Messe- und Ausstellungsberichte

Erlangen-Tagebuch, Tag 3: Don’t Say the G-Word

Alle zwei Jahre bildet der Comic-Salon Erlangen für vier Tage den Nabel der Comicwelt. Wir sind natürlich auch dort und präsentieren an unserem Stand die neueste Ausgabe des Comicgate-Printmagazins zum Thema „Farbe“. Von dem, was sonst so passiert, berichten wir in diesem Messetagebuch: Im täglichen Wechsel schreiben CG-Redakteure über den vergangenen Tag, aus ihrer persönlichen, subjektiven Sicht und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Heute: Björn Wederhake über den dritten Tag, Samstag, 20. Juni

(Tag 1Tag 4)

 

Eine gute Vorbereitung ist alles. Um in den Tag, für den man zum Schreibdienst eingeteilt wurde, möglichst frisch und wach zu starten, bieten sich mehrere kurze Powernaps im Traditionslokal der Comicszene, dem Schwarzen Ritter, an. Gerne auch, während man gerade im Gespräch versucht, den vorhandenen Comicmachern ihre Geheimisse zu entlocken. Vorteil dabei auch: Die Eingeborenen des Schwarzen Ritters, die auch während der Messe ihr Stammlokal nicht räumen und die zunehmend die Berührungsängste mit der Szene verlieren, können einen nicht spontan mit Überraschungstest zur lokalen Geographie überfallen. („Wenn du hier bist, dann musst du aber schon wissen, in welchem Teil von Franken du bist. In welchem Teil bist du? Was ist die Hauptstadt von Unterfranken? Oberfranken? Mittelfranken?“)
 
Am folgenden Morgen dann beim Comicgate-Redaktionsfrühstück, dem Äquivalent zum Internationalen Frühschoppen, ein intensiver Austausch über die nahe Zukunft, namentlich das Comicfest München 2015 und die drängenden Fragen der Organisation, der räumlichen Aufteilung und der Pressearbeit. Jedes noch so heiße Eisen wird gnadenlos angepackt, da wird im Alleingang von den fünf anwesenden Herren entschieden, dass die „nur von Frauen“-Politik der SPRING damals eine gute Sache war, heute aber nicht mehr so wichtig ist, weil im Comicbereich ja doch schon einige Frauen nahe der Schaltstellen der Macht sitzen. Der weibliche Teil der Chefredaktion ist derweil in der Messehalle und muss den Stand aufbauen. So geht weltoffene Genderdiskussion, wir sind auch für Paneldiskussionen zu haben.
 
 
AUSSTELLUNGEN
 
Was ich mir, in der Heinrich-Lades-Halle angekommen, zuerst anschaue, ist die Ausstellung zum Thema Krieg, Tardi, Comics und Kriegscomics von Tardi. Immerhin ist es ein Jahr der Jubiläen. 30 Jahre Internationaler Comic-Salon, 25 Jahre Belgisches Comic-Zentrum, 100 Jahre Tove Jansson (weshalb der Salon als Experten ihren Sohn Klaus eingeladen hat) und, wie die Alfonz ganz stilsicher auf der Titelseite feststellt, eben auch „100 Jahre Erster Weltkrieg“.
 
Als jemand der Tardis Grabenkrieg (mit großer Begeisterung für das Werk) gelesen hat, ist für mich der erste Teil der Ausstellung der faszinierendere, denn hier werden Originale verschiedener Zeichner aus der Zeit des Ersten Weltkriegs präsentiert, während der Tardi-Part in weiten Teilen aus Originalseiten aus Grabenkrieg besteht, die – der guten Qualität und Formatierung der Ausgaben geschuldet – im Original nicht viel mehr Erkenntnis bieten als in der Reproduktion. Am Beginn der Ausstellung aber eben zunächst kein Tardi, sondern die zeitgenössischen Künstler. Und hier nicht nur der Allgegenwärtige Otto Dix, sondern auch in Deutschland weniger bekannte Namen wie Pierre Falké oder Charles Matin oder Sammelbände des Simplicissimus (jener satirischen Publikation, die sowohl 1914 als auch 1933 bewies, dass Satire immer dann weiß ihr Fähnchen in den Wind zu hängen, wenn Satire gegen die Mächtigen wichtig wäre). All das thematisch angemessen und gelungen umgesetzt zwischen hohen Wänden, auf engen Gängen, die dem Betrachter das Gefühl bieten, gerade selbst den Graben zu durchlaufen.
 
