Kamingespräch

Kamingespräch: Superhelden-Overkill im Kino?

Nach längerer Pause lassen wir das COMICGATE-KAMINGESPRÄCH wieder aufleben, die virtuelle Diskussionsrunde, in der mehrere Mitglieder der Comicgate-Redaktion über ein Thema diskutieren.

Der Superheldenfilm ist inzwischen zur festen Größe im Mainstream-Kino geworden. Das Genre ist erfolgreich, die Budgets sind groß und kürzlich haben diverse Studios ihre Pläne für die kommenden Jahre angekündigt. Allein aus den Marvel Studios kommen in den nächsten vier Jahren elf Filme in die Kinos, und auch die Konkurrenz will eher klotzen als kleckern. Man kann sich also die Frage stellen: Gibt es einen Superhelden-Overkill im Kino? Und nützt oder schadet die Flut dieser Verfilmungen den Comics?

altEs diskutieren: Christian Muschweck, Benjamin Vogt, Michel Decomain, Thomas Kögel, Daniel Wüllner und Björn Wederhake. 

 

Christian: Erst mal: Sich über die Flut von Superhelden-Filmen aufzuregen, ist wahrscheinlich so sinnvoll, wie zu beklagen, dass es immer nur von oben nach unten regnet. Hollywood hatte in den letzten Jahrzehnten zunehmend ein Problem mit seinen Blockbustern, die trotz riesiger Budgets baden gingen und dadurch mitunter die Existenz von Studios gefährdeten. Die bekanntesten Fälle sind vermutlich John Carter und Lone Ranger, aber es dürften Dutzende Filme mehr sein, die an der Kasse gefloppt sind.

Da man in Hollywood aber nicht auf Blockbuster verzichten mag, setzt man eben auf die sichere Marke „Superhelden“, gerade durch die Querbezüge der Filme untereinander eine sichere Bank. Ich habe mir zur Einstimmung auf das Gespräch gerade erst den zweiten Spider-Man-Film von Sam Raimi noch einmal angesehen, den ich für einen der besten Marvel-Filme halte. Das beste Argument für Comicfilme ist schließlich gute Qualität. Trotzdem nervt die stetig zunehmende Flut der letzten Jahre. Ich würde gerne wieder richtige, realistische, kernige Typen in Action sehen und nicht immer nur diese komischen Helden in unmöglicher Kleidung, die so komische Sachen machen wie Netzflüssigkeit aus dem Handgelenk verspritzen oder mit einem Hammer durch die Gegend fliegen. Das war mal witzig, jetzt ist es nur noch formelhaft.

Szene aus Spider-Man 2

 

Benjamin: Eine Flut von Superhelden ist nicht von der Hand zu weisen (übrigens nicht nur im Kino, sondern auch im TV). Die Frage ist doch, ob es sich lohnt, diesen Umstand zu beklagen. Schließlich gibt es in Hollywood auch weiterhin noch andere Filme mit großen Budgets, seien es Die Tribute von Panem, Der Hobbit, Interstellar etc. Von daher denke ich, dass der momentane Erfolg von Superheldenstoffen nicht zwangsläufig Filme mit anderen Inhalten verdrängen bzw. ersetzen.

Im Übrigen haben sich doch seit jeher die meisten der richtig gehypten Blockbuster nicht durch einen hohen Realitätsgrad ausgezeichnet. Das wäre für mich also per se kein Argument, Superhelden zu kritisieren. Denn sonst müsste ich auch Lichtschwerter doof finden.

Bedenklicher finde ich da schon eher den Trend hin zur Ideenlosigkeit (oder Mutlosigkeit), der Hollywood allgemein betrifft. Immer mehr Filme bedienen sich aus Vorlagen anderer Medien (Comic, Roman, Videospiele) oder setzen auf Fortsetzungen bereits etablierter Marken. Für meine Begriffe ist das ausufernde Ausnutzen der verlässlichen Marke „Superhelden“ in dieser Hinsicht nur ein weiteres Symptom.

 

Pro und Contra Vermarktungsketten

Christian: Sich aus bestehenden Vorlagen zu bedienen, ist nichts schlimmes. Kritisch sehe ich allerdings, wenn von vorneherein die volle Verwertungskette durchgeplant ist: Roman – Comic – Film – Computerspiel – Spielzeug. Das wirkt zwar dynamisch, bezeugt aber die tatsächliche kreative Erstarrung. Es gibt keine Überraschungen mehr auf Seiten des Mainstreams. Problematischer noch sehe ich allerdings die „All-ager“-Philosophie, mit denen die Produkte vermarktet werden. Dass Erwachsene sich für Jugendbücher interessieren, ist ja per se eine nette Sache. Dieser Umstand verliert aber sehr schnell seine Unschuld, wenn man die Folgen bedenkt, die die mediale Ausschlachtung nach sich zieht. Die Verfilmungen müssen drastisch, gruselig und spannend genug sein, um Erwachsene zu fesseln, gleichzeitig sind aber auch Kinder nach wie vor Zielgruppe. Beim Ansehen des zweiten Spider-Man-Films von 2003 ist mir aufgefallen, wie kindisch die Inszenierung einerseits ist, wie brutal aber die Gewaltszenen wirken. Das mag in diesem Fall als comichafte Überzeichnung durchgehen, ist aber dennoch ein unguter Spagat, der weder den Erzählungen hilft noch den Zuschauern. Auch früher wollten Kinder wie Rocky oder Rambo sein, aber zumindest waren diese Erzählungen klar an ein älteres Publikum gerichtet. Bei Spider-Man ist das nicht so eindeutig. Noch schwieriger sind aber die DC-Verfilmungen einzuordnen: The Dark Knight war düster, krank und ultrabrutal. Die Inszenierung lässt sich wohl am ehesten mit Paul Verhoevens Robocop vergleichen. Aber im Gegensatz zu Verhoevens Reißer ist auch beim Dark Knight die Zielgruppe uneindeutig, selbst wenn so getan wird, als wende man sich an die „erwachsenen“ Zuschauer. Aber gibt es nicht auch schon die Lego-Variante vom Dark Knight?

