Welt am Draht

Astérix chez les Homophobes

Wir befinden uns im Jahre 2013 n. Chr. Asterix bei den Pikten ist erschienen und von der Kritik als passabel befunden worden, bietet inhaltlich aber nichts Neues… Nichts Neues? Doch! Denn die deutsche Übersetzung hat einen besonderen Kalauer parat.

Einen Überflieger hat wohl niemand erwartet, die Spannung war trotzdem einigermaßen groß: Würde Band 11 n. Gsc., der erste der neuen Autoren Ferri und Conrad, es schaffen, das Vermächtnis von Goscinny und Uderzo ohne weitere Peinlichkeiten zu verwalten?

Eigentlich lässt sich die Frage lapidar mit „Ja“ beantworten. In der deutschen Ausgabe gilt das allerdings nur bis Seite 15, die im Original mit folgender Panelreihe beginnt:

asterix.fr.px

Anmerkung der Redaktion: Gerne hätten wir die entsprechenden Ausschnitte zum Zweck der Dokumentation unverfremdet gezeigt, was unserem Rechtsempfinden nach auch vom Zitatrecht gedeckt gewesen wäre. Allerdings verbieten die betreffenden Rechteinhaber dies ausdrücklich, bzw. gestatten es nur unter Auflagen, die unserer Auffassung nach unverhältnismäßig und mit seriösen journalistischen Maßstäben unvereinbar sind. Da Comicgate leider nicht über die Ressourcen verfügt, sich dies im Zweifelsfall gerichtlich bestätigen zu lassen, bitten wir unsere Leser um Verständnis, dass wir die betreffenden Ausschnitte nur verpixelt zeigen können.

Blase 1 (Mac Oloch): Je menais une vie paisable dans mon clan près du Loch Andloll aux eaux si limpides…

Blase 2 (Mac Oloch): … quand je suis tombé dans une embuscade tendue par l’odieux Mac Abbeh.

Blase 3 (Astérix): Mac Abbeh?

Blase 4 (Mac Oloch): Le chef du clan de la rive opposée du loch. Il m’a fait lier à un tronc et jeter dans les courants tumultueux…

So weit, so unverfänglich.

Unter Verwendung der in der deutschen Übersetzung gewählten Namen und unter Berücksichtigung der Platzverhältnisse wäre etwa diese Übersetzung denkbar:

Blase 1 (Mac Aphon): Ich lebte in Frieden an den klaren Wassern des Loch Endroll mit meinem Clan…

Blase 2 (Mac Aphon): … bis ich in einen Hinterhalt des niederträchtigen Mac Abberh geriet.

Blase 3 (Asterix): Mac Abberh?

Blase 4 (Mac Aphon): Der Chef des Clans am anderen Ufer des Lochs. Er hat mich an einen Baumstamm gebunden und in die reißenden Fluten geworfen…

Aus Übersetzersicht eine recht simple Angelegenheit.

Natürlich kann man sich über die Wahl der deutschen Namen streiten. Den Sinn des deutschen „Loch Endroll“ beispielsweise habe ich erst in Kenntnis des französischen Originals (gesprochen: „Lock and Loll“) verstanden. Müsste es nicht eher „Loch Endloll“ heißen, um den Gag ins Deutsche zu retten? Egal, letztlich kann man sich bei Übersetzungen ja grundsätzlich über alles streiten. Das liegt in der Natur des Unterfangens, und der Übersetzer ist eben dafür da, die Variante zu wählen, die ihm selbst am treffendsten erscheint.

Tatsache ist an dieser Stelle: Es kommen keine komplexen Wortspiele oder Zweideutigkeiten vor, die es zu berücksichtigen gilt, und es herrscht auch kein besonderer Platzmangel. Obwohl meine Übersetzung sehr nah am Original ist, sind meine ersten beiden Texte jeweils kürzer als ihre französische Vorlage; mein vierter Text ist zwar um zwölf Zeichen länger, der Platz dafür aber vorhanden.

Kurzum, man bekommt alles bequem unter, ohne dafür Verrenkungen machen oder Kompromisse eingehen zu müssen. Es handelt sich um eine einfache Rede des Pikten Mac Aphon (auf Französisch: Mac Oloch), die in knappen Worten für den Plot wichtige Informationen vermittelt, ohne Schnickschnack.

