Interviews

König, Ralf

Comicgate: Hallo Ralf, danke, dass Du Dir Zeit für uns nimmst!

Du kommst gerade frisch von der Frankfurter Buchmesse 2005 wieder, um dort Deinen neuen Comic, den ersten Teil von Dschinn Dschinn über einen alten orientalischen Flaschengeist in einer heutigen Aachener Schwulen-WG, zu bewerben und Autogramme zu geben.
Welche Eindrücke bringst Du mit?

Ralf König: Zu große Hallen, zu enge Gänge, zu viele Menschen. Ich war nie ein Fan dieser Messe, aber man sagte mir, da gäbe es jetzt diesen speziellen Comicbereich, da hab ich’s dann noch mal versucht. War auch sehr okay, hier hatte ich wenigstens den Eindruck, dass die Leute da wissen, wer ich bin und was ich genau mache. Früher saß ich an irgendwelchen Ständen und irgendwelche Leute wollten, dass ich ihren Kindern Schweinchen male oder hielten mich für „Werner“.

CG: Und was musst Du für die Leute zeichnen, die wissen, wer Du bist? Gibt es also so etwas wie einen „Fanliebling“?
RK: Na, Paul wird immer mal gern gewünscht oder der Bauarbeiter aus Bullenklöten. Ich zeichne meist das, was zum jeweiligen Buch passt. Oft wollen die Leute, dass ich irgendwelche mir fremden Personen karikiere, denen sie das dann schenken wollen, vorgestern in Bonn wollte einer eine „Sportpädagogin“, da fällt mir dann wenig zu ein.
Oder die beliebte Idee „Mal mich mal“. Das hasse ich, weil ich das nicht wirklich kann, und wenn man einmal damit anfängt, will’s jeder. Das verweigere ich inzwischen und zeichne stattdessen lieber was, was mit meinen eigenen Inhalten zu tun hat.

CG: Ist es okay für Dich, vor Publikum zu zeichnen, oder machst Du das viel lieber in Deinem stillen Kämmerlein?

 
Ralf mit Pöter auf’m Schreibtisch im stillen Kämmerlein ( Foto: Ekkhart)

RK: Ich betrachte das als gute Übung, schnell zu zeichnen. Das muss ja zack zack gehen, und davon kriegt man irgendwann einen sehr sicheren Strich. Kann ich jedem Zeichner empfehlen, man wird sicher, ohne Skizzen vorher.

Manchmal probiere ich auch neue Charaktere aus, die ich gerade wegen irgendeiner Geschichte im Kopf hab.
Aber es ist ein anderes Zeichnen als allein zu Hause, klar. Wenn ich zu Hause auch so schnell wäre, würde ich ein Buch nach dem anderen vom Schreibtisch schaufeln. Aber da sind ja die kleinen Panels und ’ne gewisse Sorgfalt vonnöten, und die Schrift sollte lesbar sein.

CG: Gibt es denn lebende oder tote Personen bei denen Du selber zum Fanboy wirst und Dich für ein Autogramm oder ein paar Worte stundenlang anstellen würdest? Was würdest Du ihnen sagen wollen?

RK: Na, „Fan“, aus dem Alter komm ich raus, obwohl ich die neue CD der Rolling Stones sehr klasse finde, und bei musizierenden 60-Jährigen bin ich auch gern „Fanboy“. Aber klar, ich hab ein paar Leute auf der Liste, die ich ganz groß finde, aber gerade darum wäre ich wohl zu schüchtern, mich da anzustellen.
Woody Allen, Patti Smith… Robert Crumb. Was soll man so jemandem auch sagen? Wahrscheinlich hat der die Lobeshymnen schon tausendmal gehört und lächelt höchstens milde. Geht mir ja ähnlich, wenn mich in so einer Signier-Situation jemand anstrahlt und sagt, wie klasse er das findet, was ich mache, dann freut mich das zwar wirklich, aber ich weiß nie drauf zu reagieren, außer mit einem braven „Danke“. Lob macht mich immer etwas verlegen.

