Es gibt eine Menge Mafia-Filme, von Der Pate über Donnie Brasco bis Mickey Blue Eyes oder gar Bullets over Broadway. Das Schöne an ihnen ist, dass sie alle mit Figuren arbeiten, die man bereits kennt: der Pate, der Anwalt, der Killer, die schöne Tochter des Paten etc. Schwarze Anzüge, schwarze Sonnenbrillen und schwarze Limos gehören zur Ausstattung der famiglia, und dem Paten ist das Pokerface wenn nicht angeboren, so doch antrainiert, oder, wie im Falle des Comics Tosca, chirurgisch ins Gesicht gepflanzt.
Tosca ist ein weiterer Mafia-Film, bin ich versucht zu sagen. Es ist zwar ein Comic mit allem, was dazu gehört – Bilder, Sprechblasen und ein wenig Onomatopöie -, aber beim Lesen hatte ich den Eindruck, Der Pate, Teil 7 oder 8, anzugucken. Die drei Alben lange Geschichte, die hier in einem Sammelband präsentiert wird, beginnt damit, dass ein Mann seinen Bruder rächt, der an einer Überdosis Drogen gestorben ist. Er erschießt auf der Straße zwei Drogendealer und wird dafür zum Tod verurteilt. Doch der DEA-Agent (U.S. Drug Enforcement Administration) Harvey Clegg inszeniert seinen scheinbaren Tod und rekrutiert ihn als Handlanger. Er wird operativ in den Patensohn John Tosca verwandelt, der mit seiner Familie gebrochen hat und als ordentlicher Student sein Leben verbringt. Der wahre John Tosca wird beseitigt und durch den falschen ersetzt, der sich bei seinem Vater meldet und ein Versöhnungstreffen vereinbart.
Doch bevor sich Vater und Sohn sehen, wird der Chef des Tosca-Clans ermordet. Der falsche John muss notgedrungen das Erbe antreten. Das ist keine leichte Aufgabe, da der fortschrittliche Paliacci-Clan mit neuen Methoden dabei ist, den Drogenmarkt komplett zu übernehmen. John Tosca bietet Paliacci die Zusammenarbeit und einen Deal an, den der fortschrittliche Pate auf ganz altmodische Weise besiegeln will: John soll seine Tochter Angelina heiraten. John ist mit diesem mittelalterlichen Vertragsabschluss einverstanden, zumal er Angelina bald kennen lernt und die beiden sich ineinander verlieben.
Das ruft allerdings Cicero, auch Carlo genannt, den Haus- und Hofkiller der Paliaccis, auf den Plan, den Geliebten Angelinas, der seinem Namenspatron aus der Renaissance, Carlo Gesualdo, nacheifert. Dieser ertappte seine Frau und ihren Liebhaber auf frischer Tat und erschlug sie. John Tosca sieht sich nun vielen Bedrohungen gleichzeitig ausgesetzt: Er muss den Attentaten Ciceros entgehen, und er muss die von ihm herbeigeführte Razzia bei den Paliaccis überleben, bei der ein Mega-Drogendeal aufgedeckt werden soll. Schlussendlich muss er dem Agenten Clegg entkommen, der ihn nach getaner Arbeit der Bequemlichkeit halber ausschalten möchte.
Wie schon gesagt, das liest sich alles ganz hervorragend, so, wie sich ein Pate-Film ansehen lässt. Das Ganze wird souverän und unaufgeregt erzählt, mit wohlgesetzten Spannungsbögen versehen, intelligente Dialoge, überzeugende Figuren, alles sehr tadellos – vorausgesetzt man mag das Genre, und vorausgesetzt, man ist bereit, sich altbekannte Figurenkonstellationen und Handlungsversatzstücke noch mal neu und ein wenig variiert vorsetzen zu lassen. Denn Tosca bietet in dieser Hinsicht zwar den ein oder anderen neuen Einfall, aber nichts Grundlegendes und auch nichts Umwerfendes. Oder anders gesagt: Die Geschichte ist spannend und unterhaltsam, obwohl man die einzelnen Elemente so oder so ähnlich schon kennt.