Zementiert wird diese unschöne Richtung durch das viele Geld, das bereits in diese Projekte geflossen ist. Geld erzeugt Sachzwänge, so dass man diese Entwicklung wohl erst mal nicht mehr stoppen kann. Was im Superheldengenre die nächsten Jahre kommen wird, ist fürs Erste vordefiniert.

 

Michel: In dem, was Christian als Kritikpunkte ausmacht, sehe ich eigentlich eher die Tugenden der modernen Superheldenfilme. Gerade das Offenhalten der Zielgruppen ist ja etwas, womit sich der US-amerikanische Mainstreamcomic jahrelang schwer getan hat und noch immer tut. Die meisten Superheldencomics sind weiterhin auf die Zielgruppe „weiß, männlich, über 18 und Sammler“ zugeschnitten. Durch die exklusive Fokussierung auf dieses „sichere“, aber sehr spezielle Publikum fällt es schwerer, andere Zielgruppen zu erreichen und mit der Kernzielgruppe zu vereinen. Die Verfilmungen hingegen haben ihr Publikum von Anfang an inklusiv verstanden. Fan oder Nicht-Fan, jung oder alt, weiblich oder männlich – alle können mit den Filmen irgendwie was anfangen. Im Wesentlichen setzen gerade die Marvel-Filme da die klassischen Disney-Tugenden fort. Die haben schon verstanden, wie Mainstream funktioniert, und schaffen es trotzdem noch, unterhaltsame Geschichten dabei zu erzählen. Passenderweise hat Marvel ja nun endlich auch mal einen Titel mit einer afroamerikanischen und einen mit einer weiblichen Hauptfigur angekündigt.

Die andere Sache ist die multimediale Vermarktungskette. Wenn du kreative Erstarrung sehen willst, dann schau dir mal an, wie der deutsche Comic in Vermarktungsketten eingebunden ist. Nämlich gar nicht. Als Comic-Schaffender kann ich dir versichern, wir wären heilfroh, wenn die Film-, Game- oder Merchandise-Branche sich mal angucken würde, was die Comicleute hier in Deutschland so treiben. Dass man allein mit Comics hier seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann, damit haben sich ja mittlerweile alle abgefunden. Dass man die Titel aber auch jenseits der Comicbranche nicht vermarkten kann, weil andere Kreativbereiche zu verbohrt sind, um sie überhaupt wahrzunehmen, ist gerade aus finanzieller Hinsicht schon sehr frustrierend. Vor allem zeigt es, wie gering der Stellenwert von Comics in Deutschland im Kulturbereich wirklich ist, Feuilleton-gesteuerte Graphic-Novel-Lobby hin oder her. Gerade als Manga-Schaffender wirft man da immer wieder wehmütige Blicke nach Japan, wo solche Vermarktungsketten wie selbstverständlich ineinandergreifen.

Promo-Artwork für X-Men: Days of Future Past

Wenn man an den Superhelden-Vermarktungsketten etwas kritisieren will, dann eher, dass von den erwirtschafteten Milliarden zu wenig (oft gar nichts) bei den ursprünglichen Comic-Kreativen ankommt (das ist in Japan anders). Zum anderen haben es weder Marvel noch DC bisher geschafft, den Erfolg ihrer Superhelden-Franchises auf den Comic-Bereich mit auszuweiten. Dort regiert weiterhin das exklusiv gedachte Fanboy-Marketing mit Gimmick- und Variant-Covers, alternativen Universen, ständiger Rotation von Kreativen an bestimmten Serien und immer, immer wieder Crossovers. Ich hab ja mal nach den New 52 zwei Jahre lang versucht, DC-Comics zu lesen, und hab’s mittlerweile aufgegeben, weil es einfach unmöglich ist, als GelegenheitsleserIn davon nicht irgendwann völlig frustriert zu sein. Du schaffst keine sechs Ausgaben am Stück ohne Crossover oder ersetztem Kreativteam. Ein bisschen Sorge macht mir, dass Disney und Warner jetzt versuchen, den Shared-Universe-Ansatz auf den Filmkanon zu erweitern. Im Moment funktioniert das noch, weil die bisherigen Titel noch recht übersichtlich sind. Aber wenn ich mir die Marvel-Pläne bis 2020 angucke, kann ich den Punkt schon kommen sehen, an dem das ungeschulte Blockbuster-Publikum den Überblick und damit auch das Interesse verliert. Mal sehen, wie lange das gut geht.