CG: Deinen neuen Comic, Dschinn Dschinn, hast Du etwas zwangsläufig auf zwei Teile aufgeteilt, da Rowohlt endlich mal wieder was sehen (und verkaufen wollte) von Dir. Der erste Teil ist gerade frisch erschienen.
Unterscheidet er sich, abgesehen von der Länge (Dschinn Dschinn wird ja Dein bis dato längster Comic) und der anfangs exotischen Szenerie, prinzipiell von Deinen anderen Sachen?
RK: Hm, weiß nicht, ob er sich unterscheidet von meinen vorherigen Sachen, die Länge ist allerdings ein erheblicher Unterschied. Bei so einer Seitenzahl kann man mehr ins Detail, das mag ich gern beim Erzählen. Und vielleicht steckt auch ein anderer Antrieb dahinter, denn das eigentliche Thema, nämlich dieser religiöse Fundamentalismus, hat mich schon sehr beschäftigt. Ich hab‘ stapelweise Bücher gelesen, von „1001 Nacht“ bis zu Literatur über die Taliban und „Frauen im Islam“ etc. Ich musste aufpassen, dass das, was am Ende dabei rauskommt, noch komisch wird, denn der Spass kann einem echt vergehen. 

CG: Hattest Du früher auch schon diese politischen Ansprüche/Untertöne, oder ist das erst mit der Zeit gekommen?

RK: Ich denke schon, dass meine Sachen immer auch etwas politisch waren, zumindest haben sie ’ne politische Wirkung, weil viele Heteros die Comics lesen und so locker überhaupt an das schwule Thema rangeführt werden, über die Humorschiene zwar, aber immerhin. 

CG: Wenn es Dir allgemein um Fundamentalismus geht, dann muss ich mal so blöd fragen, warum Du Dir dann den Islam ausgesucht hast? Musst Du dann nicht achtgeben, dass ein Vorwurf kommen könnte, Du schlägst in den allgemeinen, gerade modernen „Anti-Islam-Kanon“ ein?

RK: Wenn es um religiösen Fundamentalismus geht, sticht der Orient zur Zeit besonders ins Auge. Und einerseits die verklärte, sinnesfrohe Welt in „1001 Nacht“ und andererseits das, was der Orient heute in den Abendnachrichten bietet… Den Gegensatz fand ich spannend, das war die Idee.
Aber ich hab gleiche Vorbehalte gegen das, was in Bushs Amerika abläuft oder gegen den Vatikan. Ich bin sehr unreligiös drauf, egal welcher Gott gemeint ist.

CG: Hast Du denn mal eine Reaktion aus moslemischen Kreisen erhalten?

RK: Nein. Ich verbrate in dem Comic ja eher die abstrusen Gesetze der Taliban, die in Afghanistan galten. Musikverbot, Bartzwang und die Burka für Frauen, das findet ja sogar der überwiegende Teil der muslimischen Welt befremdlich.

CG: Bei Deinen verschleierten, unterdrückten Frauen hat’s mich schon etwas gewundert, denn ich habe noch in der Schule gelernt, dass manche das auch wollen, quasi als Befreiung sehen, dass sie von den Männern nicht andauernd angestarrt werden und zum Objekt degradiert werden. Ist das eine falsche Annahme?

RK: Ich nehme an, wenn man als Mädchen in so einer Männerwelt aufwächst und den Schleier von Anfang an gewohnt ist und als Schutzfunktion wahrnimmt, will es das möglicherweise nicht anders. Aber warum starren die Männer denn? Weil die Frauen eben verschleiert sind und jeder nackte Knöchel demzufolge sofort wahnsinnig reizvoll ist. Was ist hier zuerst da, Huhn oder Ei? Ich finde die ganze Idee des Verschleierns suspekt, egal ob religiös oder gesellschaftlich oder sexuell gemeint. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Frau sich unter einer Burka mit winzigem Sichtfenster wirklich „frei“ fühlen kann.

CG: Warum arbeitest Du eigentlich „konzeptlos“, also ohne Skript oder Vorzeichnungen? Ist das nicht auch sehr riskant, dass man sich irgendwie verfängt oder verliert? Ich finde z.B., dass sich Dschinn Dschinn 1 am Anfang etwas zieht, da frage ich mich, ob das vielleicht an der Arbeitsweise liegt.

