Der Name Hervé Darmenton, abgekürzt und französisch ausgesprochen, ergibt: Achdé. Der aus Lyon stammende Künstler übernahm 2003 nach dem Tod von Zeichner Morris dessen legendäre Serie Lucky Luke und hat bisher fünf reguläre Alben und zwei Sonderbände mit dem Lonesome Cowboy vorgelegt. 2012 war Achdé zu Gast auf der Frankfurter Buchmesse, wo ihn Stefan Svik zum Interview traf.
Das Gespräch wurde anfangs mit Hilfe von Lucky Luke-Übersetzer Klaus Jöken geführt, der vom Deutschen ins Französische und andersherum dolmetschte und auch selbst Fragen beantwortete. Im Laufe des Interviews entwickelte sich dann aber ein direktes Gespräch auf Englisch.
Comicgate: Geht in der Übersetzung viel vom Humor in Lucky Luke verloren?
Klaus Jöken: Ein guter Übersetzer muss die Übersetzung besser machen als das Original (lacht). Eine Übersetzung ist immer eine Anpassung, eine Adaption. Gerade beim Comic lassen sich manche Gags einfach nicht übersetzen. Dann muss man eine Entsprechung suchen. Also etwa an der selben Stelle einen anderen Gag bringen, der dann aber auch in die selbe Sparte passt. Ich hoffe, dass es so gut ist wie das Original.
Für die Asterix-Alben, die Du ja auch übersetzt, ist es sicher hilfreich und wichtig, viel über französische Tagespolitik, Filme und Literatur zu wissen, um die Anspielungen in den Comics zu verstehen?
Mein großes Vorbild, Dr. Erika Fuchs, hat immer gesagt, man kann gar nicht belesen genug sein, wenn man Übersetzer für Comics ist. Man muss sich kulturell immer auf dem Laufenden halten. Ich habe etwa, nur zur Recherche für Asterix, eine Ausgrabungsstätte in einem keltischen, gallischen Dorf mitgemacht, als Assistent der Ärchäologen, die dort ausgebildet wurden. Ansonsten informiere ich mich per Internet, Film und Fernsehen.
Musst Du auch öfter Rücksprache mit den Autoren halten?
Normalerweise nicht. So gut muss man schon sein, dass man es alleine versteht. Aber die Möglichkeit nachzufragen hätte ich natürlich.
Hast du Dr. Erika Fuchs mal persönlich getroffen? Sie hat ja den Ruf, durch ihre Übersetzungen die Comics von Carl Barks noch mehr aufgewertet zu haben.
Da ich kurz nach meinen Anfängen als Comicübersetzer nach Frankreich gezogen bin, habe ich Frau Dr. Fuchs leider nie persönlich kennengelernt. Tatsächlich war sie aber immer mein großes Vorbild, zusammen mit den Asterix-Übersetzungen von Gudrun Penndorf. Von beiden habe ich gelernt, dass man gerade im Bereich Humor nicht sklavisch am Originaltext kleben darf, sondern kreativ mit der Sprache umgehen muss. Vor allem Wortspiele lassen sich in der Regel nicht übersetzen, da ist dann Phantasie gefragt. Natürlich darf man dabei aber auch nicht zu frei sein, sondern muss immer den Geist des ursprünglichen Werkes respektieren.
Nun meine erste Frage an Achdé. Mir geht es wahrscheinlich so wie vielen anderen, meine erste Begegnung mit Frankreich und Belgien hatte ich als Kind mit Comics, genauer gesagt mit Asterix und Lucky Luke. Es heißt, die Kinder in den USA wuchsen mit den Superhelden auf und die Kinder in Westeuropa wurden mit den franko-belgischen Funnies groß. Ist das nicht auch eine schöne Idee, Kinder mit Humor und cleveren Ideen auf das Leben vorbereiten statt unerfüllbare Superkräfte-Erwartungen zu wecken? Ist das heute noch so?
Achdé: Ganz früher gab es schon sehr viel unterschiedliche Comics, gerade auch in den USA. Lustige Sachen. Oder auch Tarzan. Der Umschwung kam dann mit dem Kalten Krieg. Dann wurden die Superhelden stark gepusht. In den USA gab es etwa Humor-Comics wie MAD, aber das war dort eher Underground. Das hatte wohl mehr Erfolg in Europa als in Amerika.
Und Lucky Luke war nie so recht erfolgreich in den USA, oder?