Ein großes Plus an der Sache ist eine feine Note unterschwelligen Humors. Die Autoren lassen hin und wieder durchblicken, dass das Ganze nicht so bierernst gemeint ist. Vor allem zeigt sich das in dem bösen Zynismus, der John und Angelina antreibt und ihre überschwängliche Liebe konterkariert, und der nicht ins Klischee der großen Mafia-Epen passt.
Francis Vallès macht seine Arbeit als Zeichner sehr gut, seine Hintergründe schaffen einen realistischen, detailfülligen Rahmen für die klar erzählte Handlung. Die Figuren sind ebenfalls sehr klar gezeichnet, ohne dabei steif zu wirken. Insgesamt strahlt die Optik eine erfrischende Eleganz aus, die den Eindruck, man würde einen Film gucken, unterstreicht. Was übrigens nicht heißt, dass der Comic in enervierendem Maße filmische Schnitttechniken zum Einsatz brächte.
Lobend muss auch die Kolorierung von Marie-Paule Alluard erwähnt werden, die zum eleganten Äußeren dieses Comics sehr erheblich beiträgt. Und die Aufmachung verdient ebenfalls ein Lob. Das relativ großformatige Hardcover (größer als die üblichen Softcoveralben; dasselbe Format, das die Alben des neuen Splitter Verlags haben) ist den Augen eine Freude. Die Autoren kriegen im Anhang jeweils ihre eigenen Personenakten des DEA, genau wie die Hauptfiguren auf dem Rückcover. Eine kleine Covergalerie am Ende vermittelt abschließend noch einmal die Atmosphäre, in der sich diese Geschichte abspielt: Schwarze Anzüge, schöne Patentöchter und geladene Pistolen – sexy.
Ein Punkt, den ich persönlich etwas mühsam finde, sei abschließend angemerkt: Dass der Killer Cicero die Geschichte seines Namenspatrons Carlo Gesualdo referiert, ist ja schön und gut. Aber was hat ein Renaissancemensch in einem Mafia-Comic zu suchen? Freilich, er ist berühmt, dieser Gesualdo, aber ist es zwingend, dass er zum tausendsten Mal wegen des Totschlags an Frau und Liebhaber herhalten muss? Und weiß überhaupt einer, dass die eigentliche Leistung dieses Menschen nicht Mord und Totschlag waren, sondern die fast modern anmutende Perfektionierung der so genannten Chromatischen Motette? Wer von den Tausend, die über seinen Inflagranti-Totschlag fabuliert haben, hat jemals eine Motette von Gesualdo gehört, ist sich dessen eigentlicher musikgeschichtlicher, künstlerischer Leistung bewusst geworden? Das ist so wie mit seinem Komponistenkollegen Jean Baptiste Lully: Keiner hat einen Ton seiner Werke gehört, aber jedermann weiß, dass er an einer Verletzung starb, die er sich mit seinem Dirigierstock aus Versehen zugefügt hatte. Damit muss man wohl leben: Sensationsgeilheit statt Kunstbeflissenheit. Was soll sich ein Mafia-Killer schon mit Chromatischen Motetten auseinander setzen?
Ich bin mir durchaus bewusst, dass diese Bemerkung vollkommen überflüssig war, aber ich hatte noch eine Scharte aus meiner Rezension zu Quintett 1 + 2 auszuwetzen, in der meine Lücken im Fach Instrumentenkunde so schmerzhaft zu Tage traten. Das ist hiermit überflüssigerweise geschehen.
Bleibt zu sagen, dass Tosca sehr zu empfehlen ist für all diejenigen, die gern mal einen Mafia-Film im Comic lesen möchten: Intelligent, spannend, witzig und schön aufgemacht.
Tosca Gesamtausgabe
Epsilon, Mai 2006
Text: Stephen Desberg
Zeichnungen: Francis Vallès
Kolorierung: Marie-Paule Alluard
144 Seiten, farbig, Hardcover; 30,- €
ISBN 3-932578-86-4
Bildquelle: epsilongrafix.de