künstler, die ihm noch unbekannt sind.
Auffallend ist jedoch die starke Fokussierung auf nordamerikanische (und ein paar deutsche) Comics und Künstler. Dass beispielsweise frankobelgische Zeichner und Serien kaum erwähnt werden, ist vielleicht noch zu verschmerzen, ähneln sich die erzählerischen Mittel doch stark genug. Aber dass der Manga fast komplett ausgespart wird, ist bedauerlich. Gibt doch schon die einsame Beispielseite aus der Feder von Osamu Tezuka einen beeindruckenden Vorgeschmack darauf, was hier noch alles zu holen bzw. zu lernen wäre. Hier waren die persönlichen Comicvorlieben des Autors offensichtlich zu sehr maßgeblich. Zudem hätte ich mir manche Kapitel ausführlicher gewünscht, z.B. jenes über „Action im Comic“, in dem nur ein paar Grundlagen abgefrühstückt werden. Und wenn schon die Kapitelgliederung im ausführlichen Stil eines Fachbuchs daher kommt, wäre auch ein dementsprechend detaillierter Literaturanhang mit allen erwähnten Werken und ihren Machern eine schöne Ergänzung gewesen. Immerhin gibt es eine Auswahl an besonders hilfreicher Sekundärliteratur und eine persönliche Comic-Empfehlungsliste des Autors. Diese Kritikpunkte schmälern den positiven Gesamteindruck jedoch nur gelinde. Was dem Buch hingegen wirklich schmerzhaft fehlt, ist bzw. war ein gründliches Lektorat. Allzu häufig wird man von den zahlreichen, ärgerlichen kleinen Fehlern aus dem Lesefluss gerissen. Da kann man nur auf eine zweite, überarbeitete Auflage hoffen, die dieser Band schwer verdient hat.
Manche der Herangehensweisen, die einem in Der Comic im Kopf nahe gebracht werden, kann man übrigens durchaus in Frage stellen. Doch Plein erweckt nicht den Anschein, dass wir es hier mit in Stein gemeißelten, unumstößlichen Regeln zu tun haben. Die vermittelten Erzählprinzipien sind aufgrund ihrer breit gefächerten Herkunft eher eine Art angenehm undogmatischer „Best Of Comic-Storytelling“-Mix: Ein Angebot, das man komplett, aber auch nur in Teilen nutzen kann. Und selbst – oder vielleicht sogar gerade – jene Teile, die man vielleicht anzweifeln mag, regen dazu an, über die Möglichkeiten der Comicerzählung nachzudenken oder zu diskutieren. Teils wähnt man sich auch bereits während der Lektüre im direkten Zwiegespräch mit einem Bekannten, der einfach eine Menge übers Comichandwerk weiß. Dies ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass Frank Plein seine eigene Persönlichkeit und Erfahrungen, seine Liebe zum Medium und Bewunderung für viele Comicerzähler so intensiv und offen einbringt. Im Zusammenspiel mit der auflockernden Selbstironie macht das auch den großen Appeal dieses Handbuchs aus. Der Autor ist kein Guru, sondern einer von uns: Ein Comicmacher, der sich weiterentwickeln möchte, und ein Kollege, der uns kräftig in den Hintern treten und motivieren will, bessere Comics in die Welt zu setzen. Und vor allem letzteres gelingt Frank Plein mit diesem Buch erstklassig!
Wertung:
Kleiner Schwächen zum Trotz: Der Comic im Kopf überzeugt als kreativer Werkzeugkasten und Motivationsquelle für Comicmacher
Der Comic im Kopf –
Kreatives Erzählen in der Neunten Kunst
ICOM, Juni 2012
Text: Frank Plein
Zeichnungen: Markus Hockenbrink
192 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 19 Euro
ISBN: 978–3–88834–923–2
Leseprobe
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Abbildungen © Frank Plein/Interessenverband Comic e.V.