 

Benjamin: Wenn du von funktionierenden Vermarktungsketten sprichst, dann habe ich aber, gerade was die US-Verlage betrifft, das Gefühl, dass die Superheldenfilme zwar multimedial und massentauglich sind, aber das ursprüngliche Comicgeschäft davon kaum tangiert wird. Weder inhaltlich kann man in Bezug auf die Comics größere Berührungspunkte ausmachen, noch bekommen Künstler gesteigerte Aufmerksamkeit oder die Verkaufszahlen springen bei der Serie von Held XY nach oben, weil gerade dessen Film im Kino läuft.

Und das ist angesichts des riesigen Aufwands und des enormen Erfolges aktueller Superheldenfilme doch sehr erstaunlich. Aber das liegt wohl tatsächlich an dem bereits erwähnten Versuch der Studios, eine möglichst breite Zielgruppe ins Kino zu locken. Und von dieser liest wahrscheinlich eine große Mehrheit gar keine Comics und ein noch kleinerer Teil liest Superheldencomics im Speziellen. Übrig bleibt der feste Kern der Zuschauer, die ohnehin Superheldencomics zuvor auch schon regelmäßig gelesen haben und der sich nicht merklich verändert. 90 Minuten einen grünem Koloss, einem Typ in einer Rüstung und einem Gott dabei zuzusehen, wie sie New York in Schutt und Asche legen, scheint halt doch von viel mehr Menschen als kurzfristige, massentaugliche Unterhaltung akzeptiert zu sein, als ähnliche Szenarien mit den gleichen Figuren in einem Comic zu lesen. Das sind dann doch irgendwie noch zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe.

 

Das Wagnis des „shared universe“

Thomas: Wenn wir von einem Superhelden-Overkill im Kino sprechen, bin ich zwiegespalten: Was Marvel mit seinem „Cinematic Universe“ macht, finde ich tatsächlich hochinteressant und spannend, nicht als Comicleser, sondern vor allem als Filmfan. Diesen aus den Comics übernommenen Ansatz, dass unterschiedliche Filme in der gleichen Welt spielen und sich ineinander verschränken können, gab es in Film und Fernsehen in dieser Form bisher nicht. Was Marvel hier versucht hat, war ein Wagnis, und das Risiko scheint sich gelohnt zu haben. Ohne die Vorarbeit, die mit Thor, Iron Man, Captain America und Avengers geleistet wurde, wäre Guardians of the Galaxy nie ein solch großer Erfolg geworden. Das Marvel-Logo ist mittlerweile zur Kino-Marke geworden, die allein als Auslöser dienen kann, einen Film sehen zu wollen. Man braucht dann weder einen prominenten (und teuren) Hauptdarsteller noch eine berühmte Figur als Zugpferd, sondern kann auch von einer Truppe galaktischer Misfits erzählen, zu denen ein Waschbär und ein Baum gehören, und die bis zum ersten Trailer kaum jemand gekannt hat.

Dass Marvel und seine Konzernmutter Disney diesen Pfad weiter beschreiten und ausbauen wollen, ist nur logisch, und natürlich steckt darin auch das Risiko, dass man das Publikum damit früher oder später überfordert  sei es durch die schiere Menge an Filmen, sei es durch immer mehr und immer kompliziertere Querverweise zwischen den Filmen. Dass eine zu starke Verknüpfung von Serien, verbunden mit dem Primat der Continuity, auf Dauer eher schädlich und ein Riesenhindernis für Neueinsteiger sein kann, ist an den Comic-Universen ja sehr gut zu beobachten. Mal sehen, wie lange das Publikum mitmacht  dass der Boom früher oder später in einen Abschwung münden wird, ist fast unvermeidbar.

Marvels Filmboss Kevin Feige präsentiert die

Was einen Überdruss beim Zuschauer sehr wahrscheinlich befördern wird, ist die Tatsache, dass auch die anderen Studios auf den Trend des „shared universe“ aufspringen und auch dort ganze Serien von Filmen geplant sind, die ineinander greifen sollen. Da ist natürlich DC mit Batman, Superman und der Justice League, aber auch Sony mit Spider-Man und den Fantastic Four oder Fox mit den X-Men. Und auf ganz ähnliche Weise sollen ja auch andere Franchises wie Star Wars oder Harry Potter ausgebaut werden. Wenn aber kein großer Film mehr allein für sich selbst stehen kann, sondern stets gleich auf den nächsten und übernächsten mitverweist, droht auf Dauer ein inhaltlicher Einheitsbrei. Die Richtlinienkompetenz der Studios, die das „große Ganze“ im Auge behalten, steht über der Kreativität von einzelnen Regisseuren und Autoren. Bestes Beispiel dafür ist Marvels Ant Man-Film, der eigentlich von Edgar Wright (Scott Pilgrim, Shaun of the Dead) gedreht werden sollte. Dessen unkonventionelle  Ideen hätten womöglich nicht gut genug zur großen Marvel-Linie gepasst, so dass man ihn mittlerweile durch Peyton Reed ersetzt hat. Dass dessen bislang letzter Film den Titel „Der Ja-Sager“ trägt, ist möglicherweise kein Zufall.