Highlight dabei sind für mich die Zeichnungen eines Gus Bofa, von dem ich, so muss ich gestehen, bis zum gestrigen Tagen nichts, aber auch gar nichts wusste und der schon im zweiten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts einen so umwerfend comichaften Strich beherrschte, eine so fluide Linienführung, so ausdrucksstarke und dabei doch abstrakte Gesichter, dass ich mich stellenweise an Eisner erinnert fühle. Auch Tardi scheint, einem ausgehängten Cartoon folgend, nicht zu knapp von Bofa beeinflusst worden zu sein. Dem Umstand nach, dass Bofa keinen deutschen oder englischen Wikipedia-Artikel zu haben scheint, dürfte ich nicht alleine sein mit meiner bisherigen Unwissenheit. Es kommt nicht oft vor, dass meine persönliche „Neuentdeckung“ des Comicsalons seit fast 50 Jahren tot ist.
 
Die ausgestellten Zeichnungen überwältigen in ihrer Masse fast den Betrachter, was bei dieser Thematik, bei der Vorstellung der Schlachtfelder, ein willkommener Effekt ist. Kurze Momente der Verwirrung wenn ohne erkennbaren Übergang nicht mehr nach Künstler, sondern nach Oberbegriff präsentiert wird, verschwinden schnell, da Dix, Bofa et al. in ihren Stilen so individuell sind, dass man bald auch ohne Blick auf die Beschilderung weiß, was von wem stammt. Bedauerlich ist nur die teils schwache Ausleuchtung, wohl der Anfälligkeit der Originale geschuldet und der Fakt, dass man entschied, den Bogen in die Gegenwart zu schlagen, das aber so lieblos getan hat, das ein völliger Verzicht fast konsequenter gewesen wäre. Zum Thema der Umsetzung von Krieg im modernen Comic gibt es auf iPads Seitenausschnitte aus Comics von Ennis, Pratt, Kubert, Kanigher und dutzenden mehr, die aber völlig kontextlos als wirres Konvolut dem Leser nichts sagen. Pro-Krieg? Anti-Krieg? Seitenblick? Kern des Werkes?
 
Hier findet sich dann auch bei der Tardi-Ausstellung eine Leerstelle: Tardis Werk wird durch die Front- und Heimatfrontkünstler zu Beginn der Ausstellung klar in einen historischen Zusammenhang gestellt, Tardis eigener Einfluss auf weitere Künstler, seine Epigonen oder andere Künstler, die sich mit diesem Sujet beschäftigen, werden aber nicht bedacht. Das erscheint ein besonders offensichtlicher Malus, bedenkt man, dass ein Joe Sacco ebenfalls Gast des Comic-Salons ist und gerade selbst ein Werk zum Ersten Weltkrieg vorgelegt hat. Eine, wenn auch nur knappe, Betrachtung von Saccos Werk im Anschluss an die Tardi-Ausstellung wäre sicher sinnvoller als die SPRING-Ausstellung, die direkt an den Tardi-Teil anschließt und kaum aufnehmbar ist, nachdem man sich gerade durch die visuelle Wucht der Darstellung der französischen Schlachtfelder gearbeitet hat. Wie der Kollege Völlinger zu recht feststellte: „Ich kann das gerade nicht aufnehmen, ich werde der Sache nicht gerecht.“
 
Natürlich ist eine spätere Rückkehr möglich, aber der Bruch zwischen den beiden Themenfeldern ist schon massiv. Für den Hausgebrauch kann man sich Tardis Grabenkrieg und die aktuelle Ausgabe von SPRING zulegen und versuchen, beides in direkter Folge zu lesen.
 

