Er gilt als das bestgehütetste Geheimnis des deutschen Comics: Kurt Schalker.
Viel ist nicht über ihn bekannt und selbst der jährlich erscheinende Comic-Almanach Deutsche Comicforschung hat es noch nicht gewagt, etwas über den „Urvater der Comic-Blogger“ zu veröffentlichen, zu vage ist die Faktenlage. Und die täglichen Comics, die Schalker in seinem Bekanntenkreis zeigte und in denen er persönliches und autobiografisches bekanntgab, gelten weithin als verschollen.
Auf einem Podium auf dem Comic-Salon in Erlangen 2010 wurde dann das Geheimnis gelüftet: Nahezu alle heutigen Comic-Blogger bekennen sich zu Schalker und sehen in ihm ein Vorbild. Weil sich zeitgleich der 100. Geburtstag jährte, kommen nun mehr und mehr Fakten ans Licht und es wird Zeit Kurt Schalker die Ehrung zukommen zu lassen, die ihm auch gebührt.
Kurt Schalker wurde am 10. Juni 1910 vermutlich in der Nähe von Gelsenkirchen geboren. Auf einem nun von Comic-Blogger Ulf Salzmann wiedergefundenen Familienfoto sieht man ihn im Kreise seiner Familie, mit Vater Willibald, Mutter Hulda und seinen Brüdern Albert, Hans und Rudolf, der leider in Verdun fiel.
Schon früh ist er begeistert von den Bildergeschichten und frühen Comics, die in Deutschland durch die Zeitschrift Simplicissimus ungemein populär sind. Vater Willibald und Bruder Rudolf versorgen ihn mit seit Kindstagen mit den neuesten Karikaturen und Bildergeschichten. Besonders gefällt ihm der Zeichner Heinrich Kley, der ihm eine große Inspiration war.
Besonders viel ist über den weiteren Werdegang nicht bekannt und auch die umstrittenen Weltkriegsjahre sind noch relativ unerforscht. Diese Jahre spalten dann auch die Forschung. Während einige davon ausgehen, dass er eingezogen wurde, vermuten andere, dass er sich als Witzbildzeichner in Zeitschriften unter Pseudonym einen Namen machte. So soll er unter dem Pseudonym „Pinguin“ in der Kölnischen Illustrirten eine regelmäßige Seite gehabt haben, auf der er mit unverfänglichen Witzen die Bevölkerung erheiterte. Diese Bildwitze entfernen sich vom karikaturesken Stil der Zeichner im Simplicissimus und nähern sich vielmehr der Ligne Claire von Hergé an. Allerdings hat eine einfache Linienführung durchaus auch Olaf Gulbransson in Deutschland salonfähig gemacht. Diese Information gilt jedoch als ungesichert.
Nach dem Krieg verliert sich seine Spur, er wird natürlich im Ruhrgebiet vermutet, aber erst 1956 tritt er in Gelsenkirchen wieder ans Licht der Öffentlichkeit. Dann erscheint nämlich erstmals seine Serie Lebensfenster, die ihn bekannt macht. Dort veröffentlicht er täglich einen Vier-Panel-Strip über den deutschen Alltag der „Fünfziger im Ruhrpott“, wie es der Blogger Leo Leowald weiß, der ebenfalls stark beeinflusst ist. Leowald zählt auf: „Kicken, Kirche, Schützenfest. (…) Liebe zum Verein.“
Wie der bekannte Comic-Zeichner und Blogger Flix sehr schön in seinem Geburtstagsstrip aufzeigt, hat Schalker diese Strips dann seinen Freunden und Bekannten täglich präsentiert.
Dabei griff er auf schon früh auf „süße Häschen“ als zusätzliche Figuren zurück, wie es heutzutage fast Usus ist. Dies hat der Blogger Johannes Kretzschmar alias Beetlebum in seinem Blog entdeckt. 1963 in Schalkers Serie Heimat tauchen sie erstmals auf, allerdings nicht um „die eintönigen Schlackeberge von Gelsenkirchen freundlicher erscheinen zu lassen“, wie es Kretzschmar vermutet, sondern wie Schalker auf Facebook betont, weil er Hasen gern hatte und seine Frau Gisela ein vorzügliches Hasenragout kochte.
Später nutzte Schalker dann die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung um seine Strips zu präsentieren, allerdings hatten damals noch viele Menschen kein Internet und die Ladezeiten via Modem waren zu lang, so dass sich dieser Vertriebsweg nicht als erfolgversprechend erwies. Deshalb sind seine Strips vermutlich auch nicht archiviert.
Erst in Erlangen taucht Kurt Schalker aus der Anonymität auf, viele Zuhörer des Podiums reagierten erstaunt, hatten sie doch noch nie von ihm gehört. Warum Kurt Schalker bislang ein unbeschriebenes Blatt in der deutschen Comic-Szene war, kann vielleicht mit der Namensähnlichkeit zu seinem amerikanischen Kollegen James Kochalka (americanelf.com) zusammenhängen. Dieser wird immer gerne als der erste Comic-Blogger gesehen. Denn phonetisch klingen beide Namen ähnlich und aufgrund der Unwissenheit über Kurt Schalker haben viele womöglich Kochalka verstanden – auch wenn natürlich der Gelsenkirchner gemeint war. Bei der Diskussionsrunde über deutsche Comic-Blogs wurde nun erstmals dessen richtiger Name offenbar.
Leo Leowald hatte gar Kontakt zu ihm und nun hat Schalker auf Facebook eine eigene Seite aufgebaut, die sich binnen kürzester Zeit enormer Beliebtheit erfreut, auch wenn Schalker selbst dem „Gesichtsbuch“ leicht skeptisch gegenübersteht. Auch den Hype um seine Person kann er nicht ganz nachvollziehen, aber sein Humor, sein feines Spiel mit Ironie sind erfrischend angenehm. Nun obliegt es den Verlagen, das Werk von Kurt Schalker neu zu entdecken und sein Hauptwerk Lebensfenster zu veröffentlichen – wenn man es dann findet. Denn scheinbar hat es Schalker selbst vernichtet, oder aber seine (zweite?) Frau hat die Bildergeschichtenheftchen weggeworfen. Eine Sysiphosarbeit also, die sich aber lohnen sollte. Denn Comic-Zeichner wie Schalker – mit einem so weitreichenden Einfluss auf die Blogger – hat Deutschland nicht so viele.
Kurt Schalker wurde jüngst 100 Jahre alt, aber wir haben die Freude, ihn heute wieder zu entdecken. Auf die nächsten Hundert und auf alle Fundstücke, die wir freudig erwarten, damit die Biografie von Kurt Schalker nicht mehr so viele weiße Flecken aufweist. Er selbst würde vermutlich zu seiner „Wiederentdeckung“ sagen: „Das Leben und die Comics sind alles nur ein großer Spaß.“
Unser Gastautor Klaus Schikowski, Comic-Publizist aus Köln, veröffentlicht u.a. in den Fachzeitschriften Comixene, Reddition und Comic!-Jahrbuch. Sein Buch Die großen Künstler des Comics erschien im edel Verlag. Er moderierte die im Text angesprochene Diskussionsrunde über Comic-Blogs beim Internationalen Comic-Salon in Erlangen.