RK: Ich hab der Story am Anfang bewusst Zeit gelassen, um „filmisch“ einzusteigen, das tu ich ja immer gern, da ich mich sehr am Kino orientiere. Und ich wollte diese arabische Erzählweise einfangen. Wenn man diese Geschichten aus „1001 Nacht“ liest, ist das nicht anders, da beschreibt der Erzähler seitenweise einen blühenden duftenden Garten oder was bei einem Festmahl für Köstlichkeiten auf dem Tisch liegen, und das „zieht“ sich dann auch. Ist also ein Stück gewollt, aber wenn es langweilig rüberkommt ist das natürlich schlecht.

Ich glaube nicht, dass es an der Arbeitsweise liegt, im Gegenteil, der große Vorteil am „einfach Draufloszeichnen“ ist nämlich, dass ich selbst grossen Spaß habe dabei. Ich weiß ja meistens selbst nicht genau, was auf der nächsten Seite passieren wird, dadurch bleibt das alles ein Stück weit spontan. Das wäre sofort vorbei, wenn ich erst ein textgenaues Script mit ausgefeilten Dialogen in den Computer hämmern würde. Dann müsste ich’s danach zeichnen, also „erledigen“, und das täte mich sehr langweilen.

CG: Und Du produzierst vollkommen ohne Computer, oder? Hättest Du mal Interesse, Dich digital auszuprobieren (z.B. zeichnen, lettern, kolorieren)?

RK: Nein, ich bin technikdoof und finde das auch sehr ok. Ich hab meine Zeichenblöcke und diverse Stifte und los gehts, eins zu eins und richtig Handarbeit. Und ich hoffe, dass man auch in digitalen Zeiten noch einige Jahre Stifte und Papier kaufen kann, sonst bin ich am Arsch.

CG: Das ist jetzt ja ein neues Arbeiten für Dich – die Leser und der Verlag warten auf den zweiten Band von Dschinn Dschinn.
Fühlst Du Dich da irgendwie unter Druck gesetzt? Gehörst Du vielleicht sogar zu den Leuten, die unter Druck besser arbeiten können?

RK: Nein, unter Druck arbeiten ist nicht so mein Ding, aber es lässt sich oft nicht vermeiden. Ich denke zum Glück nicht darüber nach, dass da Verlag und Leserschaft „warten“, ich mach das erst mal nur für mich. Anders ginge das gar nicht, das schnürt einem ja die Luft ab. In diesem Fall bin aber zuversichtlich, dass die Story funktioniert. Ich hab ja die Fäden bereits im ersten Teil gelegt und muss es nun nur noch auflösen. Das war beim jetzt erschienenen Band anders, da hatte ich viel zu lange keinen genauen Plan über die Charaktere und der Verwandlungen des Muftis.

CG: Wie können wir uns Ralf König beim Arbeiten an einem neuen Comic vorstellen – kontinuierliches Zeichnen oder eher viel auf einem Batzen und dann für einige Zeit wieder nichts?

RK: Eher letzteres. Ich versuche immer wieder, mir „feste Arbeitszeiten“ anzutrainieren, aber das geht irgendwie nicht. Manchmal muss ich auch tagelang ohne zu zeichnen in der Nase popeln, dann brüte ich rein gedanklich an irgendeiner Szene oder Pointe rum.

CG: Gibt es generell auch für Dich Deadlines, oder ist der Verlag zufrieden, dass sie einen neuen Comic von Dir herausbringen können?

RK: Oh nein, es gibt Deadlines. Schlimme, gnadenlose, viel zu enge Deadlines gibt es!
Beim ersten Dschinn war ich da auch prompt vier Monate drüber, das sollte ja bereits im Frühjahr erscheinen und kam dann im Herbst. Aber was solls, es ist halt manchmal nicht planbar mit den kreativen Schüben und Krisen.

CG: Was mich zu dem nächsten Punkt bringt: Deine Comics drehen sich im Kern ja eigentlich immer um Schwule, Beziehungen und Alltagsbeobachtungen. Das ist das, was man von „einem König“ erwartet und bekommt.
Hast Du nicht Lust, zwischendurch mal über was ganz anderes zu erzählen?