Wie auch immer, ich als Kinogänger würde mir wünschen, dass Marvel sein „Cinematic Universe“-Experiment erfolgreich weiterführt und nebenbei auch Raum für Filme lässt, die abseits dieser Leitlinie liegen (Ant Man hätte so etwas sein können). Auf die angekündigten „Wir machen das jetzt auch so“-Projekte der Konkurrenz will bei mir jedoch so gar keine Vorfreude aufkommen. Erst recht nicht auf die von DC, die mit ihrem Hyperrealismus und dem Zwang, möglichst düster und ernsthaft rüberzukommen, offensichtlich einen Gegenpol zu den bunten Popcorn-Spektakeln von Marvel setzen wollen. Aus meiner Sicht der falsche Weg, denn kaum ein Genre braucht Augenzwinkern und ein wenig ironischen Abstand so dringend wie der Superhelden-Actionfilm.

 

Daniel: Die Liste der kreativen Köpfe, die sich der bekannten Figuren annehmen, muss neben den bereits genannten Regisseuren Christopher Nolan (Batman) und Sam Raimi (Spider-Man) noch um Joss Whedon erweitert werden. Für mich hat Marvels „Cinematic Universe“ eigentlich erst mit dem Avengers-Film begonnen. Das liegt nicht daran, dass ich ein Crossover für eine sonderlich einfallsreiche Erzählform halte. Im Gegenteil: Eine ausgewogene Geschichte mit so vielen Charakteren überzeugend zu erzählen, ging in den meisten Comics schief. Man verlässt sich allein auf den großen Knalleffekt, die möglichst große Schnittmenge von Fans verschiedenster Helden. Es knallt gewaltig bei den Avengers, aber das macht nicht den Reiz des Films aus. Der Spagat, der Whedon gelingt, findet fernab von all der Action statt. Er liegt in seinem Talent, multiple Charaktere sinnvoll weiterzudenken und interagieren zu lassen – wie echte Menschen, nun ja, wie echte Superhelden. Dadurch beweist Whedon sich als Kenner der Figuren, aber auch als Erneuerer. Aus eben solchen erneuernden Kräften wurden die besten Comicgeschichten geboren, nicht aus der musterhafen Serie. Es würde mich wirklich interessieren, inwieweit er an der Hinführung zum Avengers-Film mitgearbeitet hat.

Promo-Artwork für The Avengers

Wenn Marvels „Cinematic Universe“ mit The Avengers geboren wurde, so stirbt es auch mit The Avengers. Denn der Erfolg zieht, wie so oft, Gewinnerwartungen nach sich. Das Interessante muss gesteigert werden, muss von New York in die ganze Galaxie verfrachtet werden, nur um sich 2019 zweiteilig im Unendlichen zu ergehen. Und den entsprechenden Handschuh gibt es auch schon. Und woran erinnert uns dieses Muster? An die Welt der amerikanischen Comics, die von zwei großen Verlagen beherrscht werden. Comicserien werden bis ins Unendliche fortgeschrieben und tauchen immer dann in der öffentlichen Wahrnehmung auf, wenn sich Erneuerer anschicken, mit bekannten Figuren neue Geschichten zu fabulieren. Die begründete Angst vor der vorauseilenden Planung bis ins Jahr 2019, der dritten Phase des Marvel’schen Filmuniversums, hat meines Erachtens nach wenig mit Superhelden oder Superheldenverfilmungen zu tun. Sie liegt in der Angst vor dem Altbekannten, den langweiligen und immer wiederkehrenden Crossovern der Comicwelt. Wenn Marvel und DC nun das Medium erfolgreich wechseln, werden wir uns aller Wahrscheinlichkeit nach auf viel Gleichförmiges einstellen müssen. Der jüngste Fall, die Meinungsverschiedenheiten zwischen Marvel und Edgar Wright, den Thomas schon beschrieben hat, deutet in diese düstere Zukunft.

 

Benjamin: Schaut man sich mal den Fahrplan allein der großen zwei, Marvel und DC (wobei ich da die Fox- und Sony-Lizenz mit einschließe), für die kommenden Jahre an, kommt man im ersten Moment nicht umhin zu denken, dass auf absehbare Zeit eine Übersättigung eintreten könnte, gerade auch wenn es um die Helden aus der zweiten Reihe geht (etwa Black Panther oder Shazam). Auf der anderen Seite bin ich da ganz bei Thomas: Die Planung eines verbundenen Filmuniversums, das langfristige Denken in Phasen, das ist ein wirklich interessantes Projekt. Und anders als im Comicuniversum scheinen Gelegenheitsfans von dieser inhaltlichen Verschränkung nicht überfordert oder genervt zu sein.

Als regelmäßiger, eifriger Leser von Superheldencomics freue ich mich über vor allem über die hohe Qualität der Filme. Für die Zukunft bleiben aus meiner Sicht drei große Fragen:

1. Wird es DC nach einer erfolgreichen Dark Knight-Trilogie gelingen, eine ähnliche Begeisterung der Fans hinüberzuretten in ihren ambitionierten Gegenentwurf zu Marvels „Cinematic Universe“? Jeder freut sich wohl auf einen Justice League-Film, aber Batman v Superman wird wohl der Prüfstein dafür, ob die ersten Helden für dieses Unterfangen beim Publikum Anklang finden.