Man muss es sich so vorstellen: Wenn die Amerikaner einen Comic über Franzosen machen würden, mit Baskenmütze und Baguette unterm Arm, würde das in Frankreich auch nie ankommen.
Gleichzeitig lieben die Amerikaner aber Frankreich, oder? Paris gilt, überspitzt gesagt, als die Hauptstadt von Europa, weil es so elegant und attraktiv wirkt.
Klar. Und auch die Franzosen mögen die Amerikaner. Aber die Amerikaner haben auch keine Lust darauf, dass ihnen jemand den Spiegel vorhält. Lucky Luke ist ja immerhin eine Parodie auf den Western. Das ist ja eine uramerikanische Kunstform. Und dann kommt eine Parodie darauf, auch noch von jemand von außerhalb. Gerade in so einem ultra-nationalistischen Land, in dem nicht mal zugegeben wurde, dass z. B. der Gin eine europäische Erfindung ist (lacht). Die Amerikaner haben allein schon ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrer eigenen Geschichte. Die Geschichte des Westens etwa fängt bei ihnen mit Lewis und Clark an, die den Westen erst erkundet haben. Dabei sind die beiden in den Westen gegangen, um einen Franzosen zu finden, der schon länger da war. Die ganze Gegend war schon vorher erkundet worden. Er hatte sich mit einer Indianerin verheiratet. Es gab also eine Geschichte schon vor den Amerikanern. Franzosen, Kanadier und andere waren bereits vorher im Westen. Aber das wird alles beiseite geschoben.
Mœbius hat einige Zeit in den USA verbracht. Das hat ihn für seine Kunst sehr inspiriert. Warst Du auch schon in den USA oder ist das gar nicht mehr so wichtig, weil wir Europäer immer amerikanischer werden?
Auch Jean Giraud alias Mœbius hat ja Western-Comics gemacht, nämlich Blueberry. Das ist auch ein gutes Beispiel, denn das ist ja auch ein sehr europäischer Western. Er zeigt auch die dunklen Seiten der Personen. Der Held ist eine sehr zwiespältige Person, die von Konflikten hin- und hergerissen wird.
Lucky Luke ist ein nationales Erbe. Europäisches Kulturgut. Das macht die Arbeit daran bestimmt sehr angesehen, aber es ist sicher auch eine große Einschränkung. Es muss so gezeichnet werden, wie es die Leser gewohnt sind. Hättest Du gerne mehr Freiraum, etwa für neue Figuren, und ist es manchmal lästig, genau so zeichnen zu müssen wie Morris?
Ich will gerne der Linie von Morris folgen. Allerdings hat sich auch Morris weiterentwickelt. Das war eine langsame Weiterentwicklung. Er hat sich sehr am Medium Film orientiert. Wenn man sich die Lucky Luke-Comics ansieht, die Morris gezeichnet hat, merkt man, dass sie so aufgebaut sind wie ein Film. Er hat sich dabei sehr an den Western orientiert. Und das mache ich ebenfalls. Allerdings ändert sich auch die Art, Filme zu machen, und das wurde auch nach und nach in den Lucky Luke-Stories eingeführt, etwa andere Blickwinkel. Ich will, wie Morris, die Comics behutsam weiterentwickeln. Aber ich will sie nicht revolutionieren. Das hat ja etwa bei der Serie Spirou überhaupt nicht funktioniert.
Also darfst Du zum Beispiel neue Figuren einführen?
Das ist ja schon passiert. Mit nebensächlichen Figuren wie Pinkerton [im Album „Lucky Luke gegen Pinkerton“, Anm. d. Red.].
Während des Gesprächs blättert Achdé in den deutschen Lucky Luke-Bänden, die ich zum Interview mitgebracht habe. Da ich selbst kein Comiczeichner bin, aber doch viel mehr über die Technik des Zeichnens lernen möchte, habe ich den Comic Batman: The Court of Owls von Scott Snyder und Greg Capullo mitgebracht. Ursprünglich wollte ich Iron Man von Matt Fraction und Salvador Larroca mitbringen. Diese Comics sehen so fotorealistisch aus, dass sie wirken, als wären sie am Computer entstanden. Ich mag diesen Look. Was mich interessiert, ist folgendes: Können die Leser oder auch Zeichner wie Achdé erkennen, ob ein Comic komplett von Hand gezeichnet wurde oder ob ein Computer benutzt wurde?