RK: Ich wüsste ehrlich gesagt, nicht was. Mich interessiert letztlich das zwischenmenschliche Miteinander, ich hätte keinen Bock, Fantasygeschichten zu zeichnen oder Politthriller. Ich bin schwul, darum wird das immer mehr oder weniger durch die schwule Brille passieren. Einen Brösel zum Beispiel würde man ja auch nicht fragen, ob er nicht mal weg von den Motorrädern mal was Schwules zeichnen will. Aber ich bin immer interessiert daran, meine Themen möglichst weit zu fächern. Wie jetzt mit „1001 Nacht“ oder vorher Shakespeares Dramen etc.

CG: Wenn Dich nichts anderes wirklich interessiert, klar, dann ist es verständlich, dass Deine Comics immer denselben Ansatz, also das Zwischenmenschliche, haben. Die Aussagen „ich bin schwul, deshalb…“ und „einen Brösel würde man ja auch nicht fragen, ob…“ finde ich aber etwas gegensätzlich zu Deinem sehr schönen Text auf Deiner Homepage, in dem Du weggehst davon, Dich auf das Attribut „schwul“ festlegen zu lassen und Dich nicht dadurch definiert sehen willst… In dem Sinne schränkst Du Dich dann ja doch selber, freiwillig, ein.

RK: Na, da ist was auseinander zu halten: Das schönste Kompliment, dass man mir öfter mal macht, ist, dass meine Geschichten eine gewisse Allgemeingültigkeit haben, dass es also letztlich egal ist, ob da Schwule oder Heteros ihre Alltags- und Beziehungsprobleme schultern, im Grunde gleicht sich das alles. Das wird ja auch der Grund sein, warum so viele Leute meine Comics lesen, die sonst mit Schwulen wenig zu tun haben. Aber für mich ist „schwul“ ja nicht nur ein „Thema“, das ich mal eben wechseln könnte oder wollte. Ich bin schwul, meine Freunde sind es, mein Leben ist es! Aber das neue Buch geht nicht ums „Schwulsein“ als solches, sondern um „1001 Nacht“ und einen fundamentalistischen Flaschengeist. Dass da ein schwuler Charakter die 2. Hauptrolle spielt, neben einer heterosexuellen Frau übrigens, liegt in der Natur des Autors.
Wenn Woody Allen eine neue Beziehungskomödie ins Kino bringt, heißt es ja auch nicht „Naja, es geht wieder mal um „Heterosexualität“, weil es selbstverständlich ist, dass es darum geht, worum denn sonst? Aber bei mir bleibt das offensichtlich ein Exotenthema, das es längst nicht mehr ist, für mich.

CG: In anderen Interviews sagst Du, dass Dir das Erzählerische in einem Comic sehr viel wichtiger als die Zeichnungen sei. Walter Moers hat’s vorgemacht und ist nun auch als Geschichtenerzähler und Buchautor sehr erfolgreich. Wäre das auch was für Dich?

RK: Möglicherweise, ich schreibe sehr gern. Allerdings wäre auch hier der Fantasybereich nichts für mich. Walter schickt mir immer seine Bücher, und ich kann das einfach nicht lesen, das ganze Genre ist nicht mein Ding.
Aber in diversen Taschenbüchern gibt es schon hin und wieder Kurzgeschichten von mir, das macht Spass, sich an die Tastatur zu setzen und ohne das Zeichnen zu erzählen, das geht schnell und trifft einen anderen Ton. Ich könnte mir vorstellen, Geschichten zu schreiben, die etwas ernster daherkommen. Denn das Spaßige geht dann doch besser mit den Comics. Andererseits nehmen die Comics mich zeitmäßig ziemlich in Beschlag, das müsste ich mir bewusst freischaufeln.

 CG: Die von Dir im Comixene-Interview erwähnten Blankets und Der alltägliche Kampf als Beispiele für Comics, die Dir gefallen haben,  zeigen ja, dass man auch ganz andere Töne anschlagen kann in Comics, letzterer sogar mit „Knubbelnasenfiguren“.
Allerdings sind Deine Figuren mitterlerweile so im Funnybereich angesiedelt, dass der Leser sich
erstmal umgewöhnen müsste.
Könntest Du Dir vorstellen – falls Du jemals einen „ernsteren“ Comic zeichnen würdest -, einen anderen Stil zu benutzen? Oder bist Du so vertraut und verwurzelt mit Deinem Stil, dass Du nur auf diese Art zeichnen willst?

