Rezensionen

Mutter Krieg

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Cover Mutter KriegAnlässlich des 100. Jahrestags des Beginns des Ersten Weltkriegs ist die Thematik um die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts gerade in aller Munde. Zahlreiche Publikationen und Berichte arbeiteten die Geschichte in den vergangenen Monaten auf. Bereits einige Jahre zuvor startete das Kreativduo Kris (i.e. Christophe Goret) und Maël (i.e. Martin Leclerc) die vierteilige Comicreihe Mutter Krieg, die als offizieller französischer Comic für die Hundertjahrfeiern diente.

Das Ergebnis, welches Splitter rechtzeitig 2014 in einem Sammelband in deutscher Sprache vorgelegt hat, ist demzufolge auch ein schonungsloser Blick auf das Kriegsgeschehen aus der Sicht Frankreichs (das diese Thematik traditionell ausführlicher und emotionaler behandelt, als es Deutschland beispielsweise tut).

Die Handlung startet im Jahr 1935 im kleinen Dorf Soulac. Der todkranke Roland Vialatte, ehemals Offizier in der französischen Gendarmerie, erinnert sich an seinen speziellen Kriegseinsatz. Damals, 1915, ermittelte er direkt an der Westfront in einer mysteriösen Mordserie. Eine Reihe von Frauen wurde umgebracht und in Schützengräben, zusammen mit einem vom Mörder verfassten Abschiedsbrief, abgelegt. Erst nach und nach ergibt sich für Vialatte ein genaueres Bild vom Motiv der Taten und von der Identität des Täters. Währenddessen toben unerbitterlich die Gefechte der Soldaten, die die Grausamkeit der Morde zeitweilig in den Hintergrund rücken lassen.

Der Versuch von Szenarist Kris, vor der Kulisse dieses authentischen Weltkriegsdramas eine Kriminalgeschichte ablaufen zu lassen, ist sicherlich zwiespältig zu sehen: Einerseits gelingt es dem Autor, mit dem sympathischen Offizier, der sich mitten im Krieg zwar in den Schützengräben aufhält, aber selbst nicht an den Kampfhandlungen beteiligt ist, einen Außenstehenden als Hauptfigur zu etablieren – einen Besucher gewissermaßen, der den Alltag an der Front stellvertretend für den Leser unmittelbar erlebt. Andererseits sind Vialattes Ermittlungen nur mäßig spannend und nehmen angesichts des eigentlich wesentlich interessanteren Kriegsgeschehens einen zu großen Stellenwert in diesem Comic ein.

Seite aus Mutter KriegIn dieser Hinsicht zeigt sich der Vorteil der deutschen Gesamtausgabe deutlich. Die Story um die Morde wäre allein nicht unbedingt Grund genug, freudig auf Fortsetzungen in Einzelalben zu warten. Durch die Veröffentlichung als Komplettband liest sich die Erzählung kompakter und das allgemeine Zeitgeschehen, das in Mutter Krieg größtenteils sehr gut verwirklicht wurde, lässt sich als Ganzes besser erfassen.

Sofern man bei einem Comic über den Ersten Weltkrieg von „wunderschönen Bildern“ sprechen möchte, so ließe sich dieses Prädikat auf diese Publikation sicherlich mühelos anwenden. Allgemein gesprochen ist Maël ein wirklich talentierter Zeichner. In Bezug auf die in diesem Album vorzufindende Grafik, bei der erdige Aquarelltöne die flüchtigen Tuschelinien ausfüllen, muss man sagen, dass seine Arbeit einen Großteil zum positiven Gesamteindruck dieses Comics beiträgt. Eine so einnehmende Atmosphäre, eine so authentische Kulisse zu diesem Thema hat man in dieser Form bislang selten zu Gesicht bekommen.

Je überzeugender die Zeichnungen die Stimmung aus den Schützengräben unmittelbar auf den Beobachter übertragen, desto deutlicher offenbart sich im Gegenzug das Grauen des Ersten Weltkriegs. Insofern leistet dieses Werk durchaus einen zeitgeschichtlichen Beitrag zur Aufbereitung und Wissensvermittlung des historischen Stoffes.

 

Wertung: 8 von 10 Punkten

Eine lohnende Lektüre, die vor allem optisch beeindruckt und schonungslos authentisch ist 

 

Mutter Krieg
Splitter Verlag, Mai 2014
Text: Kris
Zeichnungen: Maël
Übersetzung: Marcel Küsters
256 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 39,80 Euro
ISBN: 978-3-86869-757-5
Leseprobe

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Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Splitter Verlag