Mit Dark Entries legt DC den ersten Band seines neuen Sub-Imprints Vertigo Crime vor. Die unter dem Crime-Signet erscheinenden Comics sind kleine Hardcoverbände in Schwarz-Weiß, die für sich allein stehende Geschichten von unterschiedlichen Autor-/Zeichnerteams erzählen. Mit Ian Rankin hat man, das muss man Vertigo zugestehen, direkt einen ziemlich renommierten Krimiautor für den Start der Reihe gewinnen können. So weit klingt das alles ganz gut. Und damit: Kommen wir zum 'Aber'.
Ich bin ja eigentlich kein 'Form before Content'-Mensch. Der Inhalt eines Comics ist für mich erstmal relevanter als die Verpackung. In diesem Fall möchte ich das aber mal umdrehen, weil meine erste Reaktion auf den Comic sich auf dessen Form bezog. Ich habe mir Dark Entries per Post zuschicken lassen und hielt plötzlich dieses kleine, eingeschweißte Hardcoverbuch in der Hand. Und trotz des winzigen „A Graphic Mystery“ auf dem Cover und dem noch winzigeren „Graphic Novel“ auf der Rückseite, war mein erster Gedanke: „Mist. Ein richtiger Roman. Dabei wollte ich doch einen Comic.“
Was schlicht daran liegt, dass die Aufmachung versucht, die Comichaftigkeit des Ganzen zu verschleiern und unter dem Titel „Dark Entries“ vollmundig verspricht: „A John Constantine Novel.“ Nicht Graphic Novel, sondern einfach nur Novel. Ich dachte also, hier handle es sich um einen illustrierten Roman (so wie zum Beispiel auch Neil Gaimans The Graveyard Book). DC gibt sich wirklich Mühe, hier auf „Legitimität“ zu setzen und das Comic-Stigma zu vermeiden. Was das über das Selbstbewusstsein der Comicszene sagt, sei mal dahingestellt. (Dann wiederum: Man akzeptiert ja auch, dass Comics mal lockere drei Jahre zu spät erscheinen, weil ein Autor zwischendrin „richtige“ Arbeit erledigen muss. Lost schreiben und sowas…)
Mit dem Öffnen der Verpackung klärte sich mein Fehlschluss auf, es handelt sich hier tatsächlich um einen richtigen Comic. Allerdings dürfte ich nicht der Einzige sein, der sich hier in die Irre führen lässt. Die Frage ist, wie die Käufer darauf reagieren, die in die andere Richtung dachten. Käufer, die einen Ian-Rankin-Roman kaufen wollten und dann feststellen müssen, dass sie aus Versehen einen Comic erworben haben. Wird die Neugier überwiegen, das „jetzt habe ich eh schon bezahlt, jetzt kann ich's auch lesen“, und kann man so neue Leser rekrutieren? Oder stößt man diese Käufer eher vor den Kopf und überschreitet die Grenze zur Kundenverarsche? Ich fürchte wirklich, dass DCs Taktik sich hier rächen könnte.
Schade drum, denn die Aufmachung ist eigentlich wirklich schick. Die kleinen Hardcoverbände dürften sich gut im Regal machen. Einzig das Papier könnte noch ein klein wenig dicker sein, die Schwarzflächen neigen dazu durchzuscheinen, was allerdings ein sehr kleiner Kritikpunkt ist. Warum also nicht die Eier haben und offensiver dazu stehen, dass man hier einen Comic verkauft?
Und damit bewegen wir uns jetzt so langsam auf den Inhalt zu. Und zwar direkt wieder mit einer Nachfrage: Ist das hier wirklich der Titel, mit dem man das Crime-Imprint starten sollte? Die Aufmachung und der fette Name Ian Rankin auf dem Cover sagen, dass man mit diesen Titeln in die Buchhandlungen will, um Neuleser zu gewinnen. Klingt ebenfalls erstmal gut und wird ebenfalls sofort mit einem 'Aber' weitergeführt.
Schnellfrage: Was erwarten Sie von einem Titel, der vom Krimiautor Ian Rankin geschrieben wurde und auf dessen Seite das Logo „Vertigo Crime“ prangt? Wenn Sie „Geister- und Dämonenhorror“ gesagt haben, dann sind Sie zwar ein Depp, haben allerdings damit absolut Recht (und arbeiten wahrscheinlich in DCs Chefredaktion). Wirklich: Wenn ich ein neues Imprint starte, für das eindeutig eine bestimmte Identität festgelegt ist (Kriminalgeschichten), sollte dann ausgerechnet der erste Titel, der verlegt wird, kein Krimi sondern eine Horrorgeschichte sein? Funktioniert so Branding? Sorgt man so für Leserbindung? Dafür, dass interessierte Krimifans für weitere Titel aus der Reihe zurückkommen? Bloß weil man John Constantine als Detektiv des Okkulten bezeichnet, wird das hier noch kein Krimi.
Was dann schon zur nächsten Nachfrage führt: Warum startet man dieses Imprint mit einer John-Constantine-Geschichte? Der Film liegt zu weit zurück und das „A John Constantine Novel“ auf dem Cover ist zu klein, um darauf zu hoffen, dass man hier nochmal die Synergiewelle reiten könnte. Warum also den Start eines neuen Imprints nicht für eine Geschichte nutzen, die ganz für sich alleine steht, die keine Verbindungen zu einer inzwischen dreißig Jahre alten Comicserie aufweist? Klar, man kann Dark Entries lesen und auch (weitgehend) verstehen, ohne zu wissen, was in der regulären Hellblazer-Serie vor sich geht, aber es dürfte das Leseerlebnis kaum angenehmer gestalten.