RK: Ich finde neben all den Nasen, die auf dem Tisch liegen, einfach nicht die Zeit, mir noch einen entscheidend anderen Strich anzueignen. Ich habe das gelegentlich versucht, aber sie haben sofort automatisch diese dicken Wurstfinger. Ich glaube, das krieg ich kaum raus, will ich auch gar nicht.
Ich bin froh mir über die Jahre so einen sicheren Strich angeeignet zu haben. Aber sag niemals nie, es gibt sicherlich Möglichkeiten, noch andere Stimmungen zu erzeugen.

CG: Bist Du es eigentlich nach all den Jahren Leid, Dich immer noch ständig erklären zu müssen? Sprich, dass viele Leute mehr das Schwulsein von Dir und Deinen Comicfiguren zum Thema machen als den Comic an sich?

RK: Ja, das ist manchmal schon ein bisschen mühsam, aber die Leute, die meine Bücher seit längerem lesen und mögen haben da keinen Nachholbedarf. Und ich selbst finde kaum etwas unerheblicher als mein Schwulsein. Mich langweilt ja sogar die schwule Szene, aber das hab ich mir nach fast 28 Jahren auch verdient.

CG: Ich denke da nur an Deine Einladung bei Stefan Raab als aktuelles Beispiel…
Kannst Du da ein bisschen was zu erzählen – wie hast Du das empfunden, und wie läuft so ein Auftritt ab? Wird der Verlag angeschrieben, dass man Dich gerne als Gast da hätte, oder geht der Verlag auf den jeweiligen Sender zu?

RK: Der Verlag mailte mir, Stefan Raab sei von Dschinn Dschinn “begeistert“ und hätte mich gern in der Sendung. Ich kann mir nun für mich bessere Abendunterhaltung vorstellen als bei TV Total auf dem Sessel zu sitzen, aber dazu „Nein“ zu sagen geht fast nicht. Der Werbeeffekt ist beachtlich, Verlag und Agent würden einem tagelang die Ohren befaseln, das zu machen.
Aber dann sitzt man da, die Kameras auf der Nase, und es stellt sich raus, dass Stefan Raab keinen Schimmer hat, was in dem Buch passiert, der hat da höchstens mal vor der Sendung reingeblättert. Das heißt, ich rechnete damit, über Muftis und „1001 Nacht“ zu reden, und dann war die erste Frage, ob das wieder ein „Schwulencomic“ sei und ob mein sonst sicher nur „kafkalesender Lektor“ bei Rowohlt da nicht „rot“ würde, wenn er das sieht.
Was will man da denn antworten? Ich war echt genervt, und das merkt man mir dann auch an. Find ich auch völlig ok.

CG: Also davon, dass er angeblich den Comic begeistert gelesen hat, konnte man in der Tat nichts feststellen…
Eben sprachst Du die Schwulenszene an. Gibt es denn tatsächlich nur die eine Szene, so wie es sich bei Dir anhört? Es wird doch genauso unterschiedliche Charaktere, Einstellungen und Sichtweisen bei Schwulen geben wie sonst auch. Was sollte man sich auch auf etwas festlegen und einschränken lassen durch unausgesprochene „Szenegesetze“, wär ja blöd.

RK: Ja, mit „Szene“ meine ich aber genau das. Da gibt es eine Art „Gruppenzwang“, und dann wird’s schnell zum Diktat, wie man aussieht, welche Musik man hört, welche Interessen man hat etc. Besonders bei Jüngeren dient das der Identitätssuche. Das ist verständlich, man will halt sichtbar dazugehören, jede „Untergruppe“ in der Gesellschaft hat ihre eigenen Erkennungszeichen, denk an Fussballfans. Ich verurteile das auch nicht, es langweilt mich nur etwas, nach so vielen Jahren, da gibt’s so wenig Überraschungen und neue Entwicklungen.