2. Was kommt nach Marvels Phase 3? Man muss davon ausgehen, dass einige Schauspieler dann womöglich nicht mehr zur Verfügung stehen wollen. Vielleicht kommt dann (analog zu den Comics) ein Reboot mit neuen Darstellern und Regisseuren. Oder kommt dann der Versuch, ein Crossover mit bzw. einen Lizenz-Rückkauf von Spider-Man und X-Men durchzusetzen?

3. Wie wird sich der TV-Serienmarkt entwickeln? Während DC Arrow, Flash und Constantine abseits des Kinouniversums plant, gibt es bei Marvels Agents of S.H.I.E.L.D. erste Berührungspunkte mit Captain America oder Avengers. Und auch Daredevil und die weiteren Netflix-Serien sind nicht nur inhaltlich verzahnt, sondern spielen auch im gleichen Universum wie die Leinwandhelden. Das könnte bei gegenseitigen Gastauftritten beispielsweise noch eine weitere Dimension darstellen.

Szene aus der TV-Serie The Flash

 

Comics und Filme – zwei Paar Stiefel

Björn: Wir haben jetzt seit dem Beginn des Jahrtausends einen Boom an Superheldenfilmen und -serien, keine Lois and Clarks, die das Superheldenelement etwas verschämt zur Seite schieben, sondern Filme und Serien, die offen und breitbeinig dazu stehen, dass sie eine Superheldenthematik umsetzen. Hey, Blink aus Age of Apocalype ist jetzt ein Begriff (und vermutlich mehr Leuten, als sie es über die Comics je war oder sein würde). Aber wenn wir in den letzten fünfzehn Jahren auch etwas gesehen haben: Die Schnittmenge zwischen Film und Comic ist so marginal, dass sie ignoriert werden kann. Wer als Kind die Teen Titans-TV-Serie gesehen hat, ist inzwischen so 16 bis 20 Jahre alt. Warum überaltert der Superheldenmarkt dann weiter? Warum gibt’s keine riesigen Verkaufszahlen, wenn ein Film richtig erfolgreich ist? Iron Man ist ein Franchise geworden, das viel erfolgreicher ist, als man je geglaubt hätte. Ich meine, hey, es ist Iron Man, for fuck’s sake. Aber hat das irgendeinen Einfluss auf die aktuellen Comics und deren Leserschaft?

Wenn’s hochkommt, dann helfen die Filme dabei, ein paar Klassiker in etwas größerer Stückzahl zu verkaufen (Millers Batman-Comics, Moores Watchmen, so herausstechende Spider-Man-Comics wie Kraven’s Last Hunt). Und sie helfen dem Wiedererkennungswert der Figuren. Das war’s aber auch schon.

Ich glaube, die Frage zäumt das Pferd ohnehin von der falschen Seite auf: News Flash  Warner Brothers und Disney sind die Comic-Abteilungen von Marvel und DC schnurzpiepegal. Die sind ein Bruchteil des Budgets und haben eine primäre Funktion: IPs zu liefern, aus denen man dann Filme, Serien, T-Shirts, Kaffeebecher und Häkelpullover stricken kann, mit denen man tatsächlich die Kohle verdient. Ob nun gerade Doctor Octopus Peter Parker ist oder ob Thor gerade ’ne Frau, ein Frosch oder ein Pferd ist? Who cares? Das hat keinerlei Einfluss auf irgendetwas, das in den Filmabteilungen passiert. Und das ist auch völlig okay so.

Die Filmversionen haben sich ein breites Publikum erschlossen, das weit, weit, weit über die Comicleserschaft hinaus geht und das in viel attraktivere Zielgruppen hineinstößt (jugendliche Mädels zum Beispiel, die sonst fest im Manga-Markt daheim sind). Klar, der Markt wird derzeit massiv geflutet und jede Welle klingt irgendwann ab, aber hey  das haben wir auch schon 2008 geglaubt, dass die Welle bald brechen und zurückrollen müsste; und die Zombieflut, die 2004 vom Remake von Dawn of the Dead losgetreten wurde, hat ihre Halbwertszeit auch längst überschritten, schlurft aber  Achtung, Mörderanalogie  immer noch als Untoter durch die Medienlandschaft. In Zeiten fragmentiert-tribalisierter Kultur, die das Internet befördert, klingen Wellen vielleicht langsamer ab als noch zuvor. Das goldene Zeitalter der Spaghettiwestern ab 1965 hielt nur gute acht Jahre, die steroidstrotzenden Muskelbomberactionkracher der Achtziger gab es auch nur für weniger als ein Jahrzehnt. Und beide Genres waren ähnlich überflutet wie die Superheldenverfilmung. Allerdings gab es da auch die B-Verwertung in Form von DVDs, Blu-Rays, iTunes, etc. nicht, die dafür gesorgt hat, dass heute kaum noch ein Film ein finanzielles Minus bedeutet, zumindest langfristig.

Szene aus Guardians of the Galaxy

So lange die Leute mitziehen, so lange sich Marvel nicht mit der oben beschriebenen inneren Verstrickung seiner Filme selbst stranguliert, weil alles zuviel Interkonnektivität hat, wird der Superheldenfilm weiterleben. Und sobald die Leute aufhören, Superheldenfilme zu gucken, werden sie nicht mehr gedreht werden, oder zumindest nicht mehr in dieser Menge. Der Punkt ist natürlich auch, dass wir Dinge als „Superhelden“-Verfilmungen ansehen, die es de facto nicht sind und so nicht wahrgenommen werden. Guardians of the Galaxy war ein spaßiges Science-Fiction-Gerumpel, Constantine ist Mystery, Daredevil war eine tiefsinnige Abhandlung über die Verachtung gegenüber dem Gesetz, die Anwälte tatsächlich empfinden. Und Comic-Verfilmung ist als Begriff eh exakt so hanebüchen, wie es der Begriff Buch-Verfilmung wäre. Als wenn auch nur ein Bruchteil der (wenigen) Zuschauer wusste, dass Snowpiercer auf ’nem Comic basierte.