Naheliegend wäre sicher gewesen, mit Achdé über den neuen Lucky Luke 90 („Auf eigene Faust“) zu sprechen, aber der war im Oktober 2012 noch nicht auf Deutsch erschienen. Also sprachen wir über Lucky Kid und The Court of Owls. Der Künstler ging dabei so sehr aus sich heraus, war so temperamentvoll bei der Sache. Ein durchaus facettenreicher Künstler. Beim Panel mit den Kollegen von Alfonz zeigte sich Achdé von seiner fröhlichen Seite. Im Comicgate-Gespräch war auch der nachdenklichere, ruhige Achdé zu erkennen, ebenso wie der leidenschaftliche Comiczeichner.
Wenn Du so einen Comic siehst, kannst Du dann beurteilen, wie viel davon Handarbeit ist?
Ich sehe natürlich schon, was aus dem Comic vom Computer stammt. Ich selbst gehöre zur ganz alten Generation, die ganz einfache Sachen benutzt. Ich will nichts gegen Computer sagen. Tatsächlich habe ich mich selbst, als einer der ersten in Europa, für die Arbeit mit dem Computer schulen lassen. Mit einem elektronischen Zeichentisch habe ich auch einiges ausprobiert. Aber der Computer ist eben nur ein Hilfsmittel, ein Arbeitsmittel. Was mir daran nicht so gut gefällt, ist, dass es bei manchen Werken wichtiger zu sein scheint als der Künstler selbst. Etwa bei Karikaturen ist es heute sehr leicht geworden: man scannt ein Foto ein, verformt es, lässt es durch zwei, drei Filter laufen und man hat eine prima Karikatur. Ein Zeichner ist jemand, der vor allem mit seinen Händen arbeiten sollte.
Im folgenden blättert Achdé durch einige Szenen aus Batman: The Court of Owls und kommentiert, was für ihn nach Zeichnung von Hand und was nach Computer-Bearbeitung aussieht. Eine Szene, in der eine splitternde Glasscheibe zu sehen ist, weist er als Handarbeit aus. Die Hintergründe in der Bathöhle und anderes stammen seiner Meinung nach komplett aus dem Computer.
Hier beispielsweise wird eine Silhouette der Stadt von Hand vorgezeichnet, aber der Hintergrund wird per Computer erstellt. Das ist dann zwar oft ein sehr schönes Ergebnis, allerdings nicht mehr von Hand gezeichnet. Da frage ich mich, ob nur das Ergebnis zählt oder ob auch Handwerk dahinter stecken muss. Bei amerikanischen Comics fällt mir sehr oft auf, dass das Cover sehr gut aussieht, aber dass der Inhalt deutlich abfällt.
Achdé zeigt mir weitere Szenen aus Batman, die seiner Meinung nach aus dem Computer stammen. Ab jetzt sprechen Achdé und ich direkt auf Englisch miteinander. Möglicherweise liegt das daran, dass wir nun bei seinem Lieblingsthema, dem Zeichnen, angelangt sind.
Hier! Computer! Noch mehr Computer! (wir lachen) Das ist fantastisch! Ich habe auch überhaupt nichts dagegen. Das Ergebnis ist toll. Es gibt nur ein Problem dabei: Schau Dir diese Seite an. Die Texte kommen selbstverständlich komplett aus dem Computer. Dann wird vorgezeichnet, und danach koloriert und so weiter.
Würden Zeichner in Frankreich so nicht arbeiten? Oder ist das eher eine typisch amerikanische Herangehensweise an Comics?
Natürlich nutzen wir auch in Frankreich Computer. Wenn wir schnell fertig werden müssen oder ein Problem haben, dann ist es einfacher den Computer zu benutzen. Ich koloriere meine Zeichnungen mit meinem Computer. Mein Sohn übernimmt diese Aufgabe. Etwa bei Licht und Schatten oder beim Verändern der Farben geht es mit Photoshop spielend leicht. Einmal Klick und fertig. Das ist cool. Für mich ist es aber so, dass die Fehler den Stil ausmachen. Mit dem Computer lässt es sich nahezu perfekt zeichnen, aber das wirkt auf mich oft zu perfekt und kalt.
Also ist ein Batman-Comic eher ein Blockbuster und ein Werk von Moebius eher ein Kunstfilm?
Ja, vielleicht. Schau Dir Blueberry an. Der Comic ist voll mit kleinen Fehlern. Bei Lucky Luke gibt es auch einige Fehler.
Das ist menschlich, oder?