CG: Wird man als Prominenter eigentlich noch „gleich behandelt“, oder ist die (?) schwule Szene so ein Untergrundding, das sich gerne abgrenzt von den kleinbürgerlichen Leuten – oder eben auch bekannteren Personen?

RK: Na „Kleinbürgerliches“ oder auch Spießiges (wie immer man das genau definiert) gibt es unter Schwulen zuhauf. Sogar die Großveranstaltungen, z.B. Ledertreffen in Hamburg, find ich ein Stück weit „spießig“. Da treffen sich die Geklonten, alle sehen gleich aus, bloß nicht aus der Masse hervortreten, die schweren harten Ledermänner mit Glatzen und Fetisch und Tattoos und Muskeln und Bäuchen… und schaufeln tagsüber in den Kaffees laut schnatternd und tratschend Torte und Kuchen in sich rein.Da ist der Schritt zur Butterfahrt nach Helgoland vom Damenkegelclub nicht weit. Anderseits sind diese Gegensätze ja auch liebenswert, und genau daraus ziehe ich ja viel grotesken Humor für meine Comics.
Ich weiß ja nicht, wie viele Leute mich nicht kontakten, weil ich ein „Promi“ bin, darum nehme ich das auch kaum so wahr. Für mich selbst spielt das mit dem „Bekanntsein“ sowieso nicht so eine große Geige, ich mach meinen Job und denke kaum weiter drüber nach.
Das war aber auch eine bewusste Entscheidung, damals, als der „bewegte Mann“ in den Läden und später in den Kinos war. Ich wollte nicht mit dunkler Sonnenbrille durch die Stadt latschen, sondern genau das weiter tun, was ich auch täte, wenn ich nicht der Zeichner wäre. Je weniger Bohei ich selbst darum mache, umso weniger schränkt es mein Privatleben ein. Und ich bin froh, dass ich kein Schauspieler bin oder Politiker oder sowas, sondern „nur“ Comiczeichner. Mein Gesicht ist ja noch relativ incognito.

CG: Trotz allem bist Du aber irgendwie, ob Du willst oder nicht, ein Botschafter der Schwulen, oder? So viele Homosexuelle kennt die Öffentlichkeit ja nun auch nicht, und da wird man doch sicher etwas genauer beobachtet.

“Aha, so denken die also darüber“ oder so ähnlich wird sich sicherlich schon der ein oder andere Leser gedacht haben.

RK: Genau das will ich aber nicht sein, dazu hab ich zur schwulen Szene ein viel zu diffenziertes Verhältnis und meine individuellen Macken. Mir ist klar, dass ich da mein Stück Verantwortung habe, aber das ist okay, so lange ich in den Inhalten vor mir selber ehrlich bleibe und keinen Blödsinn über
Schwule verzapfe, nur um Geld zu verdienen, wie beispielsweise Bully das tut mit seinem „Heititei“. 

CG:  Ähnlich war es meiner Meinung nach auch mit Der bewegte Mann. So sehr Du diesen Film hasst – er hat trotzdem irgendwo das Eis gebrochen für schwule Themen.

RK: Sicher, Der bewegte Mann war der richtige Comic zur richtigen Zeit, und mit dem Film funktionierte das auch. Der Unterschied ist, den Comic hab ich selbst gemacht und stehe auch heute noch dazu, wenn auch die Zeit drüber vergangen ist. Der Film hat schon einige Perspektiven zugunsten des Mainstreams verschoben, und darum kann ich ihn nur bedingt mögen. Aber im Vergleich zu anderen Machwerken zum Thema „schwul“ ist der Film noch sehr in Ordnung.

Die Fernsehserie Bewegte Männer, mit der ich weder inhaltlich noch finanziell etwas zu tun habe, ist dagegen ’ne Katastrophe, das ist nicht nur schwulen-, sondern vor allem humorfeindlich.

CG: Gibt es von Deinen Comics einen, den Du doch gerne noch verfilmt sehen würdest – natürlich dann mit einem entsprechenden Einfluss von Dir?