Was ich derzeit tatsächlich als Problem sehe, ist, dass die Qualität vieler Superheldenfilme nachlässt. Gigantische SFX-Spektakel und Vehikel, die zunehmend aus einer Aneinanderreihung cooler Szenen bestehen, die aber höchstens rudimentär durch so etwas wie ’nen stringenten Plot verbunden sind (Guardians of the Galaxy, ich gucke in deine Richtung). Ich bin aber auch zu alt und snobistisch, um als Zielgruppe zu gelten, und wenn man den Kindern nur früh genug beipuhlt, dass das die Art ist, wie Filme im Sommer zu sein haben, dann akzeptieren die das auch. Und, Kulturpessimismus olé, das scheint ja eh ein generelles Problem in einer Welt zu sein, in der sich ein stumpfsinniger Unsinn wie Elysium oder District 9 als intelligentes Kino verkaufen darf.

Und jetzt noch einmal in „zu lang, tat’s nicht lesen“: So lange genug Leute in die Filme reingehen und die sich nicht gegenseitig das Wasser abgraben, gibt es keinen Overkill. Und die Filme haben exakt soviel Auswirkungen auf die Comics wie Rezensionen auf die Verkaufszahlen: annähernd Null.

 

Christian: Ich denke, die Auswirkungen der Verfilmungen auf die Comics werden eher marginaler Natur sein, so wie in den 1970er Jahren in der französischen Fliegerreihe Tanguy und Laverdure das Aussehen der Figuren auch schon den Schauspielern der gleichnamigen Fernsehserie zum Comic angepasst worden ist. Ich höre immer wieder Menschen erzählen, sie mögen Comics, die sich mit ihrer Aussage ausschließlich auf die Verfilmungen beziehen und noch nie ein Heft gelesen haben. Die Comics sind in diesen großen Franchises nur noch Randerscheinungen und im Grunde weitaus untoter als das Zombie-Genre. Es gibt im Superheldensektor nichts mehr zu erzählen  man kann die Hefte aber auch schlecht abschaffen, sie sind eben Selbstläufer mit hohen Selbsterhaltungskräften. Es gibt nur noch die Möglichkeit, die Erzählungen zu variieren und da ist der Sprung in ein anderes Medium folgerichtig. Was im Comic auch im neuesten Relaunch ein alter Hut ist, wirkt im Film derzeit noch neu.

Ich sehe ja auch hier in der Diskussion, dass mit Neugier bzw. Unruhe das entstehende „shared universe“ wahrgenommen wird. In den Comics begeistert sich darüber keiner mehr, vielmehr sorgen die ständigen editorischen Vorgaben für Frust unter den Künstlern. Die Sache mit Edgar Wright und seinem Ant Man ist ja bisher ein Einzelfall und sticht unter anderen kreativen Zerwürfnissen im Filmbereich noch nicht sonderlich hervor. Es ist aber auch ein Unterschied, ob ich, wie bei DC, ein „shared universe“ mit 52+ Serien habe, oder ein doch trotz aller Ambitionen überschaubares Filmuniversum wie bei Marvel 3.0. Was die Filmlandschaft in Zukunft belasten wird, ist nicht das Marvel-Universum, sondern ein Overkill an parallel ebenfalls entstehenden Universen. Spontan fällt mir das DC-Universe ein, das Hobbit-Universum, von dem ich nicht annehme, das es sich nach dem sechsten Tolkien-Film beruhigen wird, das Harry-Potter-Universum etc.

Promo-Artwork für The Dark Knight Rises

 Aber gab’s diese Universen nicht in anderem Gewand schon immer? Man hat das Kino sicher schon in den 60ern für kreativ tot erklärt, als fast nur deutscher Klamauk, britische Hammer-Productions und italienische Western liefen. Die Ära der Easy Riders und Raging Bulls blühte auf, als die amerikanischen Studios nichts mehr auf die Reihe kriegten und seit den 80ern dominiert eben das Blockbuster-Kino, das derzeit mit seiner Überspezialisierung sicher seine besten Zeiten hinter sich hat. Es gibt keinen Grund, diese zwangsläufige Evolution zu bedauern. Ebenso könnte man das Aussterben der Dinosaurier beweinen.

 

Besteht „Comics“ nur aus Comics?

Michel: Das Aussterben der Dinosaurier beweine ich ja tatsächlich noch. Aber einen anderen Punkt bei dir möchte ich nochmal zur Diskussion stellen, und zwar die Leute, die erzählen, sie mögen Comics, aber tatsächlich die Hefte gar nicht kennen. Bei dir klingt das ja ein bisschen abwertend, und ohne jetzt auf die Problematik von verwandten Mythen wie dem „fake geek girl“ eingehen zu wollen, mal nachgefragt: Was ist denn daran so schlimm? Führen wir uns nicht selbst aufs Glatteis, wenn wir den Begriff „Comic“ weiter so formalistisch auf eine bestimmte visuelle Kommunikationsform mit Panels und Sprechblasen eingrenzen und nicht vielleicht stärker auf das gucken, was da eigentlich erzählt, ja gar gelebt wird? Im Manga führt es beispielsweise zu kurz, den Begriff als Comic-Spielart aufzufassen, weil eine ganze kulturelle Praxis und zahlreiche mediale Spielarten da mit dran hängen. Oder, ein anderes Beispiel: Sind Game of Thrones-Fans erst Game of Thrones-Fans, wenn sie auch die Bücher gelesen haben? Oder können sie sich nicht viel einfacher unter dem „Fantasy“-Fandom die Patsche reichen? Vielleicht sollte man angesichts der aktuellen Lage den Begriff Comic eben auch weniger stark auf klassische Medienvorstellungen einschränken und eher als eine Art kulturelles Imago auffassen, unter dem sich verschiedene populäre Erzählformen und Narrative ansammeln.

Ich weiß nicht, ob es wirklich so nutzbringend ist, sich jetzt als Front alteingebrachter Comic-Apostel hinzustellen und die Superheldenfilme-Fans damit anzugehen, dass das alles ja eigentlich gar nichts mit den richtigen Comics zu tun hat. Denn schließlich scheint ja derzeit ein Großteil der Menschheit davon überzeugt zu sein, dass Comics irgendwie cool und angesagt sind, auch wenn sie vielleicht selbst aktuell gar keine lesen. Und, zumindest für mich viel entscheidender: Es scheint sich als allgemeiner Konsens zu etablieren, dass Comic-Narrative das Potenzial für große wirtschaftliche Erfolge haben  etwas, das die Graphic-Novel-Lobby trotz anhaltender Bemühungen bis heute nicht wirklich zu vermitteln vermochte.

 

Björn: Kokolores. ’n Comic is’n Comic. Wenn ich Star Wars– oder Indiana Jones-Spiele töfte finde und deshalb behaupte, ich sei ein Filmfan, dann ist das auch Humbug. Ich kann Fan von Superheldenfilmen sein, ich kann sogar Fan von Comicverfilmungen sein (trotz der Abstrusität des Begriffs, siehe oben). Aber ein Comicfan, der keine Comics liest, hat das Prinzip nicht begriffen.

Und zur Abgrenzung: Du grenzt doch in deiner Antwort auch wieder zwischen Comics und Graphic Novels ab. Wobei das ja eh ein totgeprügeltes Pferd ist, auf dem will ich jetzt gar nicht weiter rumspringen. Aber dass das, was du als „Comic“ bezeichnest (also „Popkultur“) im Kino mehr Leute anlockt als das, was du als „Graphic Novel“ verortest („Hochkultur“), das liegt doch in der Natur der Sache. Kinos sind voll, Theater werden subventioniert. U-Musik-Konzerte füllen Stadien, E-Musik füllt kleine Säle. Die Verfilmung vom Herrn der Ringe lockt mehr Leute ins Kino als die Verfilmung von ’nem Dostojewski. Und ein Film über ’nen unflätigen Waschbären lockt halt automatisch eine größere Zuschauerzahl ins Kino als das Persepolis tut oder ’ne Fun Home-Verfilmung tun würde. Da gelten für „Comics“ und „Graphic Novels“ die gleichen Marktregeln wie für alle anderen Kulturprodukte auch.

 

Michel: Dazu nur ganz kurz: Um eine Distinktion zwischen Comics und Graphic Novels ging es mir nicht. Ich finde nur, dass sich Comics produktiver im Filmsektor weiter vermarkten lassen als auf dem Belletristikmarkt, denn für mich stehen Comics dem Film deutlich näher als der Literatur, besonders, wenn man mal Entwicklungsstufen wie Storyboards mit in Betracht zieht. Das hat auch weniger etwas mit Kommerzialität zu tun. Die Graphic-Novel-Verlage täten wahrscheinlich auf lange Sicht auch besser daran, Film- und TV-Produzenten von sich zu überzeugen als ahnungslose Buchhändler. Diese ganzen Literatur-Dünkel sind eine ziemliche Sackgasse, wenn man es darauf abgesehen hat, Comics in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Aus dieser Hinsicht betrachtet tun die Superheldenfilme da sehr viel mehr für die Breitenakzeptanz von Comics.

 

Expansion in andere Medien – was bringt’s?

Christian: Wenn ein Freund von mir sich als Comicfan bezeichnet, nur weil ihm die Filme Sin City und 300  gefallen, dann habe ich damit kein Problem. Das sehe ich völlig wertneutral und gönne ihm seinen Spaß. Ich sehe allerdings an dem Superhelden-Filmboom nichts Positives, geschweige denn Wegweisendes. Der Gedanke, dass die Expansion der Comics in weitere Medien die Zukunft ist, ist nichts anderes als der Glaube an grenzenloses Wachstum. Natürlich ist finanzielle Sicherheit wünschenswert und die Nutzung von Synergie-Effekten ist ja nicht verwerflich, gerade das ist aber bei den Marvel- und DC-Filmen nicht der Fall. Hier geht es nur um die Maximierung von Profit und Einfluss. Die von Michel erwähnten Comic-Narrative sind in vielen Fällen einfach nur hochgezüchtete Franchises, in etwa so attraktiv wie das Essen bei McDonald’s und Burger King. Dafür bin ich kein Comic-Aktivist. Und daran ändert auch die durchaus existierende Qualität mancher Superheldenfilme nichts. Aber natürlich interessiert auch mich, was ein Ausnahmetalent wie Joss Whedon aus den Avengers macht, und auch ich sehe Schauspieler wie Hugh Jackman, Ian McKellen oder Simon Pegg gerne in Aktion, auch wenn sie sich für Superhelden-Franchises hergeben. Aber ich sehe es mit der meiner Meinung nach angebrachten Distanz zum Gegenstand.

Und Michel, ich fürchte, wir müssen weiterhin Überzeugungsarbeit bei ahnungslosen Buchhändlern betreiben. Was bringt es, einen Comic zu einem Drehbuch für Film oder Anime umzuarbeiten? Ich finde, gerade beim Comic wird doch sehr deutlich, dass die Form der Darbietung wichtiger ist als der Inhalt. Und wo sollen die Studios herkommen, die solche Produktionen angehen? Vielleicht sollte man den Spieß umdrehen und bestehende Filme um Comicserien erweitern? Vielleicht sollte Rochus Hahn über die Folgejahre des Wunders von Bern eine Comicserie schreiben? Wenn ich mir’s recht überlege, ist das gar kein so unattraktiver Gedanke. Aber wir schweifen ab.

 

Michel: Was es bringt, einen Comic verfilmt zu wissen? Das fragst du mich als Comic-Schaffenden? Nun ja, zum Beispiel, dass ich mit einer Story statt dreitausend Leuten vielleicht drei Millionen erreiche und dadurch irgendwie davon leben kann … Die Synergieeffekte, die beispielsweise eine Anime-Adaption auf die ursprünglichen Manga haben, sind gewaltig. Manga ist in Deutschland überhaupt erst dadurch groß geworden, dass Sailor Moon und Dragonball damals im Fernsehen liefen. Wie Attack on Titan zum internationalen Phänomen wurde, hatte viel mit der Anime-Umsetzung zu tun. Das sind alles Optionen, die uns mit originären Titeln in Deutschland gar nicht zur Verfügung stehen, was natürlich unsere Perspektiven (und damit auch unser Schaffen) erheblich einschränkt. Wie wichtig Mehrfachverwertungen für das Überleben von Comic-Schaffenden sind, zeigt sich ja gerade in der Diskussion über das Einstellen der Comicbeiträge in der FAZ.

Szene aus dem Anime Attack on Titan

Gerade aus japanischen Vermarktungsketten kann man dagegen lernen, wie gut sich die Narrative auch in anderen Medien machen, bis hin zum Realfilm. Und ich denke, auch die amerikanischen Superheldenfilme schaffen es, natürlich mal mehr und mal weniger gut, die ursprünglichen Comic-Narrative erfolgreich in ein anderes Medium zu übersetzen. In Deutschland fehlen uns aber eben diese ineinander fußenden Vermarktungsmöglichkeiten. Filmstudios haben wir, die Games-Branche boomt, Kohle ist auch genug da. Aber die einzelnen Bereiche sind überhaupt nicht untereinander vernetzt, die nehmen sich gar nicht wahr. Gerade die verkrusteten Strukturen in der Filmindustrie mit all den Förderanträgen verhindert da jegliche Aufbruchstimmung. Ironischerweise liefen deutsche Comicverfilmungen dabei ja vor zwanzig Jahren mal sehr erfolgreich in den Kinos …

Comicadaptionen von anderen Medien sind dagegen definitiv der falsche Weg. Damit reduzierst du Comics zum Zweitverwertungsmedium, zum Gimmick zu erfolgreichen Titeln anderer medialer Formen, das sich nur in deren Abhängigkeit behaupten kann. Dafür transportieren Comics einfach nicht genug Schaffenshöhe und Aufmerksamkeit, um sich damit populär zu machen und Ursprungstexte vielleicht sogar zu überflügeln. Game of Thrones ist als TV-Serie ein Überhit. Als Comic interessiert sich keine Sau dafür dafür. Genau aus den Gründen machst du mit Literaturadaptionen den Comic nicht als Kreativmedium stark  noch so ein Fehlschuss aus der GraNo-Bewegung. Erst wenn eigene Inhalte generiert werden, die die Kraft haben, andere mediale Bereiche erfolgreich zu durchdringen, kann Comic sich als kreative Kraft in der Kulturindustrie bewähren. Die US-Superheldenwelle in den Kinos hat dahingehend ziemlich viel gerissen. Aktuell werden immer mehr und obskurere Titel in Erwähnung für Adaptionen gezogen. Hätte es vor 15 Jahren schon einen Deadpool-Film geben können? Einige amerikanische AutorInnen müssen sich ja mittlerweile schon den Vorwurf gefallen lassen, sie würden Comics nur noch als Pitch für Filmproduzenten entwerfen. Das kann man sicherlich kritisieren, aber ich wünschte, hierzulande hätten wir überhaupt die Möglichkeit dafür.

 

1 Kommentare

  1. Pingback: Währenddessen … (KW10) |

Kommentare sind geschlossen.