Ich als jahrelanger Hellblazer-Leser (oder: Hellbleser, wie wir in der Wortspielhölle zu sagen pflegen) verstehe John Constantines Verbindung zur Unterwelt und warum er so gelassen auf all diesen übernatürlichen Klimbim reagiert, dem unbeleckten Leser dieser Geschichte dürfte das anders ergehen. Ohnehin, wenn ich John Constantine in dieser Geschichte sehe, dann sehe ich eine Figur mit reicher Geschichte vor mir, dann habe ich seine verkorkste Familiengeschichte im Kopf, all die Figuren mit denen er mal interagiert hat, et cetera pp. Jemand der ohne Hellblazer-Vorwissen an diese Geschichte herantritt, der sieht einen selbstgefälligen Kettenraucher im Trenchcoat ohne weitere charakterliche Tiefe. Ein Archetyp, wie es ihn in der Populärkultur im Dutzend billiger gibt. Und das, was man dann doch an Vorgeschichte mit in den Titel nahm, wird fast nicht erklärt und verwirrt letztlich nur. All das sind Probleme, die sich stellen, wenn man ein neues Imprint mit einer etablierten Figur startet.
Negativ fällt auch auf, dass der Rest der hier von Ian Rankin eingeführten Figuren ebenfalls nur rudimentärst charakterisiert wird. Eigentlich sind das nichtmal wirklich Figuren, es sind klischeebeladene Avatare für irgendwelche Subkulturen oder gesellschaftliche Probleme, die Rankin mit aller Gewalt in die Story reinhämmern will (japanische Gothic-Lolita, Internetnerd, Missbrauchsopfer, etc.). Keine dieser Figuren schafft es irgendwo, die Ecken und Kanten zu erhalten, die sie glaubhaft machen würde und die eine emotionale Verbindung mit dem Leser erzeugen. Gerade diese emotionale Verbindung ist in einer Horrorgeschichte aber von elementarer Bedeutung.
In der Gesamtheit ist Dark Entries letztlich nicht viel mehr als eine leicht unterdurchschnittliche Hellblazer-Story. Ich habe schlimmere Geschichten mit dem blonden Liverpudlian gelesen (den Run ,den Denise Mina [wie Rankin eigentlich Krimiautorin] mit der Figur hatte oder das absolut grässliche Good Intentions von Brian Azzarello), aber im Vergleich zu dem Feuerwerk, das Mike Carey und Andy Diggle in der regulären Serie in den letzten Jahren abgefackelt haben, fällt Dark Entries nur noch weiter ab.
Die Figuren sind, siehe oben, kaum ausgearbeitet, der Plot stolpert über die ersten hundert Seiten vor sich hin und wird dann von Seite zu Seite wirrer, ohne dass je wirklich Spannung aufkommt. Auch die Rahmenidee zieht nicht: John Constantine löst ein Geheimnis im Rahmen einer Reality-TV-Show, sowas wie Big Brother mit Geistern. Da hätte man eine böse Mediensatire draus machen können (siehe als Beleg dafür, wie gut das mit Zombies in Charlie Brookers vierteiliger TV-Serie Dead Set funktioniert hat), besonders wenn man Constantines verbitterten Welthass stärker ausgespielt hätte. Aber das Vehikel der Reality Show schafft es zu keinem Zeitpunkt mehr zu sein als der McGuffin, den man brauchte, um die Geschichte ins Rollen zu bringen. Man merkt beim Lesen geradezu, wie das wahrscheinlich in der Ideenphase die Initialzündung war (“Was, wenn John Constantine in einer Reality Show auftritt?“), von der man sich dann in der weiteren Ausarbeitung nicht mehr trennen wollte, obwohl sie inzwischen zu unnützem Ballast verkommen ist. Der Twist in der Mitte des Buchs ist gut und überraschend, führt aber effektiv nirgendwo hin und lässt die ersten 100 Seiten noch sinnloser erscheinen, sobald man im Licht der neuen Informationen über sie nachdenkt.
Die kantigen Zeichnungen von Werther Dell'Edera sind adäquat, seine Darstellungen der Hölle und der Dämonen sogar sehr gefällig, aber das alleine reicht nicht aus, um den Titel aus der Mittelmäßigkeit herauszuholen. Weder wirklich spannend noch wirklich gruselig, weder Charakterstudie,noch Mediensatire, versucht Dark Entries von allem ein bisschen zu sein und ist am Ende weniger als die Summe der einzelnen Teile.
Das Vertigo-Crime-Format ist per se eine gute Idee, aber mit dieser Geschichte und dem gequälten Versuch, nicht zu offen zugeben zu wollen, dass es sich hier um Comics handelt, legt DC trotzdem einen klassischen Fehlstart hin.
Dark Entries: A John Constantine Novel
DC/Vertigo Crime, August 2009
Autor: Ian Rankin
Zeichner: Werther Dell'Edera
214 Seiten, s/w, HC; 19,99 US-Dollar
ISBN: 978-1-4012-1184-4
Abbildungen: © DC Comics