Christian Lax (Hot Rock) verbindet viele positive Erinnerungen mit dem Radsport im Allgemeinen und der Tour de France im Speziellen. So berichtet er auch im Vorwort seines neuen Comics Adler ohne Krallen von den Helden seiner Jugend. Danach nimmt er uns mit zu den Anfängen der Tour, die 1903 geboren wurde.
Wer jetzt aber denkt, es werden die Umstände und Hintergründe dieses allerersten Rennens thematisiert, liegt falsch. Christian Lax setzt ein paar Jahre später ein und erzählt das Schicksal des (fiktiven) Antoine Fario, dessen großer Traum es ist, an der Tour de France teilzunehmen.
Aus dem Militärdienst frisch entlassen verdingt sich der einfache Mann, der am Pic du Midi in den Pyrenäen lebt, als Lastenträger und beliefert ein Observatorium hoch oben auf dem Berg. Mit diesem Knochenjob versucht er sich das Rad zusammen zu sparen, mit dem er für die Tour trainieren und schließlich antreten will.
Unterstützt vom im Observatorium arbeitenden Camille verfolgt er verbissen sein Ziel und findet im Astronomen einen echten Freund. Antoine hat nur zwei Probleme: Geld, das er nicht besitzt, und das Schicksal, das es nicht gut mit ihm meint. Um genug zu verdienen, schleppt er sich zur Erschöpfung, auch dann noch, als seine Kollegen im harten Winter den Berg meiden. Prompt stürzt er auf dem Rückweg nachts im Schnee und muss in einer Hütte Zuflucht suchen. Die Kälte lässt seine Zehen absterben, es bleibt nur noch die Amputation.
Antoine gibt nicht auf, nimmt auf den Fußballen und mit Holzprothesen in den Schuhen (unbemerkt von der Öffentlichkeit und der Konkurrenz) sogar an Rennen teil. Als Nobody und Einzelfahrer, den zunächst keiner auf der Rechnung hat, erwirbt er sich schnell den Ruf als „Adler von Esponne“.
Lax verknüpft hier ein fiktives Einzelschicksal mit realem, historischem Hintergrund. Es ist eine exemplarische Geschichte, die der Liebe des Autors zum Radsport Ausdruck verleiht. Tatsächlich bekommt man einen Eindruck, wie mühselig es zur damaligen Zeit war, es sich zum einen leisten zu können, an der Tour teilzunehmen, zum anderen diese auch durchzustehen. Viel mehr als heute, wo es auch auf die technischen [und medizinischen, Anm. d. Chefred.] Voraussetzungen ankommt, stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts die pure Muskelkraft und der Siegeswille im Vordergrund. Die Figur des Antoine ist Abbild genau davon. Trotz aller Widrigkeiten wurde er zu einem jener Helden, die er selbst verehrte.
Als zum Schluss des Comics der Erste Weltkrieg heranrückt, wird dem Leser schmerzlich bewusst, dass weder Antoines Erzählung, noch der der anderen prominenten Fahrer im Feld ein Happy End vergönnt ist. Christian Lax stellt damit seinen Comic nochmal in einen unmissverständlichen historischen Bezug.
Die Seiten sind in nüchternen Farben gehalten, das braun-ockerne Ambiente ist so schlicht wie das Leben der Menschen vor Ort in den Bergen. Bezeichnenderweise sind der klare, dunkelblaue Nachthimmel und die schneebedeckten Gipfel am hellsten geraten. Insgesamt unterstützt der Zeichenstil von Lax die ergreifende Story perfekt.
Wertung:
Comic über die Anfänge der Tour de France mit einem überzeugenden Protagonisten
Adler ohne Krallen
Schreiber & Leser, Juni 2012
Text und Zeichnungen: Christian Lax
Übersetzung: Resel Rebiersch
80 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 18,80 Euro
ISBN: 978-3-941239-89-0
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Schreiber & Leser