Im Gegensatz zu Deutschland ist in Frankreich der Erste Weltkrieg das verbliebene große Trauma. Während sich in Deutschland der Krieg von 1914 bis 1918 in immer weiter weg gelegene historische Dimensionen begibt, ist in Frankreich der Krieg immer noch in den Köpfen präsent. In Deutschland ist es natürlich der Zweite Weltkrieg, was wenig verwunderlich ist angesichts dessen Schrecken und der enormen Schuld. Warum aber ist der Erste Weltkrieg für die Franzosen so sehr traumatisch, dass Kriegsabenteuer, oder besser Kriegsschilderungen, meistens auf diesen Krieg Bezug nehmen? Schämen sich die Franzosen, dass sie den Zweiten so schnell verloren haben und der Kollaboration des Vichy-Regimes mit den Deutschen, so dass die Resistance im Nachhinein fast schon zu mythologischen Helden stilisiert wurden? Es geht wohl eher darum, dass der Krieg hauptsächlich auf französischem und belgischem Boden ausgetragen worden ist und somit die Erlebnisse viel mehr im kollektiven Gedächtnis behalten wurden, als der Zweite Weltkrieg. Das mag eine mögliche Erklärung sein, was hier aber nicht ganz ausgeführt werden kann.
Es ist jedenfalls auffällig, dass viele Comiczeichner, allen voran Jaques Tardi, immer wieder den „Großen Krieg“ aufgreifen, der das Ende einer ganzen Epoche besiegelte. Auch Mounier, Cothias und Ordas kehren mit ihrer neuen Serie Ambulanz 13 in den Ersten Weltkrieg zurück, um von einem jungen Mann zu erzählen, der zwischen Pflicht, Ehre, Kameradschaft, Unfähigkeit und Arroganz zerrissen zu werden droht. Die Kulisse der Schützengräben eignet sich hervorragend für eine Studie im Miniformat, welche die gesellschaftlichen Zustände der damaligen Zeit betrachten kann. Louis-Charles Bouteloup ist der Sohn eines bekannten Arztes und Abgeordneten, der sich durch einen starken Konservatismus auszeichnet. Er kommt als junger Sanitätsoffizier an die Front, wo er die Verwundeten bergen und versorgen soll. Schon in seiner ersten Zeit sieht er sich eingezwängt zwischen den einfachen Soldaten, die ihm nicht trauen, auch weil er der Sohn seines Vaters ist, und den Offizieren, die ihm misstrauen, weil er seinem bekannten Vater nicht nacheifern will. Somit ist der Held zwischen allen möglichen Lagern eingezwängt. In den Schützengräben lernt Bouteloup die unterschiedlichsten Menschen und ihre Charakteristika kennen.
Es ist sehr geschickt, dass das Autorenteam Cothias und Ordas einen Sanitätsoffizier als Helden gewählt hat. Seine Stellung als Offizier erlaubt es ihnen, alle Hierarchien der Armee und deren unterschiedliche Haltungen aufzuzeigen. Zudem ist der Held nicht direkt an Kampfhandlungen beteiligt, was ins Auge hätte gehen können. Denn Anti-Kriegs-Filme müssen sich stets auch Action und Gewalt bedienen, um abschrecken zu können. Der Grat zwischen beeindruckenden Effektgewittern und Kritik kann aber schnell verrutschen und den Krieg, unbeabsichtigt, als Abenteuer verklären. Wir waren Helden mit Mel Gibson ist so ein Grenzfall, der zwar durch die gezeigte Härte und Grausamkeit des Krieges den Zuschauer abschreckt, aber dennoch die Tapferkeit und den Mut der Soldaten angesichts eben dieser Gräuel preist. Ein Grenzfall, der in Ambulanz 13 nicht überschritten werden kann, da der Held als Arzt immer nur die schrecklichen Folgen der Kampfhandlungen sieht, wenn alle Tapferkeit und Mut und Ehre zerfetzt auf den Feldern liegen.
Patriotismus und Militarismus kann da wenig aufkommen. Das macht den Band auch so spannend, man fühlt sich bisweilen sogar an einen der besten Filme zum Thema erinnert: Wege zum Ruhm (Paths of Glory) von Stanley Kubrick. Ob die Comicserie da heranreichen wird, werden die nächsten Bände zeigen. Zudem ist der Held als Sanitäter nicht einem bestimmten Bereich (wie etwa der Luftwaffe) zugeteilt und kann so ein breiteres Spektrum von verschiedenen Etappen und Heeresabteilungen abdecken, was einen größeren Blickwinkel erlaubt. Er kann potentiell auf mehr unterschiedliche Figuren treffen als ein Soldat, der meist auf die Personen in seiner Einheit beschränkt ist. Somit können auch mehr Geschichten erzählt werden. Der Schrecken des Krieges kann also in einem großen Panorama entfaltet werden, was in den Folgebänden hoffentlich geschehen wird, ohne durch allzu viel Action zwiespältig zu werden.
Die Zeichnungen sind dabei grundsolide, werden allerdings manchmal von zu viel Off-Kommentar begleitet. Dieser bietet aber gute Inneneinsichten und Psychologisierungen, was wieder mehr erhellt als vernebelt. Ein vielversprechender Serienauftakt, der auch solche Leser ansprechen könnte, die ansonsten um Kriegserzählungen einen großen Bogen machen.
Wertung:
Geschickt konstruierte Geschichte, die es erlaubt, vielfältigste Aspekte des Ersten Weltkrieges abseits von Action zu erzählen.
Ambulanz 13 1 – Das blutrote Kreuz
comicplus+, Juni 2012
Text: Patrick Cothias, Patrice Ordas
Zeichnungen: Alain Mounier
Übersetzung: Eckart Sackmann
48 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 15,00 Euro
ISBN: 978-3-89474-226-3
Abbildung aus der französischen Originalausgabe, © Grand Angle