Ja, genau! Und weil das Endergebnis so großartig ist, vergisst man, übersieht man die Fehler. Das gleiche gilt auch für Asterix. Mit Handarbeit wird nichts völlig perfekt. Was der Computer erschafft, ist fantastisch. Aber wenn ich einen Comic zeichne, der dann fotorealistisch aussieht, ist das doch sinnlos, dann könnte ich ja gleich ein Foto nehmen.
Dann ist es fast so, als würde man einen Film gucken?
Genau! Mit dem Computer kann es perfekt berechnet werden, aber es fehlt dann an Lebhaftigkeit.
Schmerzt es Dich als Zeichner, solche leblosen Zeichnungen zu sehen?
Schon. Ich brauche solche Momente, wo ich sagen kann: Hier hat mein Pinsel zu wenig aufgedrückt, hier habe ich etwas gut gemacht und hier ist mir ein Fehler passiert. Nachträglich kann man das ja noch mit dem Computer bearbeiten, dagegen habe ich gar nichts.
Hast Du das bei Lucky Luke so praktiziert, also mit dem Computer korrigiert?
Manchmal, wenn Probleme auftauchen. Etwa wenn meine Szenaristen noch etwas ändern, ich aber das Panel bereits fertig habe. Ich begreife den Computer nur als ein Hilfsmittel neben anderen Werkzeugen. Aber ich kann verstehen, wenn die nachfolgenden Generationen das anders sehen und mehr auf den Computer setzen. Als ich als Kind die ersten Comics las, die nach Frankreich kamen, so mit 10 oder 11 Jahren, das waren die ersten Marvel-Comics. Stell Dir das mal vor, wie kostbar die heute sind! (lacht) Jedenfalls waren damals die Zeichnungen auf dem Cover exakt so wie die Bilder im Heft. Heute sehen die Cover oft fantastisch aus, sie sind von Hand gezeichnet, aber der Blick ins Heft enttäuscht dann. Man wusste damals, was man bekam.
Steve Ditko (von dem u.a. die ersten Spider-Man-Comics stammen) war grandios, oder?
Ja. Und seine Figuren waren etwas sonderbar, nicht genau symmetrisch, aber er hatte seinen eigenen Stil. Das gleiche gilt für Jack Kirby. Du siehst sofort, aha, das ist Ditko, aha, das ist Kirby. Dann begannen sich die Stile zu vermischen. Nach fünf, sechs Jahren, Ende der 1970er Jahre, wurde alles immer ähnlicher. Zehn Jahre später scheint es dann nur noch einen einzigen Stil zu geben. Dann kamen Zeichner, die neue Stile einführten, etwa Frank Miller.
Magst Du Frank Millers Stil?
Ja. Ich mag ihn, weil er nicht perfekt ist. Das ist genau wie bei Jack Kirby. Ich schaue mir nur ein einziges Panel an und denke: Das ist wie ein Cartoon. Man braucht diese Art Leben in der Box. Wenn Du eine schwache Geschichte und eine tolle Zeichnung hast, dann wird dieser Comic kein Erfolg, wenn Du zu lange auf ein einzelnes Bild guckst, denn dadurch verliert die Geschichte an Tempo. Ist die Geschichte hingegen toll, aber die Zeichnungen sind grausam (lacht), kannst Du sicher sein, dass es kein Erfolg wird. Du brauchst Halb und Halb, eine ausgewogene Mischung aus Bildern und Geschichte. Jedenfalls, was ich sagen will, ist: Man sollte sich nicht vor den Computer setzen und gucken „Hey, sieh mal, was der alles kann!“, sondern man sollte ganz genau vorher wissen, was man zeichnen will! Ich nehme ja auch nicht meinen Pinsel, verzeichne mich und sage dann: „Okay, das ist ja interessant, das lasse ich jetzt so.“ Mein Pinsel soll genau das machen, was ich von ihm will! Der Computer allein ist nicht intelligent.
Der legendäre Franquin ist ein großes Vorbild für Dich. Auch er hat franko-belgische Funnies gezeichnet. Zeitweise war er schwer depressiv und wohl auch frustriert davon, immer lustig sein zu müssen, so dass er mit seinem Comic Schwarze Gedanken mal ganz bewusst eine Auszeit vom sonnigen Humor nahm. Kannst Du aus eigener Erfahrung nachvollziehen, dass es frustrierend sein kann, immer lustige Dinge zeichnen zu müssen? Würdest Du gerne auch ernstere, dunklere Themen neben Lucky Luke verfolgen oder tust das bereits?