Der einzige potenzielle Stolperstein liegt in dem „de la rive opposée“, das wörtlich übersetzt „vom gegenüberliegenden Ufer“ heißt. Da das nun etwas sperrig wäre, liegt die Übersetzung „vom anderen Ufer“ eigentlich nahe. Diese wiederum birgt im Deutschen natürlich eine gewisse Zweideutigkeit. Im gegebenen Kontext – siehe oben – lässt sich das aber ohne größere Umstände entschärfen.

In der deutschen Übersetzung von Klaus Jöken kommt dabei folgendes heraus:

asterix.de.px

Blase 1 (Mac Aphon): Mit meinem Clan führte ich ein friedliches Leben an den heiteren Gestaden des Loch Endroll…

Blase 2 (Mac Aphon): … bis mich Mac Abberh, der Clanchef vom anderen Ufer, hinterhältig eingelocht hat.

Blase 3 (Asterix): Eingelocht?

Blase 4 (Mac Aphon): Er warf mich, an einen Baumstamm gekettet, in den Loch, dort wo die Strömung am stärksten ist…

Alles nur Zufall, könnte man nun argumentieren, selber schuld, wer da auf Hintergedanken (hihihi) kommt. Immerhin: Ich habe Jöken letztes Jahr bei einem Vortrag zu seiner Tätigkeit als Asterix-Übersetzer kennengelernt, und einen schlechten Eindruck hat er damals nicht hinterlassen.

Es wurde allerdings ebenso deutlich, dass der Mann lange an seinen Texten feilt und keinen Kalauer freiwillig liegenlässt. Und auch dessen ungeachtet gilt: Die erste Anspielung („der Clanchef vom anderen Ufer“) hätte ich für unglücklich gehalten, eine zweite („hinterhältig“) für fahrlässig. Und bei dreien („eingelocht“) unterstelle ich Absicht. Umso mehr, da ich gesehen habe, wie Jöken arbeitet und welch großen Wert er auf Wortspiele legt.

Aber gut, sehen wir uns einfach Blase für Blase an, wie Jökens Übersetzung zustande gekommen ist:

Blase 1: Der Loch hat bei Jöken „heitere Gestade“ statt „klarer Wasser“, und Jökens Text ist um sieben Zeichen länger als die Vorlage. Davon abgesehen hält auch er sich hier noch relativ eng ans französische Original.

Blase 2: Hier wird’s nun interessant, weil sehr viel freier.

a) Zunächst versetzt Jöken Mac Aphon aus der aktiven Rolle in eine passive: Die Figur ist nicht mehr selbst „in einen Hinterhalt geraten“, wie es im französischen Text heißt, sondern Mac Abberh hat ihr etwas angetan.

b) Jöken zieht Mac Abberh, den im französischen Wortlaut „Chef des Clans vom gegenüberliegenden Ufer des Lochs“ aus Blase 4, vor und macht ihn kurzerhand zum „Clanchef vom anderen Ufer“.

c) Der „Hinterhalt“ wird bei Jöken zum Adjektiv: „hinterhältig“.

d) Hey, es geht immerhin um ein „Loch“. Also: „eingelocht“. Gratiskalauer.

e) Die „niederträchtige“ oder „abscheuliche“ Eigenschaft Mac Abberhs aus dem Original wird ersatzlos gestrichen. Trotzdem ist der Blasentext nun um zwölf Zeichen länger als der französische – und um 13 Zeichen länger als meine Übersetzung, die näher bei der Vorlage bleibt.

Blase 3: Statt der naheliegenden Frage aus der Vorlage, deren Antwort Jöken ja bereits aus Blase 4 vorgezogen hat, muss Asterix in der deutschen Version nun danach fragen, was es mit dem „eingelocht“ auf sich hat, um sich Jökens Kalauer erklären zu lassen.

Blase 4: Während die ersten beiden Blasen in der deutschen Version mit insgesamt 19 Zeichen Überschuss ziemlich vollgestopft wirken, hat es in der vierten und letzten nun viel Luft. Dadurch, dass Jöken die Übersetzung von „le chef du clan de la rive opposée du loch“ schon vorgezogen hat, kann er hier einfach mit einem Pronomen arbeiten, was seine Übersetzung dieser Blase 19 Zeichen kürzer macht als den Originaltext – und sogar 32 Zeichen kürzer als meine Übersetzung. Mit anderen Worten: Es bleibt, selbst in der verpixelten Abbildung für jeden erkennbar, elend viel ungenutzter Platz übrig.

