Rezensionen

Waisen 1-3

waisenaBei der ersten Ankündigung von Waisen hatte ich die Serie von Cross Cult noch gar nicht auf der Rechnung. Wohl in erster Linie deshalb, weil es sich um eine italienischen Sci-Fi-Comic handelt (was einem nicht so oft unterkommt), die ersten Bilder wenig spektakulär erschienen und die Veröffentlichung der Bände in relativer kurzen Abständen erfolgt. Das alles zusammengenommen lässt auf Anhieb eher durchschnittliche Standardware als ein großes Meisterwerk erwarten.

Nun ist es nicht so, dass mein erster Eindruck völlig irreführend war; aber nach der Lektüre der ersten drei Bände (welche die Hälfte des ersten Zyklus repräsentieren) muss ich zugestehen, dass dem italienischen Kreativteam hier ein durchdachtes und höchst unterhaltsames Projekt gelungen ist.

Bei Waisen handelt es sich um die erste komplett in Farbe gehaltene Reihe von Bonelli (dem ursprünglichen italienischen Verlag). Monatlich erscheint dort ein 100 Seiten starker Band. Analog dazu präsentiert Cross Cult zweimonatlich eine deutsche Ausgabe mit doppeltem Umfang. Und dieses Prinzip der schnellen Veröffentlichung tut dem Projekt richtig gut.

Recht früh bemerkt man als Leser, dass die Macher ein klares Ziel abgesteckt haben. Die Kapitel sind so clever aufgebaut, dass sie (immer auf mindestens zwei Zeitebenen spielend) komplex und spannend genug, aber nicht zu überfordernd sind. So liest sich Waisen als eine bekömmliche Aneinanderreihung von kurzen Happen, die man schnell goutiert hat, von denen man aber aufgrund einiger Geheimnisse und fieser Cliffhanger nicht genug bekommen kann. Ein gewisses Suchtpotential kann man der Serie, spätestens nachdem man ein bis zwei Ausgaben gelesen hat, jedenfalls nicht absprechen.

waisenbJeder Originalband wird dabei von einem anderen italienischen Zeichner bearbeitet. So richtig augenfällig ändert sich der Stil jedoch nie. Er bleibt über alle Kapitel hinweg gefällig, aber unaufgeregt. Auch die Story ist nicht gerade das Ei des Kolumbus, sondern zeigt sich als ein aufgewärmter Hybrid aus Starship Troopers und Ender’s Game: Ein Teil der Menschheit wird durch Aliens vernichtet. Daraufhin werden Kinder rekrutiert und zu Elitesoldaten ausgebildet. Als Erwachsene sollen sie dann den Heimatplaneten der Aliens angreifen.

Was die Serie trotz des wenig innovativen Plots und der kaum spektakulären Grafik dennoch so faszinierend macht, ist die Atmosphäre, die dieser Comic in fast einzigartiger Weise zu erzeugen weiß. Die Vergangenheit der Soldaten (insbesondere einer kleinen Gruppe, die sich „Waisen“ nennt) wird erst nach und nach durch Rückblenden beleuchtet. Diese emotionale Bindung, die sich dem Leser hierbei auftut, wird von einem rasant durchlaufenen Bedrohungsszenario untermalt. Was dem Comic im Allgemeinen an Tiefgang und phasenweise an Textpassagen fehlt, macht er mit einer einfachen Panelstruktur wett, die Raum bietet für dynamische Actionssequenzen, die vor demonstrativer Coolness nur so strotzen. Das ist, in Anlehnung an den Aufbau klassischer Mangas, kompositorisch das Blockbuster-Momentum in einen kleinen Rahmen versetzt.

Waisen ist ein kreatives Projekt, das mehr ist waisencals die Summe seiner, oberflächlich gesehen, mäßigen Einzelteile: nämlich eine durchdachte Geschichte, die einen zunehmend in seinen Bann zieht, je mehr man davon liest. Und letzten Endes freundet man sich auch mit den Zeichnungen an, welche die erzeugte Atmosphäre in all ihrer Klarheit eigentlich dann doch überzeugend transportieren. Und die ein oder andere abweichende Nuance im individuellen Stil der Zeichner entdeckt man auf den zweiten und dritten Blick doch noch.

Ärgerlich ist allerdings, dass Cross Cult im zweiten Band sieben Seiten an der falschen Stelle platziert hat. Der Fehler lag an einer falschen Druckvorlage aus Italien. Zum Glück fällt der Fehler beim Lesen gar nicht unbedingt auf, da durch die Verwechslung lediglich eine Rückblende zerstückelt und in Einzelteilen wiedergegeben wurde. Man verdirbt sich also den Lesespaß nicht merklich.

 

Wertung: wertung8

Starkes Projekt aus Italien, dem man unbedingt eine Chance geben sollte

 

Waisen 1-3
Cross Cult, 2014
Text: Roberto Recchioni
Zeichnungen: Emiliano Mammucari, Alessandro Bignamini u.a.
Übersetzung: Monja Reichert
je 208 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 16,80 Euro
ISBN: 978-3-86425-390-4  (Band 1)
ISBN: 978-3-86425-391-1  (Band 2)
ISBN: 978-3-86425-392-8  (Band 3)

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Abbildungen ©  der dt. Ausgabe: Cross Cult