In der Ausstellung Jacques Tardi und der Erste Weltkrieg

In der Ausstellung „Jacques Tardi und der Erste Weltkrieg“

 
Der Tardi-Teil der Ausstellung überzeugt als visuelles Konzept: Die Originalseiten befinden sich in bunkerartigen Papp-Gebäuden, mit Schießscharten, durch die man andere Panelreproduktionen betrachten kann, mit der ausgeschnittenen Silhouette eines Frontsoldaten und mit ebenfalls mit einem spannenden Effekt der Verwirrung, der auch zum Thema passt. In welchem Bunker waren wir schon, wo müssen wir weiter. Es kommt selten vor, dass unklare Führung einer Ausstellung zu Gute kommt, hier unterstreicht sie die Thematik. Wünschenswert wären Übersetzungen der Texte der Originalseiten gewesen – über den Originalen wäre genug Raum dafür – damit auch diejenigen folgen können, die weder französisch sprechen noch den Comic kennen.
 
Die präsentierten Texte geben einen technischen Einblick in verschiedene Bereiche des Weltkriegs, die Gräben, die Frauen in der Heimat, die aus Kriegsmaterial geschaffene Frontkunst, die für eine grobe Einordnung wichtig sind und, wie Kollege Kögel zu Recht bemerkte, gerade für die jungen Besucher hilfreich sind, denen der Erste Weltkrieg bisher fast völlig fremd ist. An verschiedenen Stellen empfinde ich den technischen Fokus aber schlicht verfehlt. Eine der wirkmächtigsten Sequenzen aus Grabenkrieg – ein belgisches Dorf, dessen Einwohner die Deutschen als lebenden Schutzschild verwenden, wovon sich die Franzosen aber nicht abhalten lassen – wird als Aufhänger einer Betrachtung über die Pickelhaube genutzt. Zumindest an einigen Stellen hätte man sich hier auch in der Kontextualisierung dem menschlichen Elend zuwenden können, das Tardi auf seinen Seiten zeigt.
Zu den „Only in Erlangen“-Momenten gehört es auch, dass durch eine Ausstellung über den Fleischwolf Westfront Cosplayer in Militäruniformen, mit Stahlhelmen, Gasmasken und Sturmhauben spazieren.
 
Ebenfalls in der Lades-Halle, nur einen Stock höher, findet sich eine kleine, aber feine Ausstellung über Walt Kellys Pogo, die die Schönheit der Zeichnungen, die Kreativität seiner Ideen und die humanistische Linie der Strips anhand von gut ausgewählten Exponaten verdeutlicht. Einige der stark auf die Meta-Ebene gehenden Strips ließen mich sogar laut auflachen. Als jemand, der bisher nur wusste, dass es Pogo gibt, der sich aber nie weiter mit Kellys Sumpfbewohnern beschäftigte, habe ich jetzt richtig Lust, mir eine Werkausgabe zuzulegen. Wenn eine Ausstellung als Primer gedacht ist, der Lust auf mehr machen soll, dann ist die Pogo-Sektion des Salons als voller Erfolg zu bezeichnen.
 

In der Ausstellung zu Walt Kellys Pogo

Exponat der Ausstellung zu Walt Kellys Pogo

 
 
PODIUM „DIE DEUTSCHE COMIC-KRITIK“
 
Diskutiert wurde am Samstag auch. Im überraschend vollen Ratssaal setzten sich Reprodukt-Pressedame Jutta Harms, der omnipräsente Stefan Pannor, Tagesspiegel-Comicboss Lars von Törne und Comicgate-Bollerkopp Marc-Oliver Frisch zusammen, um unter der Moderation von Brigitte Helbling über den Zustand der Comic-Kritik zu parlieren. Schon bei der zu ausladenden Vorstellung der Diskutanten zeigte sich ein Problem des Panels, nämlich das der fehlenden Klarheit, worüber eigentlich konkret diskutiert wird. Alleine in den ersten 15 Minuten wurden Themenfelder angerissen, die jeweils eigene Podiumsrunden verdient hätten, wenn sie nicht teilweise schon so plattgetrampelte Diskussionspfade wären, dass auf ihnen kein grünes Pflänzchen mehr wachsen kann: Lockt Comicberichterstattung jüngere Leser zurück zum Print? (Törne.) Wieso haben wir eigentlich den Graphic-Novel-Begriff, und nützt oder schadet er? (Harms.) Warum schreibt man in sein Blog und nicht im Print? (Frisch.)
 