Viele Künstler leiden unter Depressionen. Wir sind auch nur Menschen. Natürlich haben wir auch unsere Probleme, wie alle anderen auch. Wir wollen selbstverständlich unser Bestes geben und uns so positiv wie möglich präsentieren. Funnies sind ein schöner Job. Wir widmen uns ernsthaft einem nicht ernsthaften Job. Die Leute machen sich da mitunter eine falsche Vorstellung von unserer Arbeit. Ich fange eine neue Arbeit an, ich nehme mir ein neues Buch vor und schaue auf den Kalender: noch 12 Monate Zeit. Man muss sehr geduldig sein und sich die nötige Zeit nehmen. Wenn wir arbeiten, vergessen wir völlig die Zeit. Es ist zwiespältig. Einerseits mögen wir unseren Job, wir mögen es zu zeichnen. Das ist großartig und es lässt uns die Zeit vergessen. Dann gibt es die andere, die dunkle Seite. Die Zeit, die man in ein Buch steckt, ist anschließend unwiederbringlich verschwunden.
Ich bin jetzt fast 52 Jahre alt. Was ich am meisten bedauere, ist, dass ich meinen Sohn nicht aufwachsen sah. Denn diese Zeit verging viel zu rasant. Mein Sohn ist jetzt 22 und so groß geworden. Ich sehe ihn an und kann nicht glauben, wie schnell die Zeit vergangen ist. Dieses Problem haben alle Künstler. Wir sind sehr viel allein. Und mit allein meine ich völlig allein. Also muss man sich eine Zen-Einstellung zulegen (eine buddhistische Art, das Leben mit Ruhe zu meistern). Wenn Du ein kleines Problem hast, kann daraus sonst ein sehr großes Problem werden. Franquin etwa hatte seine erste Depression, weil er ein winziges Problem hatte. Es ging nicht mal um ein Panel, sondern nur darum, für das Spirou & Fantasio-Album „QRN ruft Bretzelburg“ eine Kommode im Schloss zu zeichnen. Er versuchte es einmal, zweimal … So eine Kleinigkeit! Das klingt unglaublich, aber es stimmt.
Hast Du Franquin mal getroffen?
Nein, das bedauere ich sehr. Ich bekam einen Preis von ihm für einen Wettbewerb. Und er wollte mich sehen, weil er dachte, ich wäre ein verrückter Typ (lacht). Aber dann kam etwas dazwischen, seine Frau brauchte ihn. Aber ich kenne Uderzo, und ich habe Morris kennengelernt. Aber noch mal zurück zum Thema Computer. Schau Dir mal dieses Cover hier an, Lucky Kid. Meinst Du, etwas davon entstand am Computer?
Schwierige Frage. Ich weiß es wirklich nicht.
Ich möchte an diesem Beispiel gerne zeigen, wie man den Computer einsetzen kann, ohne dass es zu offensichtlich ist. Für das Cover von Lucky Kid hatte ich nur zwei Tage Zeit, deshalb stammt der Bildhintergrund aus dem Computer. Wir waren eigentlich schon fertig. Dann wollte der Verlag noch etwas ändern lassen, also mussten wir sehr schnell reagieren. Mit Handarbeit alleine hätte ich das in so kurzer Zeit nicht geschafft. Mir macht es einfach viel mehr Freude, manuell zu arbeiten, das Papier anzufassen und so weiter.
Wissen die sehr jungen Leser Deine Arbeit als Zeichner genügend zu würdigen? Würdest Du Dir manchmal wünschen, mehr ältere Leser zu erreichen?
Ich mag alle meine Leser. Mir ist es sehr wichtig, Ihnen eine Freude zu machen. Ich erzähle und zeichne gerne Geschichten und möchte sie mit dem Publikum teilen. Für mich sollte ein Künstler seine Ideen mit der Öffentlichkeit teilen und sie nicht für sich behalten. Wenn Du Dich nicht hinaus traust und Dich nicht an die Öffentlichkeit wagst, sondern allein zu Hause bleibst, wirst Du nie erfolgreich sein. Ich versuche möglichst viele Leser zu gewinnen und es macht mich stolz, ein populärer Zeichner zu sein. Ich schäme mich nicht dafür, Comic-Zeichner zu sein. Ich kann Kinder erfreuen und auch einen 99-jährigen Mann, der die Hefte bereits gelesen hat, als er selbst noch ein Kind war. Ich nutze das Pseudonym Achdé, das ist nicht mein bürgerlicher Name, ich kann also als Achdé vor allem ganz für das Publikum da sein und es unterhalten. Am allerwichtigsten sind die Figuren, im Mittelpunkt stehen Lucky Luke und die anderen Personen.