RK: Nein, nicht wirklich. Über einen Zeichen- oder Puppentrickfilm ließe sich reden, aber auch dafür sind die geeigneten Stoffe leider bereits vergeigt. Kondom des Grauens wäre ein prima Trickfilm gewesen, auch Lysistrata kann ich mir vorstellen. Vielleicht ließe sich aus Bullenklöten was machen, oder jetzt dem Dschinn. Aber ich ersehne das nicht, mit den Comics fühle ich mich allemal auf sichererem Terrain.
Nur leider hat jede Verfilmung eine viel größere Medienaufmerksamkeit. Wenn ein neuer Comic raus kommt, interessiert das kaum ’ne Sau, aber wegen eines Kinofilms ist jedesmal großer Wirbel.

CG: Aber direkt ein Drehbuch für einen (Trick-)Film zu schreiben wäre nichts für Dich?

RK: Finanziell ist sowas verlockend, aber mit den Comics fühle ich mich immer wohler.

CG: Apropos Szene – so richtig in der, zugegebenermaßen recht kleinen, deutschsprachigen Comicszene tummelst Du Dich auch nicht, oder?

RK: Nein, ich wusste ganz am Anfang meiner Laufbahn nicht mal, dass es eine Comic-Szene gibt! Und die entdeckte mich bezeichnenderweise auch erst mit Kondom des Grauens, ich nehme an, weil die Story damals comicgerecht war, mit einem einsamen Inspektor und einem Monster, und das in New York, etc. Ich war da immer so’n Seiteneinsteiger, Der „Max-und-Moritz-Preis“ in Erlangen (1992 als „Bester deutschsprachiger Comic-Künstler“, Anm. d. Red.) war darum ein bemerkenswertes Ereignis für mich.

CG: Wenn Du zurückblickst: gibt es einen Comic von Dir, den Du am liebsten komplett aufkaufen und verbrennen möchtest? Und auf welchen bist Du besonders stolz?

RK: Naja, ich hatte das zweifelhafte Glück, schon mit den ersten Kritzeleien damals einen schwulen Kleinverlag gefunden zu haben, der das Zeug veröffentlichte. Die machten sonst vor allem schlechte Pornos, und der Verlagsboss war scharf auf mich, ich war gerade 18 und wohl ganz knackig.
Das waren winzige Auflagen, und grottenschlechtes Zeug, aber die werden immer noch gelegentlich bei Signierstunden auf den Tisch gelegt.

Stolz bin ich selten auf was, aber von den Büchern mag ich Super-Paradise am liebsten, wegen des Balance-Aktes zwischen todernst und lebenslustig.
Das dauerte lange, bis ich mich dem Thema HIV so respektlos nähern konnte, dazu musste ich erst die schlimme Erfahrung machen, dass einer meiner besten Freunde starb. Danach wusste ich, wovon ich rede.

CG: Gibt es eine Szene oder Idee eines anderen Zeichners, auf die Du liebend gerne selber gekommen wärst, weil sie so genial ist?

RK: Nein. Ich bin kein Neider.

CG: Hast Du eigentlich immer den Drang in Dir, neue Comics zu machen, oder fühlst Du Dich manchmal ausgelaugt und ideenlos und denkst, der Comic, an dem Du gerade arbeitest, wird der letzte sein?

RK: Ich mache das jetzt seit äh… über 25 Jahren, und es fiel mir immer was ein, da bin ich ganz gelassen. Irgendwann fliegt einem wieder ’ne Idee zu.
Aber sicher hab ich auch Phasen, in denen ich leer laufe und das ist dann sehr mühsam. Gehört aber zum kreativen Prozess dazu, jedenfalls bei mir.

CG: Zeichner, die in Deutschland von ihren Comics/Cartoons leben können (und seltsamerweise sind es immer solche, die aus der witzigen Ecke kommen), kann man wohl an einer Hand abzählen: Du, Walter Moers, Brösel, Uli Stein,… öhm, und da fällt mir schon auf die Schnelle niemand mehr ein.
Kennt Ihr Euch untereinander, verbindet einen das irgendwie, oder nimmt man die anderen nur wahr?

RK: Außer zu Walter hab ich zu niemandem Kontakt. Wir telefonieren gelegentlich, dann geht’s meist um Erfahrungen mit Verfilmungen und ähnliches. Getroffen haben wir uns damals in Erlangen, da war ich noch ’ne unbekannte Nummer, war aber Moers-Fan und er kannte und mochte mein Zeug auch schon. Da standen wir voreinander und fanden uns gegenseitig klasse.