Die eigentliche Kritikdiskussion wurde dann eröffnet, als Pannor erklärte, dass er auf seiner Website eine ausgiebige Kritik am Gratis-Comic-Tag präsentieren kann, die er beim auf Klickzahlen versessenen und den „gesellschaftlichen Aufreger“ suchenden SPIEGEL Online nie unterbringen könne. Nach einem kurzen Rückfall in die Frage „Aber wäre das nicht im Print besser, weil man da mehr Leser hat als im Netz?“ wurde die Diskussion dann doch launig.
 
Frisch, der sich seiner selbstgewählten Rolle als Agent-Provocateur der Comicszene durchaus bewusst ist und sich klar war, was man von ihm erwartete, spielte sich in der folgenden Dreiviertelstunde immer wieder ins Zentrum des Podiums, wo er mit steilen Thesen und auch Mal polternden Verallgemeinerungen ausgiebig Kontra gab, während der durchaus meinungsstarke Pannor die wiederholt aufflammenden Dialoge zwischen Frisch und Törne und Frisch und Harms zurückgelehnt betrachtete und nur weise nickte.
 
Gestritten wurde im Folgenden darüber, ob es in Deutschland an einer „Diskussionskultur“ im Comicbereich fehlt und ob es zu wenig Verrisse gebe, die dabei helfen würden, auch die positiven Rezensionen von Autoren einzuordnen, weil so das ganze Spektrum abgedeckt sei (Frisch). Helbling widersprach dem deutlich, zeigte sich überzeugt, dass Verrisse niemandem nutzen und dass es die Aufgabe von Rezensionen sein müsse, die Leser „zu verführen“.
Damit war das zentrale Statement der Diskussion gefallen, auf das im Folgenden immer wieder zurückgegriffen wurde, sowohl in deutlicher Ablehnung (Oliver Ristau vom Tagesspiegel aus dem Publikum) als auch in sehr zustimmender Haltung und mit der Feststellung, dass immer noch die Sprache fehle, um Comics zu beschreiben, weil die existierende Kritik zu sehr an Themen und Literaturideen ausgerichtet sei und zu wenig am Blick auf das Eigene des Comics.
 
Wo Frisch „zu viel Attitüde und zu wenig Substanz“ sieht und mahnt, dass auch die Fachmagazine zu oft das Lied der Verlage sängen, auch weil gerade sie von den Werbegeldern abhängig sein, versuchte Törne wiederholt zu erklären, dass die hier angemahnten Probleme ja keine comicspezifischen sein, sondern sich auch in den Musik- und Theaterspalten der Feuilletons fänden, wo es eben auch kaum bis keine Verrisse gäbe. (Jutta Harms, die kurz vorher noch festgestellt hatte, „Comics ist anders als Theater oder Musik“, pflichtete ihm bei.) Daraus aber die vielleicht notwendige Frage nach dem desolaten Zustand der Kritik an sich abzuleiten, wollte sich keiner trauen, auch wenn Frisch immerhin betonte: „Kritik ist auch ’ne Kunstform.“
 
Gelegentlich hatte man das Gefühl, dass auf der Bühne zwei Filme parallel ausgestrahlt wurden. Während besonders Harms („Ist bei Reprodukt ganz klar nicht so.“) und Helbling immer deutlicher die heile Welt Comicszene beschworen, in der ja jedem daran gelegen sein müsse, die Leute da draußen zum Medium „zu verführen“ und man sich nicht zu ruckartig bewegen sollte, begann Frisch zunehmend krawallig zu poltern und zu postulieren, was dann bei der Öffnung der Runde zum Publikum dazu führte, dass Jutta Harms die Kritiker im Publikum aufforderte: „Im Grunde wird ja hier auch eure Ehre angegriffen. Ob ihr Lust habt, euch da zu verteidigen?“
 
