Welt am Draht

52 mal berührt: Animal Man #1

DC Comics startet sein komplettes Superhelden-Universum neu. COMICGATE trifft sich zum Speed-Dating mit den Erstausgaben aller 52 Serien. Wird es dabei zu heißen Spätsommer-Flirts kommen? Zu wilden Schlabberzungenküssen? Oder bleibt es doch eher beim Austausch lauer Unverbindlichkeiten? Hier ist alles drin, Freunde der Sonne. Folge 12 von 52: ANIMAL MAN #1 von Jeff Lemire und Travel Foreman.

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MARC-OLIVER: Lemires Story greift die Figur ungefähr da auf, wo Grant Morrison sie 1990 verlassen hat: Buddy Baker und seiner Familie geht’s gut, alles ist okay, ein aufstrebender Independent-Regisseur will mit Buddy wegen seines allseits bekannten Alter egos Animal Man sogar einen Film drehen. Friede, Freude, Eierkuchen also? Nun ja: fast. Denn während Morrisons Geschichte damit endete, dass Buddy aus einem bösen „Traum“ erwachte und so vom Autor höchstselbst unverhofft und rein aus Prinzip seine heile Welt zurückerhielt, wird diese heile Welt hier von einem neuen Alptraum heimgesucht, der sich von der ersten Seite an langsam heranpirscht – kaum merklich zwischen den Zeilen eines Interviews mit dem Helden zunächst, ehe er schließlich wie ein Krebsgeschwür in die Realität hereinbricht.

Worauf Lemire & Co. hinauswollen, ist noch nicht ersichtlich, aber die erzählerische Trittsicherheit der Geschichte lässt zumindest vermuten, dass sie es selbst genau wissen. Man hat das Gefühl, dass alles an seinem Platz ist, nichts zufällig passiert und die Geschichte sich auf mehr als nur einer Ebene entwickelt. Die Zeichnungen von Travel Foreman finde ich dabei ganz große Klasse – der Mann hat einen Quantensprung gemacht, seit ich seiner Arbeit zum letzten Mal begegnet bin. Er beherrscht alltägliche Familienszenen in der Küche genauso wie verstörende Horror-Phantasmagorien: Die Seitenaufteilung, der selbstbewusste Einsatz leerer Flächen, das variable stilistische Spiel und der gekonnte Umgang mit Licht und Schatten sind schlichtweg ein Riesenspaß. Auch Altmeister Dan Green, der Foreman bei den Tuschezeichnungen unterstützt, und Kolorist Lovern Kindzierski kann man uneingeschränkt bescheinigen, einen erstklassigen Job gemacht zu haben.

Punktabzug gibt’s dafür, dass handlungstechnisch noch nichts allzu Spektakuläres passiert und die Nebenfiguren etwas blass bleiben. Trotzdem kann man sich hier zurücklehnen und die Arbeit eines Kreativ-Teams genießen, das auf einem ungewöhnlich hohen Niveau mit Bedacht seine Fäden spinnt.

ZOOM-FAKTOR: 8 von 10!


 

BJÖRN: Man kann über Jeff Lemire sagen was man will, aber der Kerl hat Cojones aus Kruppstahl. Eine Erstausgabe mit einer vollen Seite Fließtext zu starten? Das ist gewagt. Ich bin mir nur nicht sicher, ob es auch eine gute Wahl ist oder potentielle Leser direkt abschreckt, gerade in Kombination mit den Zeichnungen von Travel Foreman, die zwar sehr gekonnt und wirklich toll sind, aber eben nicht das, was der Ed Benes schätzende Joe Sixpack als gute Zeichnungen ansieht. Foremans Stil erinnert mich an Peter Chung, dessen Aeon Flux ich Bekannten nie nahe bringen konnte, weil sie die Figuren so „hässlich“ fanden. Das soll keine Kritik an Foreman sein, ich frage mich nur, wie viele potentielle Leser der Textblock in Kombination mit den eigenwilligen Zeichnungen direkt verschreckt.

Im Rahmen der Geschichte funktioniert der Textblock: Ja, es ist ein harter Einstieg, aber er erlaubt auf glaubwürdige Weise die Figur, ihren Hintergrund, ihre Gedanken und Beweggründe vorzustellen, ohne damit die folgende Erzählung unnötig zu belasten. Danach stellt Lemire den neuen Status quo, das Familienleben des Helden, seine Beweggründe, ein Superheld zu sein, seine Kräfte und sein Ansehen in der Öffentlichkeit fachkompetent ohne Probleme oder Stolpersteine vor, ehe er in der zweiten Hälfte des Heftes seiner Geschichte den Kickstart verpasst.

Und da glänzt dann Foreman: Die Seite mit den blutenden Augen ist schon verstörend, aber die Alptraumsequenz am Ende und das Design der Monster in besagtem Alptraum sind so richtig umwerfend. Das sind ein paar der besten, aufwühlendsten Seiten, die ich dieses Jahr in Comics egal welcher Art gesehen habe. Und der Cliffhanger hat mich auch gepackt, ohne dabei auf billige Schockeffekte setzen zu müssen, wie es in einigen anderen Heften der Fall war.

Das hier mutet an wie der Start einer richtig guten Vertigo-Serie, in der Zeichner und Autor voll auf einer Wellenlänge liegen. Dieser Superheldenhorror wirkt so frisch an, dass er sofort einen Platz an der Spitze der Neustarts einnimmt. Jetzt hoffe ich nur, dass die Serie auch die Leserzahl findet, die sie verdient hat.

ZOOM-FAKTOR: 9 von 10!


 

Bereits im Juni hatte COMICGATE alle 52 neuen DC-Serien vorurteilslos begutachtet und eingeordnet: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.

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