Die Gesamtausgabe der Serie Aldebaran war ursprünglich bereits für das Jahr 2005 angekündigt. Fast fünf Jahre später liegt das voluminöse Buch jetzt endlich vor. Und das Warten hat sich definitiv gelohnt.
Der Comic von Leo (Luis Eduardo de Oliveira) garantiert einige spannungsgeladene Lesestunden und ist dabei dem Sci-Fi-Genre zuzuordnen, ohne dass man ihm dies auf den ersten Blick ansieht. Die Handlung spielt im 22. Jahrhundert. Die Menschen haben außerhalb ihres Sonnensystems einen fremden Planeten nahe des Sternes Aldebaran besiedelt. 100 Jahre ist das nun her, die Kolonie hat sich auf der fremden Welt gut eingerichtet und eine diktatorische Regierung konnte sich bereits in der Zivilisation des Planeten etablieren. Sicherlich wurde dies auch dadurch begünstigt, dass der Kontakt zur Erde vor langer Zeit abgebrochen ist.
So richtig futuristisch leben die Menschen dort jedoch nicht, im Gegenteil, die Bewohner bewegen sich ausschließlich mittels Holzkarren, simplen Propellermaschinen oder Zeppelinen fort. Der große Unterschied zum Leben auf der Erde ist die eigentümliche Fauna: Die Oberfläche von Aldebaran-4 besteht zu 91 Prozent aus Wasser; in weiten Teilen – gerade in tiefen Regionen – sind die dort einheimischen Lebewesen noch völlig unerforscht. Und die Wesen, die mittlerweile katalogisiert sind, sorgen mit ihrem grotesken oder abwegigen Äußeren für Furcht.
Besonders bizarr ist das wiederholte Auftauchen eines geheimnisvollen, gigantischen Wesens, der so genannten Mantrisse. Zu Beginn verwüstet das offenbar hochintelligente und formwandelnde Ungetüm das Dorf der beiden Hauptprotagonisten Marc und Kim und hinterlässt lediglich eine Schleimspur. Die diversen mysteriösen Auftritte der im Wasser umherziehenden Mantrisse ziehen sich quer durch die Serie und lassen den Atem des Leser immer mal wieder stocken, zum Beispiel dann, wenn sich aus dem endlosen Ozean eine überdimensionale zylindrische Form erhebt, die ein Schiff einfach mit sich in die Lüfte reißt und dieses sich nach Verfestigung in seiner Form festhält.
Kim und Marc, zu Beginn noch zwei relativ normale Teenager, nach dem Angriff der Mantrisse nunmehr heimatlos und ohne Familie, begeben sich in die Hauptstadt Anatolia, nicht ohne zuvor jedoch einigen wichtigen Nebenfiguren der Erzählung zu begegnen. Da wären zum Beispiel Driss und Alexa, zwei Forscher, die offenbar mehr über das das unheimliche Wesen wissen, oder Herr Pad, ein kauziger alter Mann, der augenscheinlich seine ganz eigenen Ziele verfolgt.
Diese und einige weitere Figuren versetzt Leo in seine sich über mehrere Jahre spannende Geschichte, in der die meisten Akteure viel mehr Relevanz besitzen, als man anfänglich annimmt und sich irgendwie dann doch wieder über den Weg laufen. Den großen Handlungsbogen bekommt der Künstler hier überhaupt sehr schlüssig zu einem Ende gebracht, ohne zuviel von dem Mysteriefaktor durch überhastete Auflösungen einzubüßen.
Sicherlich schafft es Aldebaran nicht, mit den eindrucksvollsten oder originellsten Texten aufzuwarten; manche Dialoge sind für meinen Geschmack zu künstlich beziehungsweise unauthentisch. Genauso unglücklich sind hin und wieder auch die Zeichnungen der Personen, deren Mimik in einigen Panels den Charme merkwürdig anmutender Standbilder (analog eines gezeicheten Fotoromans) ausstrahlen. In vielen anderen Bildern gelingt Leo die grafische Umsetzung, auch der Gesichter, deutlich besser, so dass die Optik nicht weiter negativ in die Gesamtbeurteilung hier einfließen soll.
Zumal die Kernkompetenz von Aldebaran, die ausschweifende, fantasiereiche und imposante Fauna des Planeten, makellos geraten ist. Die Tiere, denen Leo zwischen den Kapiteln im übrigen sogar Namen, Eigenschaften und physiologische Merkmale zugeordnet hat, lassen den Leser gekonnt zwischen Bewunderung ob ihrer Anmut und Furcht gegenüber des befremdlichen Aussehens schwanken.
Im Zusammenspiel mit der klugen und schlüssigen Handlungsebene entsteht eine, vor allem für einen in der Zukunft angesiedelten Comic, ungewohnte Atmosphäre.
Für Neuleser ist die Gesamtausgabe von Aldebaran, die alle fünf ursprünglichen Alben versammelt, unbedingt zu empfehlen, denn gerade als kompaktes Werk ist hier eines der schönsten abgeschlossenen Comicbücher des Jahres vorgelegt worden. Leser, die die Serie bereits kennen oder die Einzelalben bereits besitzen, dürften sich aber auch noch über ein paar Extras freuen, zum Beispiel Coverentwürfe, Skizzen oder eine geografische Karte von Aldebaran. Zudem liegt die Geschichte erstmal auch als Hardcover vor und das zu einem vergleichsweise günstigen Preis, bei dem man 10 Euro gegenüber den Einzeplreisen der Alben spart.
Wer Gefallen an der Geschichte und Leos Welt hat, findet die Fortsetzung in den Zyklen Betelgeuze (fünfteilig, ebenfalls bei Epsilon) und Antares (in Arbeit, erster Band auf Französisch erhältlich).
Wertung:
Tolle Serie in einer angemessen ausgestatteten Gesamtausgabe
Aldebaran Gesamtaugabe
Verlag: Epsilon
Text: Leo
Zeichnungen: Leo
256 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 40 Euro
ISBN: 978-3-932578-99-1
Leseprobe bei myComics (deutsch), Website des Künstlers zum Aldebaran-Universum (französisch)
Abbildungen © Leo, der dt. Ausgabe: Epsilon Verlag