Hatte, wie oben beschrieben, zumindest Andrea-Pirlo-Cosplayer Oliver Ristau vom Tagesspiegel nicht, der erklärte, das Verführen sei nicht sein Job. Dem widersprach Oliver Meier, der sogar sah, dass derzeit soviel Gutes erscheine, dass Mittelmäßiges von selbst unten raus fiele und keine Beachtung mehr finden würde. Vermutlich versteckt Cross Cult deshalb sein Steam Noir so verschüchtert auf dem diesjährigen Salon. Nach einem weiteren kurzen „sind Graphic Novels Comics oder Graphic Comics Novels“-Intermezzo und einer angedeuteten Kritik, dass die meisten Rezensenten ja selbst nie einen Comic produziert haben und darum das handwerkliche Element nicht beurteilen könnten (damit war meine Diskussions-Bingo-Karte gefüllt) endete die in Teilen launige Runde gerade in dem Moment, als sich endlich ein thematischer Fokus im Gespräch herauskristallisiert hatte. Am Ende können wir also festhalten: „Gut, dass wir mal darüber geredet haben.“ Was das genau ist, worüber wir geredet haben, war am Ende aber immer noch etwas obskur: Sprechen wir von Blogs oder Zeitungen, Print oder Online, Leitartikeln oder Rezensionen, Kommentaren oder Analysen, Fachmagazinen oder Breitenfeuilleton? Das Thema sollte unbedingt wieder aufgegriffen werden, dann aber schon zu Beginn mit *einem* klaren Schwerpunkt, der auch allen Beteiligten bewusst sein muss. Wenn man überlegt, dass schon einige weitere angedachte Diskussionspunkte von der Moderation bewusst ausgelassen wurden, dann kann einem schon schwindelig werden.
 
PODIUMSGESPRÄCH MIT JOE SACCO
 
Direkt im Anschluss wurde dann Joe Sacco zum Gespräch gebeten, der – trotz der bauzaungroßen Schlachtendarstellung im Stadtzentrum – gefühlt von der Salonleitung sehr stark versteckt wird, dafür, dass er schon einer der größten und allgemein bekanntesten Namen ist, die wir im Comicbereich derzeit haben. Unberührt von den alle paar Minuten klingelnden Handys (wir sind hier ja nicht im Kino) sprach Sacco über seine kommerziellen Flops am Karrierebeginn, den Umstand, dass erst die Kritik in der New York Times ihm den Erfolg brachte (womit er die „Verführungs“-Theorie aus der vorherigen Podiumsdiskussion unbewusst unterstützte) und kam dann in einer längeren Sequenz auf seine Sichtweise zu Journalismus und Objektivität zu sprechen. Er gab zu bedenken, dass es seine subjektive Entscheidung sei, denen ohne Stimmen eine Stimme zu sein (wobei natürlich er derjenige ist, der entscheidet, wer als stimmlos zu gelten hat) und dass daraus ableitbar sei, wo er politisch stehe. Für ihn sei es wichtiger, ehrlich zu sein als objektiv (was ohnehin unmöglich sei) und ja, natürlich wähle er bewusst Stimmen, die das westliche Publikum schocken. Ruhig und in klaren Worten präsentierte Sacco seine Sichtweise zu Reportage und Interpretation und zu dem Umstand, dass Journalismus nicht neutral sein könne. „Ich gebe zu, ich bin ein Filter.“
Man merkt, dass Sacco sich viele Gedanken über diese Themen gemacht hat und diese Gedanken inzwischen so oft formuliert hat, dass sie auch sprachlich höchst geschliffen sind. Dass dabei die Spontaneität des Gesprächs ein wenig leidet, auch weil Teile seiner Aussagen fast wortwörtlich in Interviews zu und Texten in seinem Journalism klingen, ist wohl unvermeidbar. Seine Werbung für gezeichneten Journalismus als „slow journalism“, der mehr Zeit habe, die Leute kennenzulernen, ohne dass sie sich für die Kamera verstellen, ist sicher bedenkenswert. Seine Erkenntnis, dass Journalismus die Mächtigen hinterfragen müsse, erscheint da schon platter, obschon möglicherweise die Grundpfeiler des Journalismus in jede Richtung nicht oft genug wiederholt werden können – auch im Rahmen des Krim-Konflikts, der leider nicht thematisiert wurde. Saccos Sichtweise zur Berichterstattung in einem akutellen Konflikt wäre sicher erhellend.
 
Saccos Aussage, es sei eines der Probleme, dass „Journalisten den Mächtigen zu nah kämen“, dass die kritische Distanz nur noch eine vorgestellte, keine reale sei, sobald sie „auf die selben Cocktail-Partys gehen“, war erstaunlicherweise auch ein Satz, der ebenfalls in der vorherigen Diskussionsrunde zur Bedeutung der Kritik hätte diskutiert werden können. Auch dort wurde kurz die Unabhängigkeit der deutschen Comickritik infrage gestellt, die sich ja – hier nimmt sich der Autor nicht aus – schnell in den Betrieb Comicszene verwickelt sieht, auch wenn Lars von Törne betonte, dass die guten Kritiker Mechanismen hätten, um Gewissenskonflikte in diesen Situationen zu überwinden.
 