CG: Beim Comicfest in Lucca hast Du gerade (wieder mal) einen Preis gewonnen, für Bullenklöten. Glückwunsch dazu! Was bedeuten Dir im Allgemeinen diese Auszeichnungen – und speziell solche aus dem Ausland?

RK: Mich freut das natürlich, weil es zeigt, dass ich mit meinen Themen und dem Humor den internationalen Nerv treffe. In Frankreich stand mal in einer Tageszeitung „Es kommt nicht oft vor, dass ein Deutscher uns zum Lachen bringt“, und das ist schon ’ne Auszeichnung, finde ich.

CG: Stimmt, wo wir sonst als so humorlos gelten…
Du schreibst in Deinen Comics ja nicht nur über das schwule Leben, sondern auch über Heterosexuelle. Woher nimmst Du diese Beobachtungen – direkt aus dem Freundeskreis?

RK: Ach, ich bin ja nicht nur schwul. Das ist das leidige Thema mit dem Schubladendenken. Ich lebe nicht auf einer Homo-Insel, selbst in Köln gibts noch jede Menge Heteros, obwohl wir dran arbeiten, ich sehe „heterosexuelle“ Kinofilme und hab mindestens einen Heterofreund, der auch sein Kreuz mit den Frauen trägt. Ich bin in einem westfälischen Dorf aufgewachsen, unter Heteros, und die Pornos im Schrank meines Vaters waren auch hetero. Ich kann also mitreden.
Du wirst es kaum fassen, aber ich hatte im Leben auch schon mal Sex mit Frauen. Ich hoffe, diese Information wirft die Gay Community nicht um zehn Jahre zurück!

CG: Macht es Dir Spaß, Deine Comics zu bewerben, Autogrammstunden und Interviews zu geben, oder ist es eher eine „Pflicht“, durch die man halt durch muss?

RK: Zeitweise mach ich das gern mit, wie jetzt. Ich war zum Signieren in München, Köln, Bonn, Frankfurter Buchmesse, im Sommer in Barcelona und Paris, überall sind die Leute gut drauf und freuen sich über ’ne hingekritzelte Nase, das macht schon auch Spaß, auch wenn’s anstrengend ist. Morgen gehts noch mal nach Hamburg, aber dann reicht’s auch, ich muss mich nun auf den zweiten Teil vom Dschinn konzentrieren. Und das geht nicht, wenn mein Leben so unruhig ist und jedes Wochenende ’ne andere Tour ansteht.

CG: Welche Frage hasst Du in Interviews oder hast keinen Bock mehr, darauf zu antworten?

[Lass mich raten – über die Filme, und vielleicht, ob Schwule wirklich so sind?]

RK: Nein, mein Spitzenreiter ist „Woher nehmen Sie die Ideen?“ Schnarch…

CG: Hehe, aber immerhin hat die Frage mal nix mit Schwulsein zu tun. 😉
Herzlichen Dank für die interessanten Antworten und weiterhin viel Erfolg!

Dschinn Dschinn 1 – Der Zauber des Schabbar
Rowohlt Verlag
Text und Zeichnungen: Ralf König
170 Seiten, s/w, Softcover; 9,90 Euro
ISBN: 3499239590

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Webseite von Ralf König

Künstlerseite bei Rowohlt

unsere Webcomicserie „Adam & Andy“

Gewinnspiel:

In Zusammenarbeit mit dem Rowohlt Verlag verlosen wir zwei Exemplare von Dschinn Dschinn – Der Zauber des Schabbar. Beantwortet einfach die unten stehende Frage und füllt das Formular komplett aus. Einsendeschluss ist der 17. November 2005. Unter allen richtigen Einsendungen werden die Preise ausgelost.
Jeder darf nur einmal teilnehmen. Die Daten werden nicht an Dritte weitergegeben. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Das Gewinnspiel ist beendet. Bitte nicht mehr teilnehmen!

Frage: Wie viele Comics von Ralf König wurden bereits verfilmt?

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