Arbeitest Du denn auch an ganz anderen Comics als an Lucky Luke?
Ja. Vor Lucky Luke hatte ich an einer anderen Serie gearbeitet. Anfangs war noch nicht abzusehen, wie lange ich Lucky Luke zeichnen würde. Ich habe mit meinem Sohn an einer Eishockey-Geschichte [Les Hockeyeurs, Anm. d. Red.] gearbeitet. Das war ein Erfolg in Kanada, nicht so sehr für Frankreich. Sie lieben ihren Nationalsport!
Bei Lucky Kid warst Du Autor und Zeichner. Meist arbeitest Du als Zeichner nach Szenarien von anderen Autoren. Wie funktioniert das in der Praxis? Schickt Ihr Euch E-Mails oder trefft Ihr Euch persönlich?
Ja, ich bekomme die Texte tatsächlich per E-Mail. Und ich … (lacht) … ich muss das ausdrucken, denn ich liebe es, auf Papier zu lesen. Ich lese immer nur gedruckte Texte und nicht am Bildschirm. Ich lese also die Texte durch, danach diskutieren wir mit dem Verleger über den Aufbau und das Aussehen des Comics. Einmal hatten wir auch zwei Szenaristen, weil wir mit dem Ende nicht zufrieden waren, wir mochten es nicht. Bei Lucky Kid habe ich dann getextet und gezeichnet. Da war ich der Herr über das Storyboard. Das war so, als würde man einen Film drehen. Ich habe den Schnitt bestimmt. Für mich ist es ein Muss, Kontrolle über meine Bilder zu haben. Aber natürlich arbeiten wir auch als Team. Allerdings akzeptieren sie, was ich mit meinen Zeichnungen erreichen will.
Steht ein neuer Lucky Luke-Film an?
Keine Ahnung!
Lucky Luke wurde ja bereits ziemlich oft verfilmt. Besteht bei den Verfilmungen nicht die Gefahr einer Übersättigung des Publikums, die eher kontraproduktiv wirken könnte, statt Interesse an den Comics zu wecken? Christopher Nolans Batman-Filme haben es zweifellos geschafft, Nicht-Leser für Batman zu begeistern, die Filme von Joel Schumacher hingegen verleiden eher komplett die Lust an der Figur. Die 3D-Verfilmung von Tintin war durchaus originell und ein Gewinn. Die Asterix-Realverfilmungen dürften deutlich mehr polarisieren. Sind weitere Lucky Luke-Verfilmungen geplant?
In vielen Fällen kann eine Verfilmung zwar das Renommee einer Comicfigur steigern, aber Lucky Luke ist bereits so berühmt, dass so etwas kaum Auswirkungen auf seinen Bekanntheitsgrad hat. Die Fans werden sehr wahrscheinlich ins Kino gehen und sich den Film anschauen. Wenn er ihnen nun überhaupt nicht gefällt, werden sie deswegen trotzdem bei den Comics bleiben. Falls der Streifen jedoch gut ankommt, wird das Zuschauer, die bislang nie ein Album gelesen haben, kaum veranlassen, eines zu kaufen. Insofern wirkt sich eine Verfilmung auf die Lucky Luke-Comics weder positiv noch negativ aus. Es ist eben einfach ein ganz anderes Medium.
Gibt es einen speziellen französischen Humor? Manche behaupten, nur die Franzosen könnten Komödien wie Willkommen bei den Sch’tis und Ziemlich beste Freunde drehen.
Nein, ich glaube nicht, dass es einen besonderen französischen Humor gibt. Okay, möglicherweise ist manches an unserem Humor anders. Die Engländer haben diesen sehr eigenen Humor. Aber ich denke, die Franzosen nicht so sehr. Humor ist schwer zu erklären. Humor ist universell, er funktioniert auf der ganzen Welt. Zum Beispiel bei Monty Python: Man muss einfach lachen, auch wenn man die Sprache nicht versteht, weil das Gezeigte lustig ist. Zum Beispiel über den „Funny Walks“-Sketch nicht zu lachen ist doch unmöglich, weil das so witzig ist!
Vielen Dank für das Gespräch!
Abbildungen: © Achdé, Ehapa Comic Collection, DC Comics
Fotos: © Stefan Svik