Mit Saccos neuer Faszination für Geschichte und Strukturen, die in der Geschichte der Menschheit immer wieder vorkommen, scheint eine Epoche in seinem Werk zu enden. Interesse daran, jemals wieder über gewalttätige Konflikte zu berichten, habe er auf jeden Fall nicht.
 
 
NOTIZEN VOM RANDE DER MESSE
 
* Manga bleibt auch im 14. Jahr des neuen Jahrtausends ein Phänomen, das sich vorrangig am Rand der Messe abspielt. Die wirklich breite Öffnung, das Zusammenfinden, hat auf beiden Seiten immer noch nicht stattgefunden, so dass ein essentieller Teil der Comicszene weiterhin auf Deutschlands größter Comicmesse unterrepräsentiert bleibt. Einige Stimmen meinten, dass die Vergabe des Max-und-Moritz-Preises an Billy Bat auch ein politisches Symbol sei, das eine Zeitenwende einläuten sollte. Freuen wir uns also 2016 auf die Podiumsdiskussion „Manga – Schon Comic oder noch nicht Graphic Novel?“
 
* In der Pogo-Ausstellung gehört: „Was ist denn das hier?“ – „Tardi.“
 
* Jedes Mal wieder faszinierend: Die frisch getrauten Eheleute, die irgendwo zwischen glücklichstem Moment ihres Lebens und posttraumatischer Belastungsstörung versuchen Sekt zu schlürfen und Schnittchen zu essen, während dicke Nerds und schwer kostümierte Manga-Fans sie zur Seite schieben, weil sie sich die ausgestellten Originalseiten anschauen wollen.
 

Mawil: Wenn ich Bürgermeister von Erlangen wäre...

„Das mit den Hasen“

* Lokalpolitik: Draußen vor der Messe kann man zeichnen, was wäre, „Wenn ich Bürgermeister von Erlangen wäre…“ Während Lokalpolitiker diskutieren, dass einige der Bilder „ja ganz hübsch gemalt“ seien, vor allem „das mit den Hasen“ (von Mawil), und dass man sie mal vor einer Stadtratssitzung im Foyer ausstellen sollte, damit auch die regierenden Parteien mal sähen, was den Bürgern unter den Nägeln brenne, hat Gerhard Schlegel die Sache mit der Kommunalpolitik nicht ganz verstanden. In seinem Beitrag würde er, wäre er Bürgermeister von Erlangen, erst einmal mehr Mülleimer in München aufstellen. Das wird die Erlanger sicher freuen.

* Im Marktbereich von der verzweifelten Freundin des vor der Figuren-Vitrine stehenden Spider-Man-Cosplayers gehört: Ein flehendes „bitte keine Figuren kaufen, bitte nicht, bitte“.
 
* Copy-Edit your Shit: Weil man ja verführen will, bleibt der Name mal außen vor. Aber, Toon-Up-Selbstverleger: Tippfehler passieren. Uns allen. Immer wieder. Aber zumindest auf dem Titelbild sollte man den Titel seines eigenen Comics idealerweise *ohne* Buchstabendreher präsentieren. Aber, hey, dem Manchester Grauniad hat das auch nicht geschadet.
 
* Lexikon: Der Verdacht erhärtet sich, dass Comics nur ein Methadonprogram für das wandelnde Fußballlexikon Burkhard Ihme sind. Falls ihr mal ’nen Fußball-Telefonjoker bei Wer Wird Millionär braucht: Einfach beim ICOM anfragen.
 
* Don’t Say the G-Word: Anfängerfehler. Auf einer Comicmesse, auch Abends auf der Verlagsparty, kurz betonen, wie man selbst in der „Comics oder Graphic Novels“-Debatte steht. Die nächste Stunde kann man dann abhaken, weil alle Umstehenden natürlich ihre eigene Position OCD-gleich auch in epischer Breite zum Besten geben müssen. Wenn ihr also Salon-Neulinge kennt, brieft die bitte vorher, damit ihnen dieser alle Räder zum Stillstand bringende Lapsus nicht unterläuft.