Messe- und Ausstellungsberichte

Erlangen-Tagebuch, Tag 1: Feels like homecoming

Alle zwei Jahre bildet der Comic-Salon Erlangen für vier Tage den Nabel der Comicwelt. Wir sind natürlich auch dort und präsentieren an unserem Stand die neueste Ausgabe des Comicgate-Printmagazins zum Thema „Farbe“. Von dem, was sonst so passiert, berichten wir in diesem Messetagebuch: Im täglichen Wechsel schreiben CG-Redakteure über den vergangenen Tag, aus ihrer persönlichen, subjektiven Sicht und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Heute: Thomas Kögel über den ersten Tag, Donnerstag, 19. Juni
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Comic-Messe in der Heinrich-Lades-Halle

Wenn man den Comic-Salon schon mehrmals besucht hat, fühlt sich die Ankunft in in Erlangen ein wenig wie Nachhausekommen ein. In der Heinrich-Lades-Halle, wo große, kleine und ganz kleine Verlage an zahllosen Ständen ihre Neuheiten anbieten, sind vormittags noch keine Besucher. Bevor die Tore geöffnet werden, wird noch am Aufbau der Stände und der Präsentation der Comics gewerkelt. Vertraute Umgebung, vertraute Gesichter, das Festival ist auch ein Klassentreffen der übers ganze Land verstreuten Szene. Viele davon treffen sich nur ein- oder zweimal im Jahr, entsprechend freut man sich übers Wiedersehen.

Das erste Highlight aus Comicgate-Sicht: Unboxing! Das druckfrische Printmagazin, in das in den Wochen und Monaten vor dem Salon sehr viel Arbeit investiert wurde, ist da, und alle die mitgemacht haben, wollen das Ergebnis sehen, fühlen und riechen. Gedrucktes als haptisches Erlebnis, immer wieder faszinierend.

Der Egmont Verlag hat unter anderem Ed Piskor eingeladen, einen der wenigen amerikanischen Gäste in diesem Jahr. Der junge Zeichner kommt aus einem Independent- und Underground-Umfeld und hat mit seinen Comics Wizzywig über die Hackerszene der 1980er Jahre und Hip Hop Family Tree über die Anfänge der Hip-Hop-Szene ein großes Publikum außerhalb der klassischen Comicleserschaft gefunden. In Deutschland ist er bislang noch nicht sehr bekannt, beide Arbeiten sind gerade erst auf Deutsch erschienen. Umso interessanter ist es für mich, Ed für eine dreiviertel Stunde zum Interview treffen zu können.

Im Gespräch zeigt sich ein sehr lässiger und entspannter, sehr von sich und seiner Arbeit überzeugter junger Künstler, der klare Meinungen vertritt und kein Blatt vor den Mund nimmt. Das Interview macht mir großen Spaß (und ihm auch, glaube ich). Leider muss ich anschließend feststellen, dass meine Aufnahme-App den Dienst verweigert und gerade mal 5 Sekunden unseres Gesprächs aufgezeichnet hat. Ich fluche (laut), Ed grinst nur süffisant und meint sinngemäß: „Na dann viel Spaß beim Aufschreiben aus dem Gedächtnis.“ Na gut, dann weiß ich auch, was ich die nächste Stunde zu tun habe …

Am Abend steigt die Verleihung des ICOM Independent Comic Preis, der in diesem Jahr zum 20. Mal vergeben wird. Die Preisverleihung läuft in der bewährten, manchmal etwas chaotischen, aber immer sehr charmanten Manier ab. Das Publikum besteht zum größten Teil aus Leuten, die selbst schon mal einen der ICOM-Preise gewonnen haben oder die ihn irgendwann einmal gewinnen wollen. Die Comicfamilie klopft sich hier ein wenig selbst auf die Schulter. Eine Auszeichnung von der Jury des ICOM (Interessenverband Comic e.V.), deren Mitglieder alle selbst schon lange Teil der Comcszene sind, ist eine Anerkennung aus der Szene selbst. Dass diese Anerkennung etwas wert ist, zeigt sich an der ehrlichen Freude der Preisträger, die sich nicht nur deshalb freuen, weil sie vom ICOM-Vorsitzenden Burkhard Ihme direkt auf der Bühne grüne Scheine ausgehändigt bekommen.

Sebastian Stamm, Zeichner und Autor von Lescheks Flug, der als „Bester Independentcomic“ ausgezeichnet wurde, ist leider nicht anwesend. Für ihn nimmt Rotopolpress-Verleger Michael Meier den Preis entgegen, der zuvor schon zweimal die Bühne betreten hatte, denn mit Pimo und Rex von Thomas Wellmann (Bestes Artwork) und der „Lobenden Erwähnungen“ für Heimdall von Max Baitinger wurden zwei weitere Comics aus seinem Verlag gewürdigt.

Der „Sonderpreis der Jury für eine besondere Leistung oder Publikation“ ging an Sarah Burrini, die mit ihrem Webcomic Das Leben ist kein Ponyhof eine Pionierrolle in der einheimischen Webcomic-Szene spielt. Ironischerweise kommt die hochverdiente Auszeichnung für ihre Rolle als „Vorreiterin, Vorbild und Netzwerkerin“ (Zitat aus der Laudatio) just in der gleichen Woche, in der sie ihrem Webcomic für einige Monate eine Kreativpause verordnet hat.

Jurymitglied Harald Havas betonte in einem abschließenden Appell die enorme Bandbreite und zeichnerische Qualität und Vielfalt, die der deutschsprachige Indie-Comic mittlerweile hat. Zusätzlich wies er aber darauf hin, dass die Geschichten oft nicht so interessant oder so gut erzählt sind, wie sie sein könnten. Havas empfahl einen Blick ins Ausland, wo sich viel öfter Zeichner und Autoren die Arbeit teilen, als es hierzuande der Fall ist.

Ein Preis für ein „Herausragendes Szenario“ war aber trotzdem drin: Der ging an Andreas Eikenroth für Die Schönheit der Chance des Scheiterns, eine Alltagsgeschichte mit lebensnahen Figuren. Das sei die Art von Comics, die er lesen wolle, sagte Eikenroth, das hier sei ausdrücklich keine Graphic Novel, denn diese bestünden ja ohnehin nur aus Krieg, Krankheit oder Literaturadaptionen.

Alle Preisträger und die Laudationes dazu findet man auf der ICOM-Website. Zusätzlich wurde auch noch das „Lebensfenster“ verliehen, der „Kurt-Schalker-Preis für graphisches Blogen“. Den Preis bekam Domink Wendland für seinen Webcomic Pete’s Daily.

ICOM-Preisträger 2014

Gruppenbild der ICOM-Preisträger 2014

Der Abend klingt aus im Café des Erlanger Manhattan-Kinos, dessen Wände mit einer hübschen Ausstellung bestückt sind, die Christian Schmiedbauer alias Landrömer zusammengestellt hat. Unter dem Motto „Musik für die Augen“ lud er befreundete Zeichnerinnen und Zeichner ein, Lieblingssongs als Kurzcomic oder Illustration in Bilder zu fassen. Neben jedem Bild hängt ein QR-Code, über den man sich das jeweilige Lied zum Anhören aufs persönliche Endgerät laden kann. Am gestrigen Abend ging diese Option in der allgemeinen Kneipengeräuschkulisse und Bierdunst unter, aber für einen ruhigen Moment in den kommenden Tagen (falls so einer kommen sollte) könnte das eine gute Idee sein.

Fotos: Björn Wederhake, Thomas Kögel