Jöken betreibt hier also einen enormen Aufwand, um vom französischen Original abzuweichen: Er verändert die Satzkonstruktionen und den Gesprächsverlauf, verlagert Sinneinheiten von einer Blase zur anderen, baut zusätzliche Wortspiele ein und lässt andere Teile wegfallen. Und er nimmt dabei in Kauf, dass die ersten beiden Blasen mit Text überfrachtet wirken, während die letzte reichlich Luft im Bauch hat.

Prinzipiell ist das alles unproblematisch und gehört zum Alltag eines Comic-Übersetzers. Hin und wieder zwingen dich Inhalt oder Platzverhältnisse eben dazu, unliebsame Wege zu gehen.

Aber worin sollte dieser Zwang hier bestehen? Semantische, strukturelle, logistische Gründe? Fehlanzeige.

Es sieht vielmehr so aus, als hätten Jökens Umbaumaßnahmen nur einen Grund: Er will auf Biegen und Brechen den „Clanchef vom anderen Ufer“ haben, der seinen Feind „hinterhältig eingelocht“ hat.

Nun ist immerhin festzuhalten, dass die Figur Mac Aphon keinen Schaden nimmt. Mac Aphon wirkt insgesamt gutherzig und treudoof genug, dass man ihm die Anspielungen nicht übelnimmt. Die Zweideutigkeiten, die aus Mac Aphons Perspektive völlig unbeabsichtigt sein müssen, bringen sogar eine zusätzliche Ebene der Komik mit in die Charakterisierung.

Ferner ist Asterix schon vor 40 Jahren kaum durch seine große Zimperlichkeit mit Minderheiten aufgefallen. Daran erinnert etwa die inzwischen deutlich entschärfte, aber auch im neuen Band wieder vertretene rassistische Karikatur des Piratenausgucks. Diskriminierende Botschaften hat es in Asterix immer wieder einmal gegeben. Wer sich als weißer, männlicher, heterosexueller Mitteleuropäer permanent von der leidigen „politischen Korrektheit“ unterdrückt sieht, der durfte sich bei der Serie bereits zu Renée Goscinnys Zeiten wie zu Hause fühlen.

Und schließlich muss man mit einem Text, geschweige denn einer Figur, natürlich auch nicht unbedingt einer Meinung sein, um sie zu übersetzen. Kalauer auf Kosten von Minderheiten können – zumindest aus Sicht des Übersetzers – durchaus ihre Berechtigung haben, egal, was man selber davon hält.

Aber, und das ist der Knackpunkt: Dies ist nur dann legitim, wenn die entsprechenden Ressentiments schon in der Vorlage vorhanden sind und dort entweder der Charakterisierung dienen oder die Sichtweise des zu übersetzenden Autors widerspiegeln.

In Asterix bei den Pikten ist weder das eine noch das andere der Fall.

Die Schwulenwitzchen wurden hier erst mühsam konstruiert und zugespitzt durch eine Übersetzung, die an dieser Stelle mit ihrer Vorlage umgeht wie der Elefant mit dem Porzellanladen, ohne Rücksicht auf visuelle und semantische Kollateralschäden zu nehmen. Zur Hölle mit dem Erscheinungsbild der Sprechblasen, der Struktur des französischen Texts oder dem ranzigen und homophoben Zotenhumor, den man Jean-Yves Ferri so unterjubelt: In dubio pro kalauero.

Man mag das witzig finden oder nicht. Aus übersetzerischer Sicht ist es als grober Verstoß zu werten.

Update, 13.12.2013: In den Kommentaren hat sich jemand unter dem Namen Klaus Jöken zu dem Artikel geäußert:

Zunächst einmal prinzipiell: Asterix ist als Comic für Kinder und Jugendliche angelegt, darum kommt Sex darin nicht vor. Punktum!
Mit Sex Lacher zu erzielen ist sowieso zu einfach und deshalb unwürdig, in einen Comic vom Rang eines Asterix aufgenommen zu werden.
In meiner Welt ist „jemanden einlochen“ umgangssprachlich für „einsperren“, „ins Gefängnis werfen“. Der Gag besteht nun darin, dass dieser Ausdruck bei den Pikten etwas ganz anderes bedeutet, nämlich seinen Gegner an einen Baumstamm zu binden und in den Loch (also den Meeresarm) zu werfen.

Ich bitte doch erst einmal nachzufragen, bevor man einen Kollegen öffentlich der Homophobie bezichtigt!!

Marc-Oliver Frisch übersetzt Comics aus dem Englischen ins Deutsche und schreibt darüber bei Twitter